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TIERHALTUNG/516: Perlen FÜR die Säue! (PROVIEH)


PROVIEH Heft 3 - Oktober 2010
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Perlen FÜR die Säue!

Von Ira Belzer, Susanne Aigner und Stefan Johnigk


Vor der kleinen Kirche im brandenburgischen Haßleben steigt getragene Jazzmusik in die Luft. Mehrere Hundert Menschen haben sich an diesem Sommertag versammelt, um zum wiederholten Mal gegen den Bau einer gigantischen Schweinemastanlage zu protestieren. Auf einmal hebt sich zwischen den Bäumen ein riesiger grüner Luftballon empor, getragen von der Musik und einem frischen Lüftchen - als wolle sich selbst der Wind gegen die Mastanlage wenden. Er trägt mit dem Ballon eine Perlenschnur in den Himmel - "Perlen für die Säue". Diese Performance der Künstlerin Sybilla Keitel ruft allen Anwesenden das Elend der Schweine in der industriellen Intensiv-Tierhaltung ins Gedächtnis und setzt ein liebevolles Zeichen der Solidarität. Gemeinsam mit der Bürgerinitiative "Kontra Industrieschwein" verbreitet PROVIEH die grüne Schleife mit der aufgenähten Perle nun deutschlandweit - als ansteckendes Zeichen der Wertschätzung für unsere Nutztiere. Der Erlös für die Schleifen fließt in die Unterstützung von Bürgerinitiativen gegen industrielle Intensiv-Tierhaltungsanlagen und des Netzwerks "Bauernhöfe statt Agrarfabriken".


Erkenntnis im Spiegel

Die Sauen geben der Aktion ihren Namen, stellvertretend für alle Tiere, die in der industriellen Landwirtschaft leiden müssen. Wissenschaftlichen Erkenntnissen zu Folge besitzen Schweine ähnliche kognitive Fähigkeiten wie Primaten: Sie gehören zu den wenigen Tierarten, die sich im Spiegel erkennen können und somit ein Ich-Bewusstsein haben. Dem US-amerikanischen Schriftsteller Edgar Allan Poe wird der provozierende Ausspruch zugesprochen, Menschen seien doch auch nur "aufrechte Schweine". Ein Grund mehr, sich die Bedürfnisse und den industriellen Elendsalltag dieser Tiere immer wieder bewusst zu machen - am Beispiel der rund 63.000 Zuchtsauen in Deutschland.

Sauen dienen in der Fleischindustrie vor allem für die Reproduktion von Mastferkeln. Im Alter von weniger als 8 Monaten wird eine Sau zum ersten Mal Mutter - also vom Zuchteber oder durch künstliche Besamung "belegt". Von nun an muss sie alle 160 Tage elf bis zwölf Ferkel gebären ("werfen"), Tendenz steigend. Damit die Pausen zwischen zwei Würfen möglichst klein werden, wird der Brunstzyklus der Sauen durch die Verabreichung von Hormonen und Medikamenten künstlich gesteuert. Die Zahl der Ferkel pro Wurf wird dagegen züchterisch weiter gesteigert. Weil dadurch oft genug mehr Ferkel geworfen werden als eine Sau Zitzen zum Säugen besitzt, sind "Ammensauen" keine Seltenheit mehr in industriellen Ställen. Zum Vergleich: Wildschweine bringen nur einmal im Jahr rund 1 - 8 Nachkommen zur Welt.

Schweine sind reinlich. Jedes gesunde Schwein versucht, seinen Kot weit weg von seinem Fressplatz und seiner Schlafkuhle abzusetzen. In der Intensiv-Tierhaltung bleibt dieses Bedürfnis unerfüllt, denn eine Unterscheidung zwischen Fress-, Kot- und Schlafplatz gibt es in den vollen Ställen mit ihren engen Buchten nicht. Die Tiere setzen ihre Exkremente überall ab. Durch die Spalten des Bodens wird der Kot in den darunter liegenden Gülleabfluss getreten. Stroh oder andere Einstreu zum Wühlen und als Schlafplatz gibt es nicht, denn das Material würde die Güllekanäle verstopfen.


Ein Dasein im Käfig

Schweine sind auch gesellig und bewegungsfreudig. Sauen aber verbringen ihre komplette Tragezeit von knapp vier Monaten einzeln in engen Metallkäfigen. Diese Kastenstände sind 180 cm lang und nur 65 cm breit. Sie bieten kaum Bewegungsfreiheit. Eisengitter verhindern den Kontakt zu Artgenossen. Doch egal, wie eng es ist: Die Tiere wollen ihr angeborenes Verhalten ausleben. So benagt die Sau die Wände, rüttelt an den Gittern und macht typische Kopfbewegungen, die sie normalerweise während des Nestbaues ausführt. Stereotype Verhaltensstörungen wie "Stangenbeißen" oder "Leerkauen" treten im Kastenstand häufig auf.

Kurz vor dem Wurftermin wird die Sau in einen anderen kastenähnlichen Stand verlegt - die Abferkelungsbucht. Darin wird sie fixiert, um beim Hinlegen nicht versehentlich Ferkel unter sich zu erdrücken. Unter natürlichen Bedingungen würde eine Sau instinktiv vermeiden, sich auf ihren Nachwuchs zu legen, und vor dem Ablegen im Nest wühlen, um schlafende Ferkel aufzuscheuchen. Doch für den Bau eines weichen Ferkelnests aus Laub, Zweigen, Stroh und Mulch fehlen im Industriestall der Platz und die Nestbaumaterialien. Stattdessen werden die Ferkel mit Wärmelampen und beheizbaren Böden von der fixierten Mutter weggelockt. Die Ferkelverluste dürfen 15 Prozent nicht überschreiten, heißt die ökonomische Vorgabe.

Die Ferkel können in der Abferkelungsbucht ihren angeborenen Erkundungstrieb so gut wie gar nicht ausleben. Die Enge erlaubt ihnen weder zu rennen noch zu spielen. Nur drei bis vier Wochen bleiben die Jungtiere bei der Mutter. Dann werden sie von ihr getrennt, denn sie soll so schnell wie möglich wieder trächtig werden. Die Sau wird zurück in den Kastenstand gesteckt und wartet dort auf die nächste künstliche Befruchtung. Ihre Ferkel werden umgestallt in kahle Boxen ohne Einstreu, in der Branche als "Flat Decks" bezeichnet. Ihr Sauginstinkt wurde nur unzureichend befriedigt, weil sie zu früh von der Mutter getrennt wurden. Das - und der Mangel an Beschäftigung - führen dazu, dass die Ferkel einander Schwänze und Ohren anknabbern. Deshalb werden ihnen vorsorglich die Eckzähne und die Schwänze gekürzt.

Um profitabel zu sein, muss eine Sau in ihrem Leben sechs bis sieben Würfe bringen. Danach nehmen die Probleme mit der Fruchtbarkeit zu. Bringt eine Sau nach rund drei Jahren nicht mehr die gewünschte Leistung oder wird sie zweimal hintereinander nicht trächtig, ist sie reif für den Schlachthof. Außerhalb der Intensiv-Haltung könnten Sauen dagegen 12 Jahre und älter werden. Doch nur Betriebe mit einer hohen "Produktionseffizienz" haben die Chance zu überleben. Der Konkurrenzdruck in der Branche ist groß und die Fleischpreise sind zu niedrig, um einen höheren Aufwand in der Tierhaltung bei niedrigeren Erträgen zu erlauben. Kastenstände und Abferkelungsbuchten sind zum Standard in der Sauenhaltung geworden, weil sie die Haltung von möglichst vielen Sauen auf kleiner Fläche möglich machen - und wer sie einsetzt, kann kostengünstiger produzieren als jemand, der seinen Sauen ausreichend Bewegungsfreiheit bieten will.


Kastenstandverbot kommt

Nach einer Richtlinie der EU von 2003 soll ab 1. Januar 2013 alles anders werden. Spätestens dann ist es EU-weit vorgeschrieben, Sauen zumindest vom 29. Tag ihrer Trächtigkeit in Gruppen zu halten. Doch zuvor muss der Umbau der alten Ställe genehmigt und anschließend finanziert werden. Das dauert und kostet. Für etwa die Hälfte der Sauen haltenden Betriebe in Deutschland stehen entsprechende Baumaßnahmen erst noch an. PROVIEH steht mit Erzeugergemeinschaften im beratenden Dialog und versucht dadurch, einen besseren Schutz von Sauen zu erreichen. Doch es steht zu befürchten, dass vor allem bäuerliche Betriebe an den Umbaukosten scheitern werden und sich dadurch das Gewicht in der Branche weiter zugunsten gigantischer Industrieanlagen wie in Haßleben oder Alt-Tellin verschiebt. Schon fordert der Westfälisch-Lippische Landwirtschaftsverband für die Umsetzung der neuen Richtlinie eine Fristverlängerung bis 2014 oder 2015. PROVIEH hält dagegen und verlangt, die Förderung von Agrarbetrieben stärker auf den Ausbau tierschutzgerechterer Haltungsformen auszurichten.

Doch selbst wenn die neue EU-Regelung endlich in Kraft getreten ist, hat der Kastenstand leider noch längst nicht ausgedient: Die ersten vier Wochen ihrer Trächtigkeit darf eine Sau weiterhin hinein gezwängt werden. Auch die engen Abferkelungsbuchten sind zum Leidwesen der Sauen weiter erlaubt. Die Maximierung der Erträge bleibt die Maxime der industriellen Tierproduktion und die Politik folgt wie gewohnt den Lobbyisten der Fleischindustrie. Umso wichtiger für PROVIEH und alle seine Freundinnen und Verbündeten, nunmehr mit einem gemeinsamen sympathischen Symbol in der breiten Öffentlichkeit darauf hin zu weisen: Das Wohlergehen unserer Nutztiere muss geschützt und gewahrt werden.

Nun gibt es so ein Symbol und es ist ansteckend: Die grünen Schleifen mit den "Perlen FÜR die Säue". Lassen auch Sie sich anstecken! Die schmucken Schleifen sind als Dank für eine kleine Spende in der Bundesgeschäftsstelle zu bekommen.


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Quelle:
PROVIEH Heft 3, Oktober, 2010, Seite 14-17
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.
Küterstraße 7-9, 24103 Kiel
Telefon: 0431/248 28-0
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PROVIEH erscheint viermal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Dezember 2010