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TIERHALTUNG/677: Dem Kälbchen die Mutter - Muttergebundene Kälberaufzucht (PROVIEH)


PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 1/2016
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Dem Kälbchen die Mutter - Muttergebundene Kälberaufzucht

Von Svenja Taube


Mutterkuh und Kälbchen friedlich zusammen auf einer grünen Weide? Was nach einer gängigen Haltungsmethode klingt, hat mit der Realität kaum noch etwas zu tun. In der Landwirtschaft hat sich über Jahrzehnte die Praxis manifestiert, das Kalb unmittelbar nach der Geburt von der Mutter zu trennen. Nicht selten verbringen die Kälber ihre ersten Lebenswochen in Einzelhaltung. Sie werden meist nur zweimal am Tag mit einem Milchersatz aus dem Eimer getränkt. Normalerweise würde das Kalb sechs bis acht Mal täglich für jeweils circa sieben Minuten bei der Mutter saugen. Als Begründung für die mutterlose Haltungsform werden oftmals wirtschaftliche Gründe angegeben: Die Milch der Kühe soll verkauft und nicht für die Aufzucht der Kälber "vergeudet" werden. Hier wird das Gewinnstreben der Landwirte über die natürlichen Bedürfnisse der Tiere gestellt.

Die gute Nachricht ist: Es geht auch anders! Einige Betriebe in Deutschland haben bereits umgedacht und das System der mutter- und ammengebundenen Kälberaufzucht als artgemäße Aufzuchtmethode wiederentdeckt. Es gibt drei grundsätzliche Methoden, wie diese Art der Aufzucht durchgeführt werden kann. Bei der ersten kommen die Kälber zweimal täglich für längere Zeit zum eingeschränkten Säugen zur Kuh, während die Mütter zusätzlich gemolken werden. Bei der zweiten Variante können die Kälber unbefristet saugen. Der Kontakt zwischen Mutter und Kalb kann ganztägig oder mehrstündig sein und die Mütter werden zusätzlich ein- bis zweimal am Tag gemolken. Bei der letzten Methode saugen zwei bis vier Kälber bei einer Ammenkuh, die erst nach dem Absetzen der Kälber wieder gemolken wird. Studien zeigen, dass Kälber, die bei ihren Müttern aufwachsen, ein besseres Sozialeverhalten aufweisen. Sie können auch Stresssituationen, wie die Eingliederung in eine neue Herde, besser verarbeiten. Rinder sind sehr soziale Tiere, die tiefe Freundschaften zu Artgenossen aufbauen können. Kälber direkt nach der Geburt in Einzeliglus zu isolieren widerspricht dem artspezifischen Verhalten dieser Tiere und kann später zu Fehlverhalten führen. Werden die Kälber nach einigen Wochen in Gruppen zusammengestellt, zeigt sich dann oft ein Symptom dieses artenwidrigen Haltungssystems: Das Belecken und Saugen an Artgenossen. Dieses Verhalten ist in der unbefriedigenden Säugedauer am Tränkeautomat begründet und so muss der Saugreflex anderweitig gestillt werden. Die mutter- oder ammengebundene Kälberaufzucht verhindert dieses unerwünschte Verhalten.

Darüber hinaus sind die Vorteile dieser Art der Kälberaufzucht vielfältig. Mutterkuh und Kalb können ihr artgemäßes Verhalten ausleben, was zu einer besseren Entwicklung des Kalbes führt und ein früheres Erstkalbealter sowie eine höhere erste Laktation bewirkt. Während der Säugphase hat das Kalb eine höhere Tageszunahme, die allein schon durch die Anwesenheit der Mutter bewirkt wird. Im Gegensatz zur Eimertränke treten weniger Krankheitserscheinungen beim Kalb auf und für die Mutter belegen Studien eine bessere Eutergesundheit.


Eine herausfordernde Haltung

Vorteile ziehen aber auch Herausforderungen nach sich. So ist die zu verkaufende Milchmenge geringer als in einem konventionellen Betrieb, weshalb der Verkaufserlös deutlich höher liegen muss. Der Absatzstress bei der Trennung von Mutter und Kalb kann unter Umständen je nach Vorgehensweise etwas größer sein. Hinzu kommt ein intensiverer Arbeitsaufwand in der Betreuung der Tiere. Allerdings ermöglicht dieser auch eine bessere Beobachtung des Bestandes und eine intensivere Mensch-Tier-Beziehung, sodass bei Komplikationen schneller eingegriffen werden kann.

Dem Wohlbefinden der Milchkühe entspricht die mutter- oder ammengebundene Haltung in jedem Fall mehr und das sollte schon Anreiz genug sein, das Konzept durch unser Kaufverhalten zu unterstützen. Leider gibt es noch nicht überall in Deutschland Höfe, die diese besondere Milch vermarkten. PROVIEH hat eine Deutschlandkarte erstellt, auf der schon rund dreiviertel der Betriebe verlinkt sind. Wir arbeiten ständig an der Aktualisierung der Daten und freuen uns über Empfehlungen von Ihnen.

Kennen Sie einen Milchvieh-Hof, der Kälber ammen- oder muttergebunden aufzieht, oder betreiben vielleicht selbst einen Solchen? Dann freuen wir uns über eine Nachricht von Ihnen. Eine Mail an poepken@provieh.de oder ein Anruf unter 0431-248 2814 genügen.

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Quelle:
PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 1/2016, Seite 26-27
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen
tierquälerische Massentierhaltung e.V.
Küterstraße 7-9, 24103 Kiel
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Telefax: 0431/248 28-29
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Juni 2016

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