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INITIATIVE/318: Frühzeitig - das Zauberwort für wirksamen Widerstand (PROVIEH)


PROVIEH Heft 1 - März 2009
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Frühzeitig - das Zauberwort für wirksamen Widerstand

Das Interview führte Iris Weiland


Wer sich aktiv gegen die Errichtung einer industriellen Intensiv-Tierhaltungsanlage in seiner Nachbarschaft wehren will, tut das in der Regel zum ersten Mal. Doch oft lassen die zahlreichen zu beachtenden Regeln, Verordnungen und Gesetze den mündigen Bürger schon verzweifeln und den Mut zum Widerstand schwinden. PROVIEH und andere Organisationen wie der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) oder der Naturschutzbund Deutschland (NABU) können nicht bei allen Antragsverfahren für industrielle Intensiv-Tierhaltungsanlagen mit eigenen Kräften vor Ort aktiv sein - auch wenn das hilfreich wäre. Aber sie bieten mit Checklisten und Informationsmaterialien Starthilfe und Orientierung bei der Organisation des Bürgerprotests (siehe auch www.provieh. de unter der Rubrik "Bürgerinitiativen").

Die Möglichkeit, als Verband Klage gegen tierquälerische Intensiv-Tierhaltungsanlagen und ihre Errichtung zu erheben, ist PROVIEH wie allen anderen Tierschutzverbänden bekanntlich noch verwehrt. Betroffene Einzelpersonen dagegen können Einwendungen gegen die Errichtung solcher Anlagen vorbringen und sogar vor Gericht klagen, wenn es zweckmäßig erscheint. Dabei sollten sie sich zunächst aber die Unterstützung aus einer breiten Interessensgemeinschaft und guten fachlichen Rat sichern. PROVIEH befragte dazu den Berliner Rechtsanwalt Ulrich Werner. Er und seine Partner, die Rechtsanwälte Katrin Brockmann und Peter Kremer, standen bereits in zahlreichen Genehmigungsverfahren zu Massentierhaltungsanlagen Bürgern und Initiativen als Fachleute zur Seite.


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PROVIEH: Herr Werner, welchen Rat geben Sie einem besorgten Bürger, der sich aktiv gegen die Errichtung einer industriellen Intensiv-Tierhaltungsanlage in seiner Nachbarschaft wehren will?

ULRICH WERNER: Von der öffentlichen Bekanntmachung des Vorhabens bis zum Ende der Einwendungsfrist vergehen nur circa 6 Wochen. Fachliche Gutachten von Biologen oder Anwälten brauchen aber meist eine Vorbereitungszeit von 3-4 Wochen. Deshalb ist rechtzeitiges Handeln so wichtig. Es sollte möglichst frühzeitig die Nachbarschaft informiert und eine Bürgerinitiative gegründet werden, auch um Spenden von den betroffenen Anwohnern einsammeln zu können. Im Nachhinein ist es oftmals schwierig, Spenden zu erhalten, insbesondere dann, wenn der Investor eine Öffentlichkeitsarbeit betreibt, aus der zu verlautbaren ist, dass die Anlage ohnehin genehmigt werden wird. Schließlich ist es wichtig, möglicht frühzeitig einen kompletten Unterlagensatz von der Behörde zu erhalten. Ein Anspruch auf Übersendung von Kopien besteht grundsätzlich nicht. Notfalls müssen die Unterlagen bei der Behörde - im Rahmen der Auslegung - mit einer Digitalkamera abfotografiert werden.

PROVIEH: Spendengelder sind dringend notwendig, um beispielsweise Gutachter zu bezahlen, Informationsmaterial oder Webseiten zu erstellen, und um sich rechtlichen Beistand zu sichern. Dann aber geht es um die Formulierung der eigenen Einwände, die zuvor im Kreis der Betroffenen beraten wurden. Was ist dabei besonders wichtig?

ULRICH WERNER: Jeder betroffene Bürger sollte fristgerecht und im eigenen Namen seine Einwendungen vorbringen - die Einwendungsfrist ungenutzt verstreichen zu lassen ist der häufigste Fehler. Im Rahmen des Einwendungsverfahrens ist zu beachten, dass sämtliche Einwendungen so detailliert wie möglich vorgetragen werden müssen. Nicht vorgebrachte Einwendungen werden in einem späteren Widerspruchs- oder Klageverfahren nicht mehr berücksichtigt.

PROVIEH: Was fällt eigentlich mehr ins Gewicht: Die Kraft allgemeiner Argumente oder die persönlichen Belange der Betroffenen?

ULRICH WERNER: Im Rahmen der Einwendungen müssen die Anwohner ganz besonders auch die subjektive Betroffenheit detailliert darlegen, also die Befürchtung von Beeinträchtigungen durch Geruch, Lärm, Schwerlastverkehr, Gesundheitsbelastungen und andere Gesichtspunkte. Grundstückseigentümer in unmittelbarer Nähe der Anlagen können in manchen Fällen auch besondere Rechte geltend machen.

PROVIEH: Und was ist mit den fachlichen Aspekten, zum Beispiel der Einhaltung von Grenzwerten und Richtlinien?

ULRICH WERNER: Gerade die fachtechnischen Aspekte sollten möglichst frühzeitig durch Gutachter geklärt oder überprüft werden. Dies betrifft insbesondere die naturschutzfachliche Ausstattung des Vorhabengebietes und mögliche Geruchsbelästigungen.

PROVIEH: Berechtigte Wut macht manche Menschen undiplomatisch. So geraten Bürgerinitiativen schon mal in Auseinandersetzungen mit Gemeindevertretern und anderen Beteiligten auf kommunaler Ebene. Manchmal führt das bis zum offenen Schlagabtausch in den Medien. Für wie wichtig erachten Sie eine sachliche Zusammenarbeit der Initiativen mit der Gemeinde?

ULRICH WERNER: Besonders wichtig ist, dass frühzeitig mit der Gemeinde Kontakt aufgenommen wird, um so unter Umständen eine "Versagung des gemeindlichen Einvernehmens" zu erreichen: Das bedeutet, die Gemeinde dazu zu bringen, ihr fehlendes Einvernehmen mit dem Antragsteller zu artikulieren, also dem Vorhaben nicht zuzustimmen. Das ist rechtlich beachtlich und ein wichtiger Ansatzpunkt zur Verhinderung von Massentierhaltungsanlagen. Hier empfiehlt es sich, möglichst frühzeitig eine Zusammenarbeit zwischen dem beauftragten Rechtsanwalt und der Gemeinde in die Wege zu leiten, da eine "Versagung des gemeindlichen Einvernehmens" sorgfältig vorbereitet werden muss und der Gemeinde Planungsinstrumente zur Verfügung stehen, anhand derer unter Umständen die planungsrechtliche Unzulässigkeit der Anlage herbeigeführt werden kann. Wird das Einvernehmen rechtswidrig versagt, drohen der Gemeinde unter bestimmten Umständen Schadensersatzansprüche durch den Investor.

PROVIEH: Herr Werner, wir danken Ihnen und Ihren Kollegen für die wertvollen Informationen und für Ihre Unterstützung.


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Quelle:
PROVIEH Heft 1, März 2009, Seite 10-11
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.
Küterstraße 7-9, 24103 Kiel
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Telefax: 0431/248 28-29
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PROVIEH erscheint viermal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. April 2009