Schattenblick →INFOPOOL →TIERE → TIERSCHUTZ

POLITIK/555: Tierversuchs-Richtlinie - EU verramscht Entwurf (tierrechte)


tierrechte Nr. 51, Februar 2010
Menschen für Tierrechte - Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.

Tierversuchs-Richtlinie - EU verramscht Entwurf

Von Christiane Baumgartl-Simons


Im November 2008 legte die EU-Kommission den Entwurf einer neuen Tierversuchs-Richtlinie vor. Es steht außer Frage, dass dieser Entwurf die zentralen Forderungen der Tierschutzverbände nicht erfüllte. So wurden weder Affenversuche noch Experimente mit schweren Leiden verboten, noch enthielt der Kommissionsvorschlag einschneidende Veränderungen zugunsten tierversuchsfreier Verfahren. Aber er formulierte etliche Verbesserungen, die deutlich mehr Schutz für "Versuchstiere" in den 27 Mitgliedstaaten bedeutet hätten. Doch die Verhandlungen zwischen EU-Parlament, Agrarministerrat und der Kommission haben mittlerweile den Ausverkauf der ursprünglich vorgesehenen Tierschutzverbesserungen eingeläutet.


Geplant war, die neuen Regelungen noch unter schwedischer Ratspräsidentschaft Ende 2009 zu verabschieden. Daraus ist nichts geworden. Die Abstimmung des Ministerrats wird frühestens im März, das Votum des EU Parlaments erst danach erwartet. Die neue Richtlinie wird die Tierversuchspraxis in der EU und damit auch in Deutschland für lange Zeit festlegen.


Deutschlands Schweigen in Brüssel

Deutschland kämpfte bei den Beratungen in Brüssel bisher überhaupt nicht für den Tierschutz. Allerdings konnte sich Bundesministerin Ilse Aigner als zuständige Ressortchefin auch auf wenig nationale Unterstützung verlassen. Schon die Bundesländer rangen sich lediglich für ein Verbot der Versuche an Menschenaffen durch, sprachen sich aber gegen höhere Tierschutzanforderungen aus. Forschungsministerin Annette Schavan fürchtete sogar, die EU-Vorlage beschneide die grundgesetzlich garantierte Forschungsfreiheit und vergaß dabei, dass der Tierschutz in Deutschland seit 2002 ebenfalls Verfassungsrang genießt. Tatsächlich führten Schavans Bedenken zu einer rechtlichen Prüfung des Entwurfes im Hinblick auf unser Grundgesetz sowie die EU-Verfassung. Diese Rechtsprüfungen bestätigten, was Tierrechtler und Tierschützer schon wussten: Die Forschungsfreiheit ist nicht grenzenlos! Der Kommissionsentwurf verletzt die verfassungsrechtlich garantierte Forschungsfreiheit nicht.

Deutschland hätte sich auch aus einem weiteren wichtigen Grund in Brüssel für mehr Tierschutz stark machen müssen! Die neue EU-Tierversuchs-Richtlinie wird nämlich keine höheren nationalen Tierschutzstandards mehr tolerieren. Ein national höheres Schutzniveau wird von Brüssel nur noch akzeptiert, wenn es bereits vor Inkrafttreten der neuen Richtlinie gültig war. Mit anderen Worten: Die EU will zukünftig die Fortentwicklung des Tierschutzes durch einzelne Mitgliedstaaten einfrieren. Damit trifft sie bei CDU und CSU ins Schwarze, denn die Christdemokraten stellten schon im Vorfeld zur letzten Bundestagswahl klar, dass sie kein Freund nationaler Alleingänge seien. Vielmehr zögen sie es vor, hohe Tierschutzstandards in der EU durchzusetzen. Von diesem Kampfeswillen war beim Schutz der "Versuchstiere" und dem Einsatz für Ersatzverfahren bisher in Brüssel leider nichts zu spüren.


Der Ausverkauf des Kommissionsentwurfs

Der Trialog zwischen Vertretern des EU Parlaments, des Agrarministerrats und der Kommission dauerte sechs Monate und führte zu einem Kompromissvorschlag mit gravierenden Rückschritten gegenüber dem Kommissionsentwurf.


Dies sind die bedeutendsten Rückschläge:

• Die ethische Bewertung des Tierversuchs war wesentlich im Kommissionsentwurf. Der Kompromissvorschlag verlangt jedoch nur noch, ethische Überlegungen zu beachten. Die explizite ethische Bewertung des Tierversuchs, die ein zentrales Anliegen für die Revision der Richtlinie war, ist damit aus dem Entwurf verschwunden.

• Alternativen zum Tierversuch sollen nicht bereits nach ihrer wissenschaftlichen, sondern erst nach ihrer behördlichen Anerkennung, die in der Regel mehrere Jahre dauert, angewendet werden müssen.

• Eine absolute Schmerz-Leidens-Grenze, also ein Verbot von Versuchen, die bei den Tieren zu schweren und voraussichtlich länger andauernden Schmerzen, Leiden oder Ängsten führen, ist im Kompromissvorschlag nicht mehr enthalten.

• Nach dem Kommissionsentwurf sollten alle Tierversuche identischen Genehmigungsverfahren unterzogen werden. Der Kompromissvorschlag hingegen will Versuche mit geringen Belastungen in vereinfachten Verfahren, die eher einer Anzeigepflicht entsprechen, abwickeln.

• Mitgliedstaaten sollen von den Pflege- und Unterbringungsstandards, die an die Richtlinie angefügt sind, zulasten der Tiere abweichen dürfen.

• Nationale Referenzlabore für die Validierung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden sind nicht mehr zwingend vorgesehen.


Was tun?

Die Aussichten, den Kompromissvorschlag wieder zugunsten der Tiere zu ändern, sind gering. Dennoch halten wir es für unerlässlich, bis zur Schlussabstimmung im EU-Parlament zu kämpfen. Die verantwortlichen Politiker können nicht oft genug hören, dass sie in Brüssel eine enttäuschende Leistung gezeigt und das Klassenziel nicht erreicht haben. In den kommenden Wochen gilt es, den Verantwortlichen unsere Forderungen immer wieder vor Augen zu führen. Unter dem unten stehenden Link können Sie per eMail an unserer Briefaktion an die deutschen EU-Parlamentarier teilnehmen. Wir werden die Briefe vor der Abstimmung in einer medienwirksamen Aktion übergeben.


*


Quelle:
tierrechte - Nr. 51/Februar 2010, S. 16
Infodienst der Menschen für Tierrechte -
Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.
Roermonder Straße 4a, 52072 Aachen
Telefon: 0241/15 72 14, Fax: 0241/15 56 42
E-Mail: info@tierrechte.de
Internet: www.tierrechte.de

tierrechte erscheint viermal jährlich.
Der Verkaufspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten.


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. April 2010