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POLITIK/599: Chancen für mehr Tierschutz (tierrechte)


tierrechte Nr. 55, Februar 2011
Menschen für Tierrechte - Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.

Chancen für mehr Tierschutz

Von Christiane Baumgartl-Simons


In sieben von 16 Bundesländern finden 2011 Landtagswahlen statt. Umfrageergebnisse verkünden wöchentlich die sinkende Wählergunst für Schwarz-Gelb. Hieraus könnten sich für die Tiere Chancen auf mehr Schutz ergeben, denn Grüne, Linke und SPD vertreten das Wohl der Tiere bisher besser als CDU/CSU und FDP.


Gewählt wurde am 20. Februar bereits in Hamburg. Am 20. März stehen Wahlen im CDU-SPD-regierten Sachsen-Anhalt, am 27. März im schwarz-gelben Baden-Württemberg sowie in Rheinland-Pfalz, dem einzigen Bundesland mit einer SPD-Alleinregierung, an. Am 22. Mai folgen dann die Urnengänge in Bremen, am 4. September in Mecklenburg-Vorpommern und am 18. September in Berlin.


Farbe bekennen: Wie stehen die Parteien zum Tierschutz?

Der Bundesverband sowie einige seiner Länderorganisationen(*) haben die Landesparteien von CDU, Bündnis90/Die Grünen, FDP, Die Linke und SPD in Hamburg, Sachsen-Anhalt, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz zu ihren tierschutzpolitischen Programmen befragt. Im Vordergrund standen hierbei die Einführung der Tierschutz-Verbandsklage auf Landesebene, der Ausstieg aus dem Tierversuch und die Förderung tierversuchsfreier Verfahren. Weitere Fragen zielten auf die Tierschutz-Nutztierhaltungs-Verordnung. Eine Partei, die kein Konzept vorlegt, wie sie die quälenden Haltungsbedingungen der "lebensmittelliefernden" Tiere beenden will, hat auf dem politischen Parkett der Zukunft nichts mehr zu suchen. Dies umso mehr, als das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Oktober 2010 deutlich macht, dass die Marter der Intensivtierhaltungen mit dem Staatsziel Tierschutz unvereinbar sind.


Absolut notwendig: tierschutzpolitische Sprecher

Das Gleiche gilt für Parteien, die die tierschutzpolitische Sprecherfunktion einfach nur dem landwirtschaftlichen Sprecher aufs Auge drücken, anstatt diese eigenständig zu besetzen. Von einer Partei, die für sich in Anspruch nimmt, die Zukunft gestalten zu wollen, erwarten wir, dass sie sich bereits vor der Wahl um eine kompetente Besetzung für das Fachgebiet Tierschutz kümmert. Deshalb wollen wir wissen, welche Person im Fall ihrer Wahl dieses Amt in der Fraktion übernehmen wird. Unsere letzte Frage gibt den Politikern Raum, in aller Ausführlichkeit das Tierschutzprogramm ihrer Partei vorzustellen, denn häufig erlauben dies die Landeswahlprogramme nicht.


Die Antworten der Parteien

Bei Drucklegung dieser Ausgabe der tierrechte lagen die Antworten der Parteien noch nicht vor. Wir werden diese rechtzeitig vor der Wahl auf unserer Internetseite tierrechte.de einstellen und zusammen mit einem kurzen Steckbrief der zu Ende gehenden Legislatur auf tierschutzwatch.de veröffentlichen. Zusätzlich informieren wir über unseren Tierrechte-Newsletter und unsere Geschäftsstelle.


Tierschutz: der Stellenwert der Landtagswahlen

Unsere Rechtsordnung legt fest, dass der Bund die Tierschutzpolitik bestimmt und die Bundesländer ihren Vollzug sicherstellen. Doch im politischen Alltag gibt es diese Grenzziehung in dieser Absolutheit nicht. So muss sich die Bundesregierung mit ihren Tierschutz-Rechtsnormen innerhalb der Grenzen der EU-Politik bewegen. Der Raum für nationale höhere Tierschutzanforderungen wird von Brüssel zunehmend beschnitten, wie die Umsetzung der EU-Tierversuchsrichtlinie in nationales Recht zeigt. EU-Standards sollen 1:1 im Mitgliedstaat eingeführt werden, um Wettbewerbsverzerrungen auszuschließen. Denn mehr Tierschutz, so die EU-Formel, bedingt teuere Produkte und einen unerwünschten Wettbewerbsnachteil. Umso mehr steht die Bundesregierung in der Pflicht, sich in Brüssel als Schrittmacher für höhere EU-Tierschutzstandards einzusetzen.


Bundesländer: das Potenzial nicht unterschätzen

Die Bundesländer sind über den Bundesrat an der Gesetzgebung des Bundes beteiligt. Darüber hinaus haben sie das Recht, über EU-Maßnahmen mit Bundesländerrelevanz informiert zu werden. Gleichfalls nehmen die Länder Stellung zu allen EU-Vorgaben, die ihre Interessen berühren. Anders ausgedrückt: die Bundesländer haben das Recht und die Pflicht, das Tierschutzniveau auf Bundes- und EU-Ebene mitzugestalten und darüber hinaus den Vollzug der Tierschutzvorschriften im Land sicherzustellen.

Dieser kurze Ausflug von den Landtagen nach Berlin und Brüssel lässt die verschlungenen Wege politischer Einflussnahmen und Willensbildung bei Landes-, Bundes- und EU-Politikern erahnen. Sie werden ergänzt durch parteieigene Kommunikationsnetze, die sich zwischen Bund, Ländern, Kommunen und Europa spannen. Es wäre also fatal, den Einfluss der Bundesländer auf die Tierschutzpolitik des Bundes und der EU zu unterschätzen.


Hamburg: Politik zeigt (zu) wenig Mumm

In 2008 wählten die Hanseaten die erste schwarz-grüne Landesregierung. Diese wollte die Tierschutz-Verbandsklage, die bisher nur Bremen einführte, evaluieren und die Tierversuchszahlen reduzieren. Die Linke brachte im September 2009 einen Gesetzentwurf für das Klagerecht ein. Der Bundesverband wurde als Sachverständiger angehört und musste feststellen, dass die schwarz-grüne Landesregierung nicht genug Mumm hatte, die Tierschutz-Verbandsklage zu etablieren. Die Tierversuchszahlen sanken von 2008 auf 2009 tatsächlich um 8.000 Tiere, allerdings ohne Zutun der Landesregierung. Die aktuellen Wahlprogramme von CDU, FDP und SPD erwähnen den Tierschutz mit keinem Wort. Eine Dreistigkeit, die heute eher selten vorkommt.


Sachsen-Anhalt: CDU schweigt zum Tierschutz

Zurzeit regieren in Sachsen-Anhalt CDU und SPD als große Koalition. In der fünfjährigen Legislatur kam das Thema Tierschutz vereinzelt zur Sprache. Engagiert war lediglich die Partei Die Linke. Das aktuelle Wahlprogramm der CDU schweigt zum Tierschutz! Die FDP will sich um Tiere im Zusammenhang mit der Artenvielfalt kümmern, Die Linke und die SPD kündigen an, den Schutz der Tiere in der Landwirtschaft zu erhöhen. Das Wahlprogramm der Grünen, die bisher nicht im Landtag vertreten sind, zielt auf eine artgemäße und ökologische Tierhaltung. Weitere Punkte im grünen Wahlprogramm: die Einführung der Tierschutz-Verbandsklage, das Verbot der Tierversuche bei ethischer Unvertretbarkeit, die Förderung von Alternativen zum Tierversuch, das Verbot der Wildtierhaltungen in Zirkussen und die finanzielle Förderung von Tierheimen.


Baden-Württemberg: Tierschutz in allen Wahlprogrammen

Das bisher schwarz-gelb regierte Baden-Württemberg hat den zurzeit einzigen deutschen - durch Stiftungsgelder finanzierten - Lehrstuhl für Tierversuchsalternativen eingeführt, einen Forschungspreis und vorübergehend auch einen Forschungsetat für Tierversuchsalternativen ausgewiesen. Die Wahlprogramme der fünf Parteien greifen den Tierschutz in der landwirtschaftlichen Tierhaltung auf, Tierversuche und Förderung von Ersatzverfahren sind bei CDU und B90/Die Grünen Thema, die SPD benennt außerdem das Landesjagdrecht.


Rheinland-Pfalz zeigt Flagge

Das SPD-regierte Rheinland-Pfalz hat in der Tierschutzpolitik mehrfach Flagge gezeigt. Zuletzt durch seine erfolgreiche Klage beim Bundesverfassungsgericht gegen die Käfighaltung von "Legehennen" in sogenannter Kleingruppenhaltung. Die Landesregierung hat Forschungsgelder sowie einen Forschungspreis für Tierversuchsalternativen ausgewiesen und unterstützt Tierheime mit einem eigenen Etat. Die Zusage von Ministerpräsident Beck, die Tierschutz-Verbandsklage einzuführen, steht noch aus. Das aktuelle SPD-Wahlprogramm beinhaltet das Klagerecht. B90/Die Grünen legte ein ausführliches Tierschutzprogramm vor. Sie befürworten ebenso wie ihre Kollegen in Nordrhein-Westfalen und Hamburg Vegetarismus und Veganismus und werten diese Ernährungsform als einen Beitrag zum Tier- und Klimaschutz. Das FDP Programm stellt die Wettbewerbsfähigkeit im Konfliktfall über den Tierschutz. Die Linke nennt insbesondere die Einführung der Tierschutz-Verbandsklage sowie den Tierschutz in der Landwirtschaft.Die CDU thematisiert den Tierschutz unter dem Punkt "Schöpfung bewahren" und will hohe Strafen bei Verstößen gegen das Tierschutzgesetz.


Ausführliche Informationen zu den Landtagswahlen finden Sie unter: www.tierrechte.de und www.tierschutzwatch.de oder rufen Sie in unserer Geschäftsstelle an.

(*)
Hamburg: Bürger gegen Tierversuche Hamburg e.V.
Baden-Württemberg: Menschen für Tierrechte - Tierversuchsgegner Baden-Württemberg e.V.
Sachsen-Anhalt: Tierschutz Halle e.V.
Rheinland-Pfalz: Menschen für Tierrechte - Tierversuchsgegner Rheinland-Pfalz e.V.


AKTUELL

Kurz vor Drucklegung dieser Ausgabe verbreiteten Agenturmeldungen, dass Bundesministerin Ilse Aigner ein Verbot für neue Käfig-Anlagen von Hühnern plane. Die Ministerin ist hier sowieso in der Pflicht, denn das Bundesverfassungsgerichtsurteil verlangt von der Bundesregierung, die Haltung von "Legehennen" bis März 2012 neu zu regeln. Frau Aigner kündigte weitere Maßnahmen, wie Verbote der Ferkelkastration ohne Betäubung, des Schenkelbrandes bei Pferden sowie schärfere Haltungsvorgaben für Wildtiere und sogenannte Mast- oder Wollkaninchen an. Auch diese Punkte entspringen nicht einer couragierten Initiative, sondern sind längst überfällige Aufgaben. Courage kann Frau Aigner dennoch zeigen, indem sie die Haltungsvorgaben in Deutschland deutlich über das von der EU vorgegebene Niveau anhebt.


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Quelle:
tierrechte - Nr. 55/Februar 2011, S. 10-11
Infodienst der Menschen für Tierrechte -
Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.
Roermonder Straße 4a, 52072 Aachen
Telefon: 0241/15 72 14, Fax: 0241/15 56 42
E-Mail: info@tierrechte.de
Internet: www.tierrechte.de

tierrechte erscheint viermal jährlich.
Der Verkaufspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten.


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. März 2011