Schattenblick →INFOPOOL →TIERE → TIERSCHUTZ

TIERVERSUCH/609: "Tiermodelle" werden zunehmend in Frage gestellt (tierrechte)


tierrechte 2.14 - Nr. 67, Juni 2014
Menschen für Tierrechte - Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V

Werden zunehmend in Frage gestellt: 'Tiermodelle'

Von Christiane Hohensee



'Tiermodelle' werden sie verharmlosend genannt, die verschiedensten Versuchsaufbauten mit Tieren. Die Maus ist dabei das Versuchstier Nr. 1. Doch die Kritik am Tierversuch wird lauter - nachstehend ein paar Fakten.


Der Toxikologe und Mediziner Professor Thomas Hartung, Direktor des Center for Alternatives to Animal Testing (CAAT), bringt die Kritik an den künstlich krank gemachten Tieren in der Ausgabe 3/13 des Magazins ALTEX vor:

Beim Tier wird eine Krankheit ausgelöst oder eine Verletzung zugefügt, damit das 'Tiermodell' dem Krankheitsphänomen des kranken Menschen möglichst ähnlich wird. Das Tier würde selbst unter dieser Krankheit aber gar nicht leiden. Außerdem muss oft ein akutes Tiermodell für ein chronisches Krankheitsphänomen, z.B. Diabetes Typ 2, herhalten, das sich im Menschen erst im Laufe vieler Jahre entwickelt, beim Tier aber 'auf Knopfdruck' ausgelöst wird, indem z.B. beim Tier die Insulin produzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse zerstört werden. Beim Tier wird so lediglich ein monofaktorielles Krankheitsphänomen erzeugt und außer Acht gelassen, dass die Entstehung von Krankheiten im Menschen in Wirklichkeit multifaktoriell ist. Denn viele äußerliche und individuelle Faktoren beeinflussen sowohl die Entstehung von Krankheiten als auch den Heilungsverlauf, wie Ernährung, körperliche Bewegung, Lebensgewohnheiten wie Rauchen, Alkohol und Drogenkonsum und psychische Faktoren.


Ähnlichkeiten im Zufallsbereich

Im Jahr 2013 kam ein US-amerikanisches Forscherteam um Shaw Warren vom Bostoner Massachusetts General Hospital nach einer aufwendigen Studie zu dem Ergebnis, dass sich die an Tieren gewonnenen Erkenntnisse bei Entzündungsprozessen in späteren Studien an Menschen nur selten bestätigen. Um die Frage der Übertragbarkeit systematisch zu klären, verglich das Konsortium, dem rund 20 Forschungseinrichtungenangehörten, erstmals die Folgen von Entzündungsprozessen für das Erbgut von Mensch und Maus. Die Ähnlichkeiten lagen im Zufallsbereich. Zudem unterschieden sich die Reaktionen der Mäuse, selbst bei gleicher Verletzungsart, deutlich voneinander. Die Forscher kamen zu dem Ergebnis, dass die vorherrschende Annahme, molekulare Ergebnisse aus 'Mausmodellen' könnten auf den Menschen direkt übertragen werden, durch die Studie grundsätzlich in Frage gestellt wird.


Transgene Tiermodelle: Tierleid im großen Stil

Speziesunterschiede versucht man in der Forschung oft dadurch zu 'beheben', dass die Tiere genetisch manipuliert werden. Ziel der transgenen Manipulation ist die Herstellung von 'Tiermodellen', die auf den Menschen übertragbare Krankheiten widerspiegeln. In den letzten Jahren stiegen die Tierversuchsstatistiken im Bereich der Grundlagenforschung deswegen so massiv an, weil die Verwendung transgener Mäuse stark zugenommen hat. Ihr Anteil in der Forschung erhöhte sich auf knapp 30 Prozent. Bereits die 'Erzeugung' transgener Tiere ist mit großem Leid für die Tiere verbunden. Für die Entwicklung einer neuen 'Mauslinie' - also eines erfolgreich manipulierten transgenen Tieres - werden bis zu 150 Tiere 'verbraucht'. Genetisch unerwünschte oder nicht verwertbare Tiere werden aussortiert und getötet.


Ergebnisse oft unzuverlässig

Mit den gentechnischen 'Mausmodellen' wird auch versucht, eine Vielzahl an Artunterschieden zu beseitigen, die in der Toxikologie beispielsweise für die Testung neuer Substanzen von Bedeutung sind. Hier werden z.B. bestimmte Enzyme 'ausgeknockt' (ausgeschaltet) oder Genkopien zur Herstellung eines Enzyms oder humaner Rezeptoren in das Genom eines Tieres eingebaut (Knock-in). Das ALS Therapy Development Institute in Cambridge in Massachusetts untersuchte 70 Substanzen, die an Mausmodellen zur Behandlung von Amylotropher Lateralsklerose (ALS, eine degenerative Erkrankung des motorischen Nervensystems) erfolgreich getestet worden waren, zum wiederholten Male an Mäusen -nicht eine Substanz brachte den zuvor im Tierversuch erzielten Erfolg.


Transgene Mäuse 'versagen' beim Hirnschlag

Ein weiteres Beispiel sind die Erkenntnisse des Professors für Neurology and Translationale Neurowissenschaften von der Universität in Edinburgh Malcolm Macleod. Er untersuchte 2004 einschlägige Literatur zum Thema Mäusemodelle zur Forschung an Substanzen gegen Hirnschlag. Von 603 Testsubstanzen hatten 374 den Mäusen geholfen, davon gingen 97 in klinische Tests. Am Ende wirkte jedoch nur eine einzige. Diese hatte man bei Hirnschlag an den Mäusen nur getestet, weil sie zuvor schon Menschen bei Herzschlag geholfen hatte. Dass die Ergebnisse mit den Tiermodellen mit Vorsicht zu genießen seien, kritisieren mittlerweile auch die Tierversuchsbefürworter. So bemängelte vor Kurzem der Biochemiker Steve Perrin, wissenschaftlicher Vorstand des ALS Therapy Development Institute in Cambridge, Massachusetts, USA, in der März-Ausgabe von Nature u.a. ein schwaches Studiendesign. Vor allem sei die Genetik der Tiere zu überwachen, denn die gentechnische Manipulation könne sich ganz oder teilweise wieder verlieren.

KASTEN
 
Knockin-Mäuse

Bei der weiblichen Maus werden Hormone in die Bauchhöhle gespritzt, um möglichst viele Eizellen zur Ovulation zu bringen. Einen Tag nach der Verpaarung mit einem Männchen wird das Weibchen getötet, denn nur die befruchteten Eizellen (Embryonen) sind für das weitere Verfahren interessant. Den entnommenen, noch einzelligen Embryonen wird die gewünschte Erbinformation (DNA) durch feinste Nadeln eingebracht. Zwischenzeitlich wird ein zweites Weibchen mit einem durch Sterilisation zeugungsunfähigen Männchen verpaart, um eine Scheinschwangerschaft zu erzeugen. Dieser scheinschwangeren Maus werden unter Narkose zwischen 20 bis 30 der gentechnisch manipulierten Embryonen in die Eileiter eingepflanzt. Als Ammenmutter trägt sie nun die Mäuseembryonen aus. Frühestens drei Tage nach der Geburt wird bei den Mäusejungen festgestellt, ob die gentechnische Manipulation geklappt hat. Hierzu wird Gewebe entnommen, am häufigsten werden 2 bis 3 mm der Schwanzspitze abgeschnitten. An dieser Gewebeprobe wird festgestellt, welche der Nachkommen die gewünschte DNA besitzen und transgen sind. Ob diese transgenen Mäuse auch tatsächlich das gewünschte Protein produzieren, wird aber erst an ihren Nachkommen, also der zweiten Generation, ermittelt. Hierzu werden die Mäuse der zweiten Generation getötet, weil ihre Organe zum Nachweis des gewünschten Proteins benötigt werden. Würde man die Elterntiere töten, könnten diese keine weiteren transgenen Mäuse produzieren. Nur in seltenen Fällen können die Proteine in Blut oder Urin der Mäuse festgestellt werden.

Knockout-Mäuse

Bei einer Knockout-Maus wurden mittels genetischer Manipulation gezielt ein oder mehrere Gene deaktiviert (Gen-Knockout). Diese Gene tragen eine Mutation, so dass das Gentranskript nicht mehr funktionsfähig hergestellt werden kann. Diese Manipulation geschieht an den embryonalen Stammzellen (von Mäusen), die einem frühen Stadium der Eizellentwicklung (Blastozyste) entnommen worden sind. Die manipulierten Stammzellen werden in eine andere Blastozyste eingesetzt, die einer Empfängermaus eingepflanzt wird. In der Leihmutter entwickeln sich dann Tiere mit dem Knockout-Gen, allerdings nur auf einem Allel (Ausprägungsformen von Genen auf den Chromosomen. Das Säugetier hat in der Regel zwei Chromosomen von Vater und Mutter in den Zellen). Diese zur Welt kommenden Mäuse werden dann verpaart und die Nachkommen, die vom Vater- und Muttertier das genetisch manipulierte Material ererbt haben, tragen den Knockout-Defekt.

*

Quelle:
tierrechte 2.14 - Nr. 67/Juni 2014, S. 10
Infodienst der Menschen für Tierrechte -
Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.
Roermonder Straße 4a, 52072 Aachen
Telefon: 0241/15 72 14, Fax: 0241/15 56 42
E-Mail: info@tierrechte.de
Internet: www.tierrechte.de
 
tierrechte erscheint viermal jährlich.
Der Verkaufspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten.


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Juli 2014