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TIERVERSUCH/730: Erster Abbauplan kommt aus Den Haag (tierrechte)


Magazin tierrechte - Ausgabe 2/2017
Menschen für Tierrechte - Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V

Erster Abbauplan kommt aus Den Haag

von Dr. Christiane Baumgartl-Simons


Die Weihnachtsüberraschung war gelungen. Im Dezember 2016 präsentierten die Niederlande ihren Abbauplan für Tierversuche. Sie haben damit als erster EU-Mitgliedstaat gezeigt, dass sie hinter dem Auftrag der EU-Richtlinie stehen und - was noch bedeutender ist - seine Umsetzung in die Praxis schultern wollen.


Das Nationale Komitee für den Schutz von Tieren (NCad) hat am 15. Dezember 2016 seinen Bericht für den Abbau der Tierversuche vorgelegt. Damit kam der Ausschuss der Aufforderung des Wirtschaftsministeriums nach. Dessen Staatssekretär hatte im April 2016 eine umfassende Planung zum Abbau der Tierversuche eingefordert. Zielvorgabe war unter anderem, die gesetzlich vorgeschriebenen Giftigkeitstests bis 2025 zu verbieten. Die Niederlande wollen zudem bis 2025 weltführend für tierversuchsfreie Methoden sein und sehen eine realistische Chance, dies auch zu erreichen. NCad spricht dabei klar aus, dass der Abbau der Tierversuche kein Selbstläufer ist.


Regulatorische Tests bis 2025 beenden

NCad betont, dass eine Gesamtstrategie notwendig ist. Nur so bestehen realistische Chancen, die regulatorischen Tests bis 2025 komplett einzustellen. NCad unterteilt die Tierversuche in unterschiedliche Bereiche und beurteilt ihre Reduktionsmöglichkeit bis zum Jahr 2025. Danach können Tierversuche für regulatorische Sicherheitstests für Chemikalien, Lebensmittelzusätze, Pestizide und (Tier-) Medizinprodukte unter Einhaltung des gleichen Sicherheitsniveaus bis 2025 beendet werden. Auch biologische Produkte wie zum Beispiel Impfstoffe könnten für die Vermarktung unter Einhaltung des gleichen Sicherheitsniveaus bis 2025 tierversuchsfrei getestet werden.


Grundlagenforschung: Einzelpläne helfen weiter

Nicht beendet werden könnten bis 2025 regulatorische (präklinische) Tests, die im Zusammenhang mit der Registrierung von neuen biologischen Substanzen und Produkten durchgeführt werden. Tierversuche in der erkenntnisorientierten und anwendungsoffenen Grundlagenforschung können, nach NCad, in den nächsten 10 Jahren keinesfalls beendet werden. Die komplexen Abläufe und Interaktionen in einem Gesamtorganismus seien derzeit noch nicht nachzubilden. Hier sind, so NCad, bereichsspezifische 10-Jahres-Einzelpläne erforderlich, deren Erstellung die Regierung verfolgen wird. Auch die Tierversuche in der angewandten und translationalen Forschung - also der Forschung, die sich mit der Umsetzung der präklinischen Forschung in die klinische Entwicklung beschäftigt - können bis 2025 nicht eingestellt werden. Aber die Entwicklung tierversuchsfreier Methoden für diesen Bereich könne beschleunigt werden. Auch dadurch, dass mehr auf humanspezifische Modelle und weniger auf Tiermodelle gesetzt wird. Die Niederlande wollen genau für diesen Bereich international führend werden. Der sogenannte Tierverbrauch in der Aus-, Fort- und Weiterbildung könne ebenfalls stark reduziert werden.


Umfassende Umsetzungsstrategie

Zum Gesamtplan gehört eine Umsetzungsstrategie. Sie beinhaltet eine internationale Zusammenarbeit, um eine neue Herangehensweise an die Risikobewertung von Substanzen durchzusetzen. Eine multidisziplinäre Zusammenarbeit für die Entwicklung und Anerkennung von tierversuchsfreien Verfahren gehört ebenso dazu wie die Nutzung von Humandaten, das Controlling der Verbreitung tierversuchsfreier Methoden einschließlich der Dokumentation des Rückgangs der Tierversuche sowie die Entwicklung eines Nachschlagkatalogs für tierversuchsfreie Methoden. Dieser sogenannte Innovationsindex soll in Zusammenarbeit mit anderen Ländern erstellt werden.


Nötig: Zusammenarbeit aller Stakeholder

Für den Abbau der Regulatorischen Tests soll ein Umsetzungsmanagement sorgen. Der Schlüssel zum Erfolg ist die (internationale) Zusammenarbeit aller Stakeholder. Die Prozessführung liegt beim Landwirtschaftsminister unter Einbeziehung weiterer Ministerien. Eine bereits existierende Arbeitsgruppe für Alternativen wird laut NCad zur Management-AG umfunktioniert. In die AG sind Vertreter mehrerer Ministerien eingebunden. In Absprache mit allen Stakeholdern soll eine Agenda der neu zu entwickelnden tierversuchsfreien Methoden erstellt werden.


Niederlande streben Führungsrolle an

Die Niederlande wollen eine internationale Führungsrolle für die Beschleunigung des Paradigmenwechsels übernehmen. NCad strebt an, dass die EU Kommission eine EU-Strategie entwickelt, die unter anderem die Aufnahme der tierversuchsfreien Verfahren in die OECD-Prüfrichtlinien verfolgt und zeitgleich die Streichung des obsoleten Tierversuchs durchsetzt. Der Abbauplan der Niederlande fußt auf Sachkunde. Er zeigt aber auch das richtige Maß an Mut, um die Entwicklungen voranzutreiben und dafür auch die Verantwortung zu übernehmen. Dieser Eindruck wird durch unser Interview mit dem Vorsitzenden von NCad, Dr. Herman Koëter, verstärkt.


Was macht Deutschland?

Warum fehlt deutschen Politikern und Forschungseinrichtungen die Courage der niederländischen Regierung? Statt Unterstützung schickt die Deutsche Forschungsgemeinschaft folgende Botschaft nach Den Haag: Der Tierversuch bleibt untrennbar mit der Grundlagenforschung verbunden. Und Bundeslandwirtschaftsminister Schmidt lässt unsere Fragen unbeantwortet, ob Deutschland den niederländischen Plan befürwortet oder andere Abbaumaßnahmen verfolgt. Obwohl in den Niederlanden im März Parlamentswahlen stattfanden und die neue Landesregierung noch nicht bekannt ist, ist Hermann Koëter sehr sicher, dass der Abbauplan umgesetzt wird. Eine sehr erfreuliche Perspektive auch deshalb, weil die niederländischen Vorstellungen hervorragend mit unserem Masterplan für den Ausstieg aus dem Tierversuch harmonieren.

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Quelle:
Magazin tierrechte - Ausgabe 2/2017, S. 6-7
Menschen für Tierrechte
Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.
Mühlenstr. 7a, 40699 Erkrath
Telefon: 0211 / 22 08 56 48, Fax. 0211 / 22 08 56 49
E-Mail: info@tierrechte.de
Internet: www.tierrechte.de
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Oktober 2017

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