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ATOM/805: Mülldeponien und Verbrennungsanlagen als Atommüll-Endlager (BI Lüchow-Dannenberg)


Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg e.V. - Pressemitteilung vom 9. März 2010

Staatsanwalt ermittelt gegen Pläne der Strahlenschutzkommission:
Mülldeponien und Verbrennungsanlagen als Atommüll-Endlager


Während über Laufzeitverlängerungen der Atomkraftwerke diskutiert wird, kümmern sich die Wissenschaftler der Atomindustrie schon längst um ein konzernverträgliches Ende der Atomkraftwerke.

Experten gehen von mehreren hunderttausend Tonnen radioaktiv kontaminierter Abfälle aus, die aus dem Rückbau der Atomkraftwerke geordnet in ein Endlager verbracht werden müßten. Allerdings steht nach der Schließung von Asse II und Morsleben sowie durch die Mengenbegrenzung der Genehmigung für Schacht Konrad gar kein Endlager zur Verfügung.

Die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg hat mit ihrer Strafanzeige gegen den jetzigen Vorsitzenden Prof. Dr. Rolf Michel und seinen Vorgänger Prof. Dr. U.W. Müller sowie die verantwortlichen Mitarbeiter Dr. S. Thierfeldt und G. Schaller aufgedeckt, daß die Strahlenschutzkommission (SSK), ein wissenschaftliches Beratergremium des Bundesumweltministeriums, die anfallenden Mengen klein rechnet und daraus eine Empfehlung ableitet, etwa 70% der anfallenden radioaktiv verstrahlten Müllmenge durch "Freigabe zur Beseitigung" auf 25 bis 30 Mülldeponien und in Müllverbrennungsanlagen zu beseitigen.

Wird radioaktiver Müll auf einer Deponie abgekippt, wandern die Radionuklide spätestens nach 200 Jahren durch die nicht mehr vorhandene Bodenabdichtung ins Grundwasser. Im Fall der Verbrennung werden kurz- und langlebige Nuklide sofort über die Abluft der Müllverbrennungsanlagen übers Land verteilt.

Bereits 2001 wurde für den Rückbau der beiden DDR-Atomkraftwerke in Lubmin bei Greifswald und Rheinsberg durch eine Änderung der Strahlenschutzverordnung die Umwandlung von Atommüll in gewöhnlichen Abfall für 100- bis mehr als 100.000-fach höhere Aktivitätskonzentrationen in kontaminiertem Abfall gegenüber behördlich kontrollierten Ableitungen aus Strahlenschutzbereichen zugelassen. Durch Intervention der BI eingearbeitete notwendige Berichtigungen im Sinne des Strahlenschutzes wurden von den Ländern Bayern und Baden-Württemberg im Bundesrat abgeschmettert.

2005 schlug die Strahlenschutzkommission eine "verbesserte" Verwaltungsvorschrift zu § 47 der Strahlenschutzverordnung vor, die um den Faktor 1.000 höhere Dosisbeiträge durch die Ableitung radioaktiver Stoffe mit der Fortluft oder dem Abwasser vorsahen, um dann in ihrer letzten Empfehlung "Freigabe von Stoffen zur Beseitigung" von 2007 mit diesen fiktiven und nie zur Verwaltungsvorschrift gewordenen Werten das gewünschte Ergebnis von ca. 70% "normalem Müll" aus dem Rückbau zu kommen.

So empfehlen die Wissenschaftler beispielsweise, die Verbrennung von bis zu 1000 Tonnen des Transuran Curium pro Jahr freizugeben. Das Radionuklid hat eine Halbwertzeit von 340 Millionen Jahren. Das bedeutet, daß nach 340 Millionen Jahren noch die Hälfte der Aktivität besteht, nach weiteren 340 Millionen Jahren immer noch ein Viertel usw. Nach vorsichtiger vergleichbarer Berechnung, wie sie für die Festlegung von Freigrenzen angewandt wird, kommt die BI in ihrer Untersuchung der SSK-Empfehlungen zu geplanten unvorstellbar hohen Strahlenbelastungen, bei der Freigabe von 1.000 Tonnen Curium zum Beispiel zur Strahlenbelastung einer Person von 10 Sievert pro Jahr - gegenüber der verbindlichen europäischen Richtlinie einer maximale Belastung von 0,000001 Sievert pro Jahr und Person!

Die BI Umweltschutz Lüchow-Dannenberg: "Geht es nach diesen Empfehlungen, wird es eine Häufung von Strahlenerkrankungen nicht mehr in der Nähe von Atomkraftwerken geben, wie sie die KIKK-Studie festgestellt hat, sondern flächendeckend mit unabsehbaren Folgen. Wir sehen in den Empfehlungen der Wissenschaftler mindestens die leichtfertige Absicht, die Gesundheit vieler Menschen zu schädigen, wenn nicht ihrem Tod zu verursachen."


Hintergrund

Die Strafanzeige richtet sich gegen Empfehlungen der genannten Mitglieder der SSK, die in ihrem Heft 54 davon schwärmen, der Atomindustrie den Rückbau ihrer Schrottkisten erheblich zu verbilligen. Besonders der beklagte Herr Schaller beschäftigt sich seit 1990 mit dieser dankenswerten Aufgabe.

1998 gab es eine erste Empfehlung der SSK "Freigabe von Materialien, Gebäuden und Bodenflächen mit geringfügiger Radioaktivität aus anzeige- oder genehmigungspflichtigem Umgang".

2001 gab es eine erste Änderung der StrSchV, die die BI versucht hat, positiv zu beeinflussen, was letztlich am Einspruch von Ba-Wü und Bayern im Bundesrat gescheitert ist, und leider nach Verabschiedung von der BI nicht beklagt wurde.

2007 hat die BI wiederum im Vorfeld auf das BfS einzuwirken versucht, und es ist ihr ein Memo des BFS zum BI-Brief zugespielt worden. Sigmar Gabriel hat sich gehütet, das Ding anzufassen.

Der Kern unserer Argumentation lautet schlicht und zu Recht: Betrug. Die Begründung ist einfach: bei "Freigaben", die radioaktiven Abfall zu nicht radioaktivem Abfall machen, wird (nur) mit der "spezifischen Aktivität" (Aktivitätskonzentration in Bq pro Gramm) gerechnet, die BI fordert die Berechnung der "Gesamtaktivität", also der Masse mal Bq/g, und die Non-paper-Stellungnahme des BfS zum Brief der BI von 2007 bestärkt uns auch darin, ohne dass BfS oder BMU was unternommen hätten.

So sind weiterhin die Rechenkünste der SSK Grundlage zukünftiger gewollter radioaktiver Verseuchung - die zukünftigen Generationen haben uns ja nix anzugehen. Bei bestimmten Stoffen gibt es z.B. keinen Unterschied in der Belastung durch 100 oder 1.000 Tonnen auf der Deponie oder in der MVA, usw.

Natürlich können/müssen wir einem wissenschaftlichen Beratergremium des BMU unterstellen, dass es weiß, was es da tut, und darauf fußt die Strafanzeige.


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Quelle:
Pressemitteilung, 09.03.2010
Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg e.V.
Rosenstr. 20, 29439 Lüchow
Tel. 05841/46 84, Fax: 05841/31 97
E-Mail: buero@bi-luechow-dannenberg.de
Internet: www.bi-luechow-dannenberg.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. März 2010