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ATOM/1086: "Betrug an den Menschen in und um Salzgitter" (Strahlentelex)


Strahlentelex mit ElektrosmogReport
Unabhängiger Informationsdienst zu Radioaktivität, Strahlung und Gesundheit
Nr. 670-671 / 28.Jahrgang, 4. Dezember 2014

Atommüll
"Betrug an den Menschen in und um Salzgitter"

von Thomas Dersee



Das "Nationale Entsorgungsprogramm" der Bundesregierung geht von doppelt so vielen radioaktiven Abfällen für Schacht KONRAD aus wie bisher.

Der Entwurf eines "Nationalen Entsorgungsprogramms" "für eine verantwortungsvolle und sichere Entsorgung bestrahlter Brennelemente und radioaktiver Abfälle" ist jetzt über die Süddeutsche Zeitung öffentlich geworden und liegt nun auch dem Strahlentelex vor.[1] Darin wird erstmals eingeräumt, daß es große Mengen radioaktiver Abfälle gibt, die bisher nicht berücksichtigt worden sind, zuletzt auch nicht in dem Verzeichnis radioaktiver Abfälle, welches das Bundesumweltministerium am 28. Oktober 2014 vorlegte. Strahlentelex hatte in seiner vorigen Ausgabe berichtet.[2]

Die Richtlinie 2011/70/Euratom des Rates vom 19. Juli 2011 über einen "Gemeinschaftsrahmen für die verantwortungsvolle und sichere Entsorgung abgebrannter Brennelemente und radioaktiver Abfälle" verpflichtet die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, ein Nationales Entsorgungsprogramm zu erstellen und bis spätestens zum 23. August 2015 gegenüber der Europäischen Kommission zu notifizieren. Der Entwurf dieses Programms wird derzeit mit den Bundesländern abgestimmt und soll in den nächsten Wochen veröffentlicht werden, heißt es.

Der jetzt vorliegende Entwurf des Nationalen Entsorgungsprogramms vom 11. September 2014, das wie das Verzeichnis vom Oktober 2014 ebenfalls unter der Federführung des Bundesumweltministeriums erstellt wurde, spricht nun auch davon, daß in der Schachtanlage Asse rund 47.000 Kubikmeter schwach- und mittelradioaktive Abfälle eingelagert wurden. Derzeitige Schätzungen für die Rückholung der radioaktiven Abfälle gingen deshalb von einem Volumen von mindestens 100.000 Kubikmeter kontaminierten Materials aus, was einem Abfallgebindevolumen in der Größenordnung von 200.000 Kubikmeter entspreche. Aus der Urananreicherung in Gronau werde zudem mit bis zu 100.000 Kubikmetern weiteres Abfallgebindevolumen abgereicherten Urans gerechnet. Für die Entsorgungsplanung werde somit von einer Gesamtmenge der zu entsorgenden Abfälle mit vernachlässigbarer Wärmeentwicklung von rund 600.000 Kubikmetern ausgegangen.

Das ist eine Verdoppelung der Mengen, die sämtlich im Lager Konrad eingelagert werden sollen. Das in Errichtung befindliche Endlager Konrad ist jedoch nur für die Aufnahme von bis zu 303.000 Kubikmeter radioaktiver Abfälle mit vernachlässigbarer Wärmeentwicklung planfestgestellt. "Nach Inbetriebnahme des Endlagers Konrad", also erst wenn die Zuständigkeit für weitere Genehmigungen vom Land Niedersachsen auf das neue Bundesamt für kerntechnische Entsorgung übergegangen ist, soll dann "geprüft werden", ob eine Einlagerung dieser Abfälle über den bisherigen Planfeststellungsbeschluss hinaus in Betracht komme und die im Mittel jährlich einzulagernde Abfallmenge in Höhe von 10.000 Kubikmetern vergrößert werden kann, "um nach Möglichkeit den Zubau weiterer Zwischenlagerkapazitäten nach Inbetriebnahme des Endlagers Konrad zu vermeiden".

Das neue Bundesamt für kerntechnische Entsorgung ist dem Standortsuchgesetz zufolge dann allein für sämtliche Genehmigungsbelange zuständig, auch für die wasserrechtlichen Genehmigungen, die für das Lager Konrad bislang noch relativ restriktiv ist.

Die Arbeitsgemeinschaft Schacht KONRAD spricht deshalb von Betrug: "Was sich hier abzeichnet, ist ein großangelegter Betrug an den Menschen in und um Salzgitter und eine Ohrfeige für die niedersächsische Genehmigungsbehörde". "Ist das die vielbeschworene Offenheit und Transparenz bei der Endlagersuche? Wenn die Bundesregierung mehr und anderen Müll in KONRAD lagern will, dann soll sie die Karten auf den Tisch legen und die Erweiterung jetzt beantragen", fordert Ludwig Wasmus für die Arbeitsgemeinschaft Schacht KONRAD.

Der Niedersächsische Umweltminister Wenzel wird deshalb aufgefordert, als derzeit noch zuständige Genehmigungs- und Aufsichtsbehörde Schacht KONRAD neu zu bewerten. Es sei nicht hinzunehmen, daß mit KONRAD ein Atommülllager auf dem Stand von Wissenschaft und Technik von vor 25 Jahren eingerichtet wird, wenn absehbar und erklärtermaßen nach Inbetriebnahme mehr und anderer Müll dort eingelagert werden soll als genehmigt. Solange das niedersächsische Umweltministerium noch Genehmigungs- und Aufsichtsbehörde ist, ist es auch gefordert zu handeln und absehbaren Schaden abzuwenden, so Peter Dickel von der Arbeitsgemeinschaft Schacht KONRAD.

1975 wurde das alte Eisenerzbergwerk Schacht KONRAD in Salzgitter als Endlager für schwach wärmeentwickelnde radioaktive Abfälle auserkoren. Es sollte ursprünglich bereits 1986 in Betrieb gehen. 39 Jahre später, nach 20 Jahren Planfeststellungsverfahren und 289.387 Einwendungen (1991) sind die Pläne, Annahmen, Modelle und Berechnungen heute hoffnungslos veraltet. Eine tatsächliche Inbetriebnahme nicht in Sicht.

Anders als bei dem jetzt neu zu suchenden Standort für hochaktiven Atommüll sollen beim bereits genehmigten KONRAD-Projekt keine Konsequenzen aus den Erfahrungen mit dem havarierten Salzbergwerk ASSE II gezogen werden. Es ist hier keine Rede von Rückholbarkeit und Bergbarkeit.

Die Menge der einzulagernden Stoffe wird nicht durch die Kapazität des Erzlagers begrenzt, sondern durch den Langzeitsicherheitsnachweis. Während das Lagervolumen nahezu beliebig erweitert werden könnte, bedürfte eine Veränderung der Zusammensetzung des Mülls eines neuen Langzeitsicherheitsnachweises, mithin eines neuen Planfeststellungsverfahrens, erklärt die Arbeitsgemeinschaft Schacht KONRAD. Im Wort stehe deshalb jetzt auch die Niedersächsische Landesregierung, die in ihrem Koalitionsvertrag eine Überprüfung festgeschrieben hat, ob das KONRAD-Projekt noch dem Stand von Wissenschaft und Technik entspricht.

Die Freisetzungen radioaktiver Abfälle bleiben unbeachtet

Die Atommüllmengen sind jedoch tatsächlich noch sehr viel größer als in den bisherigen Entsorgungsprogrammen und Verzeichnissen aufgeführt. Unbeachtet und unberücksichtigt bleiben weiterhin die in die Umwelt freigesetzten und freigemessenen Mengen radioaktiv kontaminierter Materialien aus dem Rückbau der Atommeiler. Sie betragen rund 95 Prozent der Abrißmengen, lediglich 5 Prozent sind für End- und Zwischenlagerungen eingeplant. Die Lagermengen könnten also nicht nur doppelt, sondern leicht zwanzigfach größer sein, würden die radioaktiven Abfälle sämtlich unter Gesichtspunkten des Strahlenschutzes verwahrt werden und nicht, wie das bereits tatsächlich geschieht, zu 95 Prozent in die Umwelt freigesetzt und recycelt.

Die freigesetzten Aktivitätsmengen sind dabei nicht gering. Für 14.500 Tonnen sogenannter freigemessener radioaktiver Abfälle aus dem stillgelegten Atomkraftwerk Lubmin bei Greifswald, die von 1996 bis Mitte 2010 auf der Deponie Ihlenberg bei Schönberg, östlich von Lübeck, abgelagert wurden, gab das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus Mecklenburg-Vorpommern die Masse von vier "für die Freigabe von Reststoffen bedeutsamen" Radionukliden mit 1,08 Milligramm an, die jedoch eine Aktivität von 6,9 Milliarden radioaktive Zerfälle pro Sekunde (Becquerel) aufweisen.[2] Diese bilden das Maß für die Schadwirkung, nicht die Menge in Milligramm.


Anmerkungen

1. Programm für eine verantwortungsvolle und sichere Entsorgung bestrahlter Brennelemente und radioaktiver Abfälle (Nationales Entsorgungsprogramm), ENTWURF vom 11. September 2014

2. Bundesumweltministerium legt Verzeichnis radioaktiver Abfälle vor: Strahlentelex 668-669 v. 6.11.2014,
www.strahlentelex.de/Stx_14_668-669_S11.pdf

3. Große Mengen Atommüll vorgeblich "freigemessen" und wie gewöhnlichen Müll auf Deponien abgelagert: Strahlentelex 570-571 v. 7.10.2010,
www.strahlentelex.de/Stx_10_570_S09-10.pdf


Der Artikel ist auf der Website des Strahlentelex zu finden unter
www.strahlentelex.de/Stx_14_670-671_S04-05.pdf

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Quelle:
Strahlentelex mit ElektrosmogReport, Dezember 2014, Seite 4 - 5
Herausgeber und Verlag:
Thomas Dersee, Strahlentelex
Waldstr. 49, 15566 Schöneiche bei Berlin
Tel.: 030/435 28 40, Fax: 030/64 32 91 67
E-Mail: Strahlentelex@t-online.de
Internet: www.strahlentelex.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Januar 2015


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