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AKTION/083: Rotmilankartierung - Mitarbeit willkommen beim Zählen für den Artenschutz (Vogelschutz)


Vogelschutz - 1/2012
Magazin für Arten- und Biotopschutz

Naturschutz gleicht oft dem Kampf Don Quijotes gegen die Windmühlen. Umso mehr müssen wir unsere begrenzten Kräfte zielgerichtet und strategisch sinnvoll einsetzen - die richtigen Arten am richtigen Ort mit den richtigen Maßnahmen stützen. "Richtige Arten" können Spitzenreiter der Roten Listen sein, "Flaggschiffarten", die ganze Lebensgemeinschaften repräsentieren und vor allem die Arten, für deren Überleben wir europa- oder weltweite Verantwortung tragen. Unter den heimischen Vogelarten steht eine Greifvogelart im Hinblick auf diese Kriterien ganz oben auf allen Ranglisten:

Der Rotmilan - Zählen für den Artenschutz
Die Rotmilankartierung 2011/2012 erarbeitet Grundlagen für den Schutz eines stark gefährdeten Greifvogels

von Ulrich Lanz



Über 50% des Rotmilan-Weltbestands brüten in Deutschland ... noch ... denn seine Bestände gehen stetig zurück, allein in den letzten zwei Jahrzehnten um 30%. Die "richtigen Maßnahmen" für seinen Schutz oder wenigstens die Ansatzpunkte dafür kennen wir - aber die "richtigen Orte", wo wir sie anwenden müssen, allenfalls zum Teil. Der Dachverband Deutscher Avifaunisten (DDA), die Staatliche Vogelschutzwarte am Bayerischen Landesamt für Umwelt (LfU) und der LBV rufen daher zur Mitwirkung an einer bundesweiten Erfassung auf, welche die für einen effizienten Schutz noch fehlenden Daten liefern soll.

Der Rotmilan ist eine ebenso eindrucksvolle wie elegante Erscheinung
Mit einer Spannweite von bis zu 1,70 m ist der Vogel des Jahres 2000 nach See- und Steinadler der größte heimische Greifvogel. Im Flug macht ihn sein tief gegabelter Schwanz unverwechselbar. Aber auch am Boden oder auf einer Ansitzwarte fällt der Rotmilan durch sein buntes, rot, braun und weiß gezeichnetes Federkleid weithin auf. Aber nicht nur deshalb ist der Rotmilan eine vergleichsweise bekannte Greifvogelart: Als Offenlandjäger und Thermiksegler ist er viel leichter und öfter zu beobachten als andere, versteckter lebende Greifvogelarten. In Deutschland sind 10.000-14.000 Rotmilanpaare - mehr als die Hälfte des Weltbestandes - zu Hause, 750-950 davon in Bayern. Dass wir damit hierzulande weltweite Verantwortung für den Erhalt des Rotmilans tragen, stellt Naturschutzverbände und -behörden angesichts des anhaltenden Bestandsrückgangs vor eine große Herausforderung.
Besonders gravierend sind die Bestandsrückgänge im Osten Deutschlands, vor allem im Harzvorland und in Sachsen-Anhalt. Aber auch in Bayern hatte der Rotmilan insbesondere in den 1980er und 1990er Jahren starke Bestandsabnahmen zu verzeichnen und zählt zu den stark gefährdeten Arten.

Für den bedrohlichen Abwärtstrend sind mehrere Faktoren verantwortlich:
• Der Kulturfolger geht bevorzugt in halboffenen, reich strukturierten Agrarlandschaften auf Nahrungssuche. Damit ist der Rotmilan "Flaggschiffart" für alle Agrararten, die in einer immer intensiver genutzten Feldflur nicht mehr ausreichend Nahrung finden. Besonders zu schaffen machen ihm der fortschreitende Umbruch von Grünland - dort würde er deutlich mehr Kleinsäuger erbeuten können als auf Ackerland. Auch der Anbau dichter wachsender Getreidesorten und anderer schnellwüchsiger Feldfrüchte, die Kleinsäuger für ihn unerreichbar machen, und das Verschwinden von Grünwegen als alternative Jagdmöglichkeiten tragen zu seinem Rückgang bei. All diese Veränderungen erschweren dem Rotmilan die Jagd und haben seinen Bruterfolg sinken lassen. Besonders problematisch dürfte sich für den Rotmilan auch der Boom in der Biomassenutzung auswirken: Man spricht ja bereits von der "Vermaisung" der Landschaft im Umfeld der allerorten aus dem Boden schießenden Biogasanlagen - wie vielen anderen Arten entzieht dieser neue Trend auch dem Rotmilan wichtigen Lebensraum.
• An seinem meist an Waldrändern oder in Feldgehölzen gelegenen Horst ist der Rotmilan störungsempfindlich - Waldarbeiten oder Freizeitaktivitäten in Horstnähe führen schnell zur Brutaufgabe, und der mittlerweile vielerorts ganzjährig erfolgende Holzeinschlag sowie der wachsende Erholungsdruck in der Kulturlandschaft stellen eine ernsthafte Bedrohung des Brutgeschehens dar.
• Wie alle Großvogelarten verendet auch der Rotmilan oft an unzureichend gegen Stromschlag gesicherten Mittelspannungsmasten. Die Mastensicherung macht zwar auch in Bayern Fortschritte - die durch eine Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes vorgegebene Verpflichtung einer vollständigen Sicherung aller Trassen bis 2012 haben die bayerischen Stromversorger aber bei weitem noch nicht erfüllt.
• Ganz aktuell rückt in Zeiten der "Energiewende" der verhängnisvoll geringe Respekt des Rotmilans vor Windkraftanlagen in den Fokus: Der Thermiksegler unterschätzt offenbar leicht das Tempo der schnell drehenden Rotoren und fällt diesen ungewöhnlich oft zum Opfer - 12% aller in der Zentralen Fundkartei über Anflugopfer an Windenergieanlagen gemeldeten Verluste entfallen auf den Rotmilan. Da sich die Mehrzahl der Verluste in der Brutzeit ereignet, sind Folgeverluste durch Brutausfälle die unausweichliche Folge. Die im bayerischen Energiekonzept angepeilte Errichtung von 1.000 neuen Windkraftanlagen in den kommenden zehn Jahren bringt daher erhebliche Risiken für den Rotmilan mit sich und macht die Berücksichtigung aller Vorkommen bei der Festlegung der Vorranggebiete für die Windkraft ebenso dringend erforderlich wie in den Genehmigungsverfahren. Dies wird jedoch in der Genehmigungspraxis häufig nicht ausreichend berücksichtigt, auch wenn die Vorkommen bekannt sind.

Diesen Gefahren können wir oft entgegenwirken - aber nur, wenn wir genau wissen, wo unsere Maßnahmen ansetzen müssen. Die Daten des entstehenden neuen Atlas deutscher Brutvogelarten (ADEBAR) geben dafür schon wichtige Hinweise - damit lassen sich das Verbreitungsgebiet des Rotmilans und seine Dichtezentren in Bayern abgrenzen. Für effiziente Schutzmaßnahmen ist das aber zu wenig: Grobe Aussagen zum Vorkommen in einem Quadrantenraster genügen nicht einmal, um Vorranggebiete für eine Optimierung der Jagdlebensräume zu definieren. Noch weniger lässt sich anhand einer solchen groben Gebietskulisse die Einhaltung von Mindestabständen bei Eingriffen überprüfen - beispielsweise in Genehmigungsverfahren für Windkraftanlagen. Und erst recht lassen sich auf dieser Basis keine Horstschutzzonen einrichten, die verhängnisvollen Störungen des Brutgeschehens vorbeugen könnten.

Um den Abwärtstrend des Rotmilans in Deutschland stoppen zu können, brauchen wir also dringend detaillierte Kenntnisse zur Lage der einzelnen Horste und der vom Rotmilan für die Jagd genutzten Gebiete und Strukturen.
Hier setzt die bundesweite Rotmilankartierung an, die der DDA im vergangenen Jahr angestoßen hat und die noch bis 2012 läuft. In Bayern wird diese im Auftrag des LfU vom LBV koordiniert.
Die Erfassungen erfolgen innerhalb einer von der Vogelschutzwarte aufgrund älterer Verbreitungsdaten festgelegten Gebietskulisse auf der Basis der Quadranten der topographischen Karte 1:25.000. In jedem Quadranten sollen durch gezielte Beobachtung geeigneter Lebensräume mindestens die Revierzentren der dort lebenden Rotmilane, im Idealfall aber auch die genauen Horststandorte ermittelt werden. 2011 haben sich schon fast 50 ehrenamtliche Mitarbeiter an den Erhebungen beteiligt und fast 200 Quadranten abgedeckt. Das ist ein beachtlicher Erfolg, wenn man bedenkt, dass der Aufruf des DDA zu dieser Kartierung im vergangenen Jahr erst kurz vor Beginn der Erfassungsperiode erging und kaum Zeit für die Mobilisierung von Kartierern blieb.
In gut der Hälfte der kontrollierten Quadranten wurden Rotmilanreviere bestätigt - in der Regel nur ein Revier pro Quadrant, in Einzelfällen in den Dichtezentren Schwabens aber sogar bis zu 10 Reviere pro Quadrant. Insgesamt sind aus der Erfassungsperiode 2011 nun 205 Vorkommen exakt dokumentiert - sie können in künftige Schutzmaßnahmen einbezogen und bei Eingriffsverfahren berücksichtigt werden. Noch klaffen im "Rotmilan-Erwartungsgebiet" aber große Erfassungslücken. Deshalb bitten wir Sie: Unterstützen Sie uns im Schutz dieser Art, für die wir in Deutschland so große Verantwortung tragen, und beteiligen Sie sich an den Erhebungen. Der Rotmilan ist eine leicht zu erkennende und auffällige Art - insofern ist alles, was Sie für eine Mitwirkung benötigen, ein Fernglas und Zeit wenigstens für drei Reviererkundungen zwischen Mitte März und Mitte Mai. Wenn Sie darüber hinaus noch Zeit für die spätere Horstsuche erübrigen können, umso besser - zwingend ist dies aber nicht.

Wenn Sie Interesse an einer Mitarbeit haben:
wenden Sie sich bitte an uns (LBV-Artenschutzreferat, Eisvogelweg 1, 91161 Hilpoltstein, Tel. 09174/4775-31 oder -32, E-Mail: rotmilan@lbv.de).
Oder werfen Sie einen Blick ins Internet:
Unter www.lbv.de/rotmilan finden Sie umfassende Informationen zu Hintergrund und Durchführung der Rotmilankartierung sowie Detailkarten für alle relevanten Landkreise Bayerns, denen der aktuelle Bearbeitungsstand zu entnehmen ist. Außerdem können Sie sich dort auch für die Übernahme von Quadranten anmelden.

Der Autor
Ulrich Lanz
Tierarzt
LBV-Landesgeschäftsstelle
Referat Artenschutz
Telefon 09174-4775-31
E-Mail: u-lanz[at]lbv.de

Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
• Der Rotmilan (links) ist besonders häufig Opfer an Windkraftanlagen (oben), vor allem wenn diese in der Nähe seines Horstes am Waldrand platziert werden • Der gegabelte Schwanz und seine Größe machen ihn unverwechselbar: Rotmilan im Flugmanövern

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Quelle:
Vogelschutz - 1/2012, Seite 9-11
Magazin für Arten- und Biotopschutz
Herausgeber:
Landesbund für Vogelschutz in Bayern e.V. -
Verband für Arten- und Biotopschutz
LBV-Landesgeschäftsstelle
Eisvogelweg 1, 91161 Hilpoltstein
Tel.: 09174 / 47 75-0, Fax: 09174 / 47 75-75
E-Mail: info@lbv.de
Internet: www.lbv.de
 
Vogelschutz ist das Mitgliedermagazin des LBV
und erscheint vierteljährlich


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Mai 2012