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FORSCHUNG/164: El Niño, die genetische Vielfalt der Galápagos-Meerechsen & der Artenschutz (Uni Bielefeld)


BI.research 37.2010
Forschungsmagazin der Universität Bielefeld

El Niño, die genetische Vielfalt der Galápagos-Meerechsen und der Artenschutz

Von Dr. Hans-Martin Kruckis


El Niño ist der spanische Ausdruck für "der Junge", "das Kind", und im Zusammenhang mit dem bekannten Klimaphänomen konkret: "Christuskind" nur dass es mit weitaus unangenehmeren Begleiterscheinungen verbunden ist als das besinnliche Fest des Friedens. El Niño tritt in unregelmäßigen Abständen zur Weihnachtszeit im pazifischen Raum auf und beeinflusst dann drei Viertel des Weltklimas. In allen Einzelheiten ist das außerordentlich komplexe Phänomen noch nicht analysiert, es hängt aber im Wesentlichen mit unterschiedlich warmen Meeresströmungen und einer Umkehrung der Windrichtung zusammen. Dadurch steigt mit schwerwiegenden Folgen wie Unwettern die Wassertemperatur vor Südamerika deutlich an, während sie weiter westlich vor Australien und Indonesien absinkt.


Nahrungsmangel durch El Niño

In welcher Intensität das auch "El Niño Südliche Oszillation" (ENSO) genannte und eigentlich natürlich auftretende Geschehen vom Treibhauseffekt verstärkt wird, ist ebenfalls noch nicht genau erforscht. Klar ist aber, dass es gravierende Auswirkungen auf die Fauna der betroffenen Gebiete hat, zu denen auch die Galápagos-Inseln zählen. Hier hat der Bielefelder Biologe Dr. Sebastian Steinfartz zusammen mit internationalen Kolleginnen und Kollegen den Einfluss des ENSO auf die Galápagos-Meerechsen erforscht. Die Wissenschaftler interessiert, wie El Niño sich auf die genetische Populationsstruktur der Echsen auswirkt. Grundproblem für die meeresabhängige Fauna ist, dass sich durch die kurzzeitige Klimaschwankung ein dramatischer Futtermangel ergibt. Es fehlt dann an Auftrieb für nährstoffreiche kühle Strömungen, die normalerweise das Gedeihen bestimmter Meeresalgen begünstigen, und das trifft die Galápagosechsen, die sich ausschließlich von diesen Algen ernähren, besonders hart. 1997/98 kam es zur bisher schwersten El Niño-Oszillation mit Sterberaten von bis zu 90 Prozent unter den Meerechsen. Klar, dass damit auch die genetische Vielfalt der Echsen bedroht ist.


Am Rand der Bildung neuer Arten

Und diese Vielfalt ist erheblich größer, als man zuvor vermutet hatte, nämlich so groß, dass sich in bestimmten Fällen sogar die Frage stellt, ob es sich hier nicht schon um unterschiedliche Arten von Meerechsen handeln könnte. Allerdings, so Steinfartz, ist der Artbegriff gerade durch die modernen molekulargenetischen Methoden noch weiter aufgefächert worden. Eine für alle Lebewesen gültige Definition des Artbegriffs von der Bakterie und Einzeller bis hin zum Menschen wagt die Biologie schon lange nicht mehr. "Interessanter als solche starren Festschreibungen ist die Analyse des evolutionären Geschehens und seiner Dynamik, die hinter der beobachteten Differenzierung steht." Wann von einer neuen Art gesprochen werden kann, hängt damit bis zu einem bestimmten Grade von der Kreativität des jeweiligen Wissenschaftlers und seiner Einordnung und Gewichtung bestimmter biologischer Merkmale ab. Steinfartz selbst forscht in dieser Hinsicht auch an einheimischen Feuersalamandern.

Die Archipel-Struktur der Galápagos-Inseln und die starke vulkanische Aktivität, die neue Inseln entstehen und andere untergehen lässt, begünstigt dort eine schnelle genetische Diversifizierung. Dies und die verhältnismäßig große Entfernung zum Festland hat bekanntlich schon Darwins revolutionäre Einsichten zur Evolution beflügelt. Die hier lebenden Meerechsen sind weltweit die einzigen, die sich eng an den Lebensraum Meer angepasst haben. Die nächsten Verwandten der Meerechsen sind die ebenfalls einmalig auf dem Galápagos-Archipel vorkommenden Landechsen, die sich vor etwa 10 bis 11 Millionen Jahren abgetrennt haben, sich vor allem von Kaktusblüten ernähren und deutlich aggressiver sind als ihre marinen Verwandten. Aber auch Meerechsen können mitunter wehrhaft sein, wenn man sie einfängt, um für die genetische Analyse etwas Blut abzuzapfen, und sich auch schon einmal mit Bissen wehren, berichtet Steinfartz. Proben von 40 bis 50 Tieren pro Population sind eine gute Grundlage für verlässliche Analysen.

Signifikante Unterschiede gibt es bei den einzelnen Populationen hinsichtlich der Fluchtdistanz. Das hängt eng mit der unterschiedlichen Besiedlungsdichte der Galápagos-Inseln zusammen. Wo ihnen verwilderte Haustiere zusetzen können, sind die Echsen deutlich schreckhafter. "Auf einigen Inseln hat man dies Problem inzwischen gut im Griff", sagt Steinfartz, "sowohl was die Beschränkung der Besiedlung und das Verwilderungsproblem als auch was den Tourismus angeht." Wie genetisch unterschiedlich die Populationen sich auf verhältnismäßig engem Raum entwickelt haben, hat auch die Wissenschaftler überrascht. Das geht so weit, dass sich unter den Landechsen auf der Insel Isabela neben den eher unscheinbar gelb-grauen Echsen eine neue Art evolviert ist, die rosa gefärbt ist. Parallel dazu sind bei den Meerechsen nicht innerhalb einer Insel alle Populationen genetisch gleich. Aufgrund festgestellter genetischer Unterschiede vermutet Steinfartz, dass es sich bei zwei unterschiedlichen Populationen auf St. Cristobal, einer der ältesten Insel des Archipels, möglicherweise sogar um unterschiedliche Arten handelt, und will dies weiter erforschen.


Je vielfältiger desto bedrohter

Genetischer Reichtum heißt auch größere Gefährdung: Verluste bis zu 90 Prozent wie im Zusammenhang mit El Niño bedeuten dann, dass ein genetischer "Flaschenhals" droht, die betroffene Population sich also nicht regenerieren und damit ein Stück genetischer Vielfalt schnell verloren gehen kann. Global kann das Phänomen El Niño, wenn überhaupt, nur durch eine Abbremsung der Erwärmung gedämpft werden. Umso wichtiger sind lokale Maßnahmen gegen negative anthropogen bedingte Einflüsse. Das bedeutet, betont Sebastian Steinfartz, gegenüber der Politik ein anspruchsvolles Schutzkonzept durchzusetzen. Die kann sich nämlich nicht mehr damit herausreden, dass der Zusammenbruch einer Population nicht wirklich schade, solange es auf anderen Inseln noch genügend Exemplare gebe. Es handelt sich hier sicherlich um deutlich unterschiedliche Tiere und Populationen und vielleicht sogar um unterschiedliche Arten!


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Quelle:
BI.research 37.2010, Seite 26-29
Herausgeber:
Referat für Kommunikation der Universität Bielefeld
Leitung: Ingo Lohuis (V.i.S.d.P.)
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BI.research erscheint zweimal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. August 2011