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VÖGEL/841: Konsequenter Nestschutz soll Aussterben der Wiesenweihen verhindern (NATURMAGAZIN)


naturmagazin
Berlin - Brandenburg
Ausgabe 2/2012

Verhängnisvoll versteckt
Konsequenter Nestschutz soll das Aussterben der Wiesenweihen verhindern

von Helmut Brücher



Für viele Naturliebhaber sind Wiesenweihen die wohl elegantesten Greifvögel überhaupt. Nur 230 bis 445 Gramm bringen sie auf die Waage, spannen ihre Flügel aber dennoch über beachtliche 105 bis 130 Zentimeter. Kein anderer Greifvogel erreicht ähnliche Verhältnisse. Zum Vergleich: Ein etwa gleichschweres Sperberweibchen bringt es nur auf eine Spannweite von 74 Zentimetern.

Weihenarten

In Deutschland brüten insgesamt drei Weihenarten: Die häufigste von ihnen ist die fast mäusebussardgroße Rohrweihe, die in Brandenburg mit ca. 1.300 Brutpaaren (BP) anzutreffen ist. Sie kommt während des Sommers zu uns und nistet vor allem in Schilfbeständen. Ebenfalls im Sommer kommt die Wiesenweihe. Ende April endet hier ihr Transsaharaflug. Doch schon wenige Wochen nach dem Ausfliegen der Jungvögel machen sich die Wiesenweihen im August wieder auf nach Afrika, wo sie den Winter verbringen.

Anders hält es da "unsere" dritte Weihenart: Die Kornweihe ist in Deutschland vor allem ein regelmäßiger Wintergast. Sie ähnelt vom Aussehen her der Wiesenweihe, kann aufgrund des zeitlich unterschiedlichen Auftretens beider Arten jedoch kaum mit ihr verwechselt werden. Als Brutvogel ist die Kornweihe in Brandenburg bereits ausgestorben, die wenigen noch in Deutschland brütenden Paare (65 BP) sind vor allem an der Nordseeküste anzutreffen.

Die Population der Wiesenweihe ist in Deutschland mit nur 400 Brutpaaren heute stark gefährdet (Rote Liste Kategorie 2). Nur wenige Greifvogelarten wie Steinadler (45 BP), Schreiadler (115 BP) und Kornweihe sind noch seltener. Fischadler (700 BP), Seeadler (750 BP) und Wanderfalke (1.400 BP) haben dagegen einen vielfachen Brutbestand.

In Brandenburg brüten derzeit noch geschätzte 40 bis 50 Wiesenweihenbrutpaare, tatsächlich nachgewiesen werden jedes Jahr allerdings nur etwa zehn bis 25. Kein Wunder also, dass die Art auch hierzulande als "stark gefährdet" gelistet ist.

Ursache der Gefährdung

Der Lebensraum der Wiesenweihe ist die offene Landschaft. Über Äckern, Wiesen und vor allem über den heute allerdings kaum noch vorhandenen Brachflächen sieht man sie in ihrem typischen, bodennahen Schaukelflug. Die Flügel sind v-förmig nach oben gestellt, und mit nach unten gerichtetem Kopf sucht sie nach Beute - meist sind es Mäuse oder Feldvögel. In südlicheren Vorkommensgebieten und im Winterquartier ernährt sich die Wiesenweihe hingegen hauptsächlich von Reptilien und vor allem von Heuschrecken.

Direkt nach ihrer Rückkehr ins Brutgebiet (Ende April bis Anfang Mai) suchen sich die Weihen einen geeigneten Brutplatz. Die Vegetation am Neststandort muss Anfang Mai bereits eine Höhe von 50 Zentimetern aufweisen. Meist erfüllen gerade Standorte mit Wintergetreide, Raps oder Saatgrasflächen diese Anforderung. Ihre drei bis fünf Eier legt die Wiesenweihe in ein aus nur wenigen Grashalmen bestehendes Nest, direkt am Boden. Dabei tappt die Wiesenweihe allerdings in eine für sie fatale ökologische Falle: Bevor sie nach 30 Tagen Bebrütung und einer Aufzuchtzeit von sechs Wochen ihre Jungen zum Ausfliegen bringen kann, setzt nämlich schon die Ernte ein. Kaum eine Brut schafft es daher, vor dem Mähdrescher flügge zu sein. Vor allem die Jungvögel, oft aber auch die hudernden Weibchen, werden dann zum Opfer der frühen Ernte. Das ist der Grund für ihre Bestandsgefährdung.

Wiesenweihenschutz

Die einzige Möglichkeit, die Wiesenweihe vor dem Aussterben zu bewahren und ihren Bestand zu sichern, besteht im Schutz ihrer Nester. Im Bayerischen Mainfranken hat man es bereits geschafft, eine nur wenige Paare umfassende Population innerhalb von 15 Jahren auf über 170 Paare anwachsen zu lassen. Ähnlich erfolgreich war man in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen. Aber auch in Brandenburg gibt es solche Anstrengungen. Unter den Fittichen des NABU Landesfachausschusses Ornithologie/Arbeitsgemeinschaft Berlin-Brandenburger Ornithologen hat sich eine Arbeitsgruppe Weisenweihenschutz gegründet. Sie betreibt den Nestschutz und hofft, die Art auf diese Weise auch in Brandenburg erhalten und vielleicht sogar ihren Bestand sichern zu können. Aber wie funktioniert der Nestschutz nun in der Praxis?

Weihenschützer stehen zunächst vor einem Problem: Sie müssen die Brutplätze ihrer Schützlinge erst einmal finden. Dafür machen sie sich das Brutverhalten der Art zu nutze. Das Wiesenweihenmännchen versorgt das Weibchen nämlich während der Brut mit Nahrung. Also fahren die Weihenschützer die Feldflur ab und halten nach männlichen Weihen auf Nahrungssuche Ausschau. Wird eines entdeckt, wird es mit dem PKW verfolgt. Hat die Weihe Jagderfolg, geht's mit der Beute meist schnurstracks zurück zum Brutplatz. Da die Weihe im Flug den direkten Weg einschlägt, der Weihenschützer sich aber an Feldwege, Gräben, Bahnlinien und andere Hindernisse halten muss, ist es gar nicht so einfach, "am Ball" zu bleiben. Ist dies jedoch gelungen, ist der Rest nur Routine. Das Männchen kreist über dem Brutplatz und lockt mit der Beute das Weibchen vom Nest. In der Luft wird die Beute vom Männchen fallen gelassen und sofort vom Weibchen gefangen. Hat man dies beobachtet, ist der Brutplatz schon fast gefunden, er muss "nur noch" im Meer der Halme lokalisiert werden.

Erfahrung schafft Überblick
Meist brüten gleich mehrere Wiesenweihenpaare im selben Feld oder ein Männchen hat mehrere Weibchen. Da heißt es, sich Durchblick zu verschaffen. So hatte ich 2011 zwei Paare und ein Männchen mit einem nicht brütendem Weibchen - so dachte ich. Doch bei der Ernte des Saatgrases fand der Mähdrescherfahrer der Agrargenossenschaft eine dritte Brut. Die vier Nestlinge waren glücklicherweise noch so klein, dass das Mähwerk ohne Schaden anzurichten über sie hinweg fuhr. Durch sofortigen Anruf informiert, fuhr ich zum Tatort. Schnell war ein weiteres 5Ox5O Meter großes Quadrat umgrenzt und ich habe den Jungvögeln in der Mitte ein "Nest" gebaut und sie eingesetzt. Nach einer Stunde hat das Weibchen die Jungvögel angenommen - die Brut war dank des umsichtigen Mähdrescherfahrers gerettet.
Doch wie konnte ich die Brut übersehen?
Des Rätsels Lösung: Das 3. Wiesenweihenmännchen hatte zeitgleich zwei Weibchen, die es mit Beute versorgte. Eins brütete, das andere flog umher, sodass ich von einem nicht brütenden Paar ausging.

Nach dem Nestfund heißt es, mit dem Landwirt Kontakt aufzunehmen, ihn auf die Brut hinzuweisen und die notwendigen Schutzmaßnahmen abzusprechen. Denn nach dem Bundesnaturschutzgesetz darf die Brut der Wiesenweihe nicht gestört werden, und das Brandenburgische Naturschutzgesetz verbietet im sogenannten Horstschutzparagraphen (§ 33 BBgNatSchG) bis zum 31. August jegliche landwirtschaftliche Arbeiten im Umkreis von 300 Metern. In Absprache mit dem Horstbetreuer und mit Genehmigung der Unteren Naturschutzbehörde kann die Horstschutzzone dann auf 50 Meter beschränkt und zwei Wochen nach dem Ausfliegen der Jungvögel wieder aufgehoben werden. Insofern hat auch der Landwirt einen Vorteil von den Horstschutzmaßnahmen. Zusätzlich hat die Vogelschutzwarte dem Landwirt bisher einen Ausgleich in Höhe von 250 Euro je Nest für die Bewirtschaftungseinschränkungen zur Verfügung gestellt.

Um auch Prädatoren wie Wildschwein und Fuchs vom Gelege fernzuhalten, wird um das Nest zudem ein 1 Meter hohes und 4 bis 6 Quadratmeter umfassendes Gatter errichtet. Naht der Mahdtermin, steckt der Horstbetreuer eine Fläche von 50 x 50 Meter ab - dort wird erst nach Aufhebung der Horstschutzzone geerntet.

Einzigartig abhängig

Neben der Wiesenweihe gibt es in Deutschland keine zweite Greifvogelart, deren Überleben derart von direkten Artenschutzmaßnahmen abhängig ist. Daher der Aufruf an alle, dem Autor Wiesenweihenbeobachtungen zeitnah zu melden, damit die Bruten gesucht und gerettet werden können. Die AG Wiesenweihenschutz sucht händeringend Unterstützung bei der Nestsuche, und jeder Naturfreund, der mitmachen möchte, ist herzlich eingeladen.

Neuerdings droht den Wiesenweihen eine weitere Gefahr: Windkraftanlagen. Wiesenweihen suchen ihren Neststandort meist in der Nähe von Feldwegen. Dort ruht das Männchen, während es das brütende Weibchen bewacht, und das Weibchen nutzt den Wegsaum zum Fressen. Nicht selten werden Weihen dort aber von schnell fahrenden Fahrzeugen erfasst und getötet. Die Weihen bevorzugen daher Feldwege mit nur geringem Fahrzeugverkehr. Ideal sind unter diesem Gesichtspunkt die Zufahrtswege zu den Windkraftanlagen. Untersuchungen in Schleswig-Holstein haben gezeigt, dass sich Wiesenweihen dort gezielt ansiedeln. Der an den Windkraftanlagen herrschende Auftrieb wird von den Vögeln zudem gern als "Aufzug" genutzt. Oben angekommen, kommt es dann aber oft zur tödlichen Kollision. Die Untere Naturschutzbehörde des Kreises Aurich untersagte daher während der Brutzeit den Tagbetrieb einer im unmittelbaren Umfeld einer Weihenbrut gelegenen Windkraftanlage - zu recht, wie das Oberverwaltungsgericht Niedersachsens befand und die Ordnungsverfügung bestätigte.

Für Meldungen:
Helmutbruecher[at]t-online.de
oder 0172 3140992


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
  • Wiesenweihen brüten etwa 30 Tage lang. Foto: Helmut Brücher Gatter sollen Wildschwein, Fuchs & Co. vom Brutplatz fernhalten. Foto: Helmut Brücher
  • Im Acker versteckt, ist das Nest der Wiesenweihe kaum zu sehen. Wurde es nicht entdeckt, haben die Jungen nur geringe Chancen, heranzuwachsen. Foto: Helmut Brücher
  • Glück gehabt. Das Gatter schützt vor natürlichen Feinden, die Horstschutzzone vor der Landwirtschaft. Foto: Helmut Brücher
  • Brandenburgs häufigste Weihe - die Rohrweihe. Foto: Peter Wernicke
  • Flügge geworden - das Schwierigste im Leben einer Wiesenweihe ist geschafft. Foto: Carsten Rohde

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Quelle:
NATURMAGAZIN, 25. Jahrgang - Nr. 2, Mai bis Juli 2012, S. 19-21
Herausgeber:
Naturschutzzentrum Ökowerk Berlin
Naturschutzbund Deutschland (NABU) e.V., Landesverband Brandenburg
Natur & Text in Brandenburg GmbH
Redaktion:
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Friedensallee 21, 13834 Rangsdorf
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. August 2012