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KOHLEALARM/128: Klimakampf und Kohlefront - Konsequenzen ... (LoB)


Aktionsbündnis Stommelner Bürger "Leben ohne Braunkohle" - Oktober 2014

Offener Brief an den Bürgermeister von Pulheim:
"Faktencheck" zur Informationsveranstaltung vom 26.06.14



OFFENER BRIEF

Stommeln, den 10.10.2014

An
Bürgermeister
Herrn F. Keppeler
Rathaus Alte Kölner Str. 26
50259 Pulheim

Betr.: Studien zu Gesundheitsauswirkungen von Kohlekraftwerken

Hier: Faktencheck zur Informationsveranstaltung vom 26.06.14



Sehr geehrter Herr Keppeler,

nachdem wir Sie im Juni 2013 um die Durchführung einer Informationsveranstaltung für Politik und Öffentlichkeit zu den gesundheitlichen Auswirkungen der Kohleverstromung - und hier insbesondere zu den von GREENPEACE und HEAL (Health and Enviroment Alliance) herausgegebenen Studien zu diesem Thema- gebeten hatten, hat der Umwelt- und Planungsausschuss die Durchführung einer solchen Veranstaltung im Dezember letzten Jahres einstimmig beschlossen und "nur" ein Jahr nach unserer Anregung hat die Stadt Pulheim diese Veranstaltung kurz vor den Ferien durchgeführt.

Trotz des langen Vorlaufs sind wir dankbar, dass die Veranstaltung durchgeführt wurde, gleichwohl zielte unser Schreiben damals auch darauf ab, Sie als den ersten Bürger unserer Stadt zu einer öffentlichen Stellungnahme zu motivieren, was leider auch bei dieser Veranstaltung ausgeblieben ist.

Stellvertretend moderierte der in der Stadtverwaltung für Umweltbelange zuständige Beigeordnete Herr H.(*), dem wir an dieser Stelle dafür noch einmal unseren Dank aussprechen möchten, obwohl das Aktionsbündnis nicht allen seinen Ausführungen folgen kann.

Unbestritten ist, dass die Stadt Pulheim in der Hauptwindrichtung der Abgasfahnen der Kraftwerke Niederaußem und Neurath liegt und dass insbesondere der Ortsteil Stommeln einen sogenannter "Hotspot" darstellt, der diesen Kraftwerksabgasen in besonderem Maße ausgesetzt ist. In Zahlen ausgedrückt: Jahr für Jahr stößt das Kraftwerk Niederaußem unter anderem ca. 500 Tonnen an Feinstaub (2012: 484 t) und 500 kg Quecksilber (2012: 497 kg) aus. Gleiches gilt für das Kraftwerk in Neurath (2012: Feinstaub 423 t und an Quecksilber 497 kg).

Die gesundheitlichen Gefahren durch die Feinstaubbelastung der Atemluft sind mittlerweile durch zahlreiche Studien und nicht zuletzt auch durch die oben erwähnten nachgewiesen - erfreulicherweise herrschte hierüber bei allen geladenen Referenten auch weitestgehend Übereinstimmung.

Dass Herr Dr. W. von VGB Powertech, dem Verband der Kraftwerksbetreiber, angesichts der dargelegten Fakten trotzdem zu dem Fazit kam, von Kohlekraftwerken gehe keine gesundheitliche Beeinträchtigung aus, war nicht anders zu erwarten. Dennoch ist es einigermaßen erstaunlich, da für Pulheim weder eine belastbare Messung der Atemluft vorliegt, noch der Gesundheitszustand der Pulheimer Bevölkerung untersucht wurde.

Die "Relativierung" der gesundheitlichen Gefahren durch den Arbeitsmediziner Prof. E. - sein Verweis auf Deutschland- bzw. Europaweite Durchschnittswerte und der Vergleich mit den Belastungen des Autoverkehrs - sind dagegen angesichts der ganz und gar konkreten örtlichen Überbelastung der Pulheimer Bevölkerung nicht nachvollziehbar.

So hat beispielsweise Greenpeace errechnet, dass der Ausstoß von ca. 35 Millionen Tonnen Schwefeldioxid (Neurath 2013) dem von 13,5 Millionen PKWs entspricht.

Zudem führen viele zusätzliche Belastungen zu weiteren "Belastungsspitzen" für unsere Gesundheit, die aber bisher nach wie vor nicht erfasst werden:

  • Die Belastungen, die aus austauscharmen Wetterlagen (Inversion) resultieren,
  • die Feinstaubbelastung aus dem Tagebau und den "offenen Transporten" der Braunkohle,
  • das Anfahren von Kraftwerksblöcken, deren Schadstoffausstoß währenddessen laut Frau H. nicht mitgemessen werden.

Nicht einverstanden sind wir daher auch mit der Aussage von Herrn H. zum Thema Bauleitplanung der Stadt Bergheim zur Errichtung eines weiteren Großkraftwerks in 4 km Abstand von Stommeln.

Auf eine Frage aus dem Publikum, ob denn die Stadt Pulheim sich vor ihrer Stellungnahme zu der oben angesprochenen Bauleitplanung beispielsweise beim Krebsregister der AOK über die gesundheitliche Situation der Bürgerschaft informiert hätte, um beurteilen zu können, ob eine weitere Belastung durch ein weiteres Braunkohlekraftwerk zumutbar ist, antwortete Herr H., die Stadt Pulheim dürfe im Rahmen dieses Verfahrens nur zu städtebaulichen Themen Stellung nehmen. Diese Ansicht hält einem nachträglichen Faktenchek nicht stand. Soweit wir informiert sind, wurde die Stadt Pulheim gemäß BauGB § 4 (2) an dem Verfahren der Stadt Bergheim beteiligt. Dort heißt es:

§4
Beteiligung der Behörden
(1) Die Behörden und sonstigen Träger öffentlicher Belange, deren Aufgabenbereich durch die Planung berührt werden kann, sind entsprechend § 3 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 zu unterrichten und zur Äußerung auch im Hinblick auf den erforderlichen Umfang und Detaillierungsgrad der Umweltprüfung nach § 2 Abs. 4 aufzufordern.

(2) Die Gemeinde holt die Stellungnahmen der Behörden und sonstigen Träger öffentlicher Belange, deren Aufgabenbereich durch die Planung berührt werden kann, zum Planentwurf und der Begründung ein.

Vorher wird bereits in § 2 (6),7. konkretisiert welche Belange bei der Aufstellung von Bauleitplänen u. a. zu berücksichtigen sind:

...
(6) Bei der Aufstellung der Bauleitpläne sind insbesondere zu berücksichtigen:
...
7.
die Belange des Umweltschutzes, einschließlich des Naturschutzes und der Landschaftspflege, insbesondere
....
c)
umweltbezogene Auswirkungen auf den Menschen und seine Gesundheit sowie die Bevölkerung insgesamt,
...

Dass Träger der öffentliche Belange zu denen Pulheim als Nachbargemeinde gehört nur zu städtebaulichen Themen Stellungnahmen abgeben dürften, wird hier an keiner Stelle ersichtlich, im Gegenteil, ausdrücklich wird in § 2 (6) unter Punkt 7. c) auf die Gesundheit der Bevölkerung eingegangen.

Wie könnte beispielsweise sonst auch anders erklärt werden, dass die Städte Bergheim und Leverkusen vor kurzem gegen eine Bauleitplanung der Stadt Pulheim klagen konnten zum Schutz ihres Einzelhandels?

Wir gehen jedenfalls weiter davon aus, dass der Schutz der Gesundheit der eigenen Bevölkerung für die Stadt Pulheim ein weit höheres Schutzgut darstellt und selbstverständlich zu ihren Belangen und Aufgabenbereichen gehört. Entsprechend muss gehandelt werden.

Zusammenfassend ergeben sich als Ergebnis aus diesem Informationsabend aus den oben dargestellten Punkten für uns folgende Forderungen und Konsequenzen:

Sollte die oben angeführte Äußerung des Herrn Beigeordneten H., tatsächlich die Rechtsauffassung der Stadt Pulheim wiedergeben, muss diese dringend revidiert werden. Anderenfalls hätte die Stadt Pulheim unserer Auffassung nach hier ein schweres Versäumnis begangen, indem sie ihre ureigenen Belange hinsichtlich des Gesundheitsschutzes bei der Planung eines Großkraftwerkes in unmittelbarer Nachbarschaft nicht im Sinne seiner Bürger wahrgenommen hätte.

Ebenfalls dringend sollte überprüft werden, ob der Hinweis von Frau H. hinsichtlich der nicht erfassten Emissionsmessungen beim Anfahren der Kraftwerke richtig ist. Dies hätte sowohl in Hinblick auf das in Planung befindliche Kraftwerk erhebliche Auswirkungen auf die bisher dafür prognostizierten Emissionen als auch für die im Betrieb befindlichen, die ja angeblich nie die Grenzwerte überschreiten. Kommt es dabei bereits jetzt zu Grenzwertüberschreitungen und wenn ja wie oft und wie lange?

In diesem Zusammenhang fordern wir die Stadt Pulheim auf, anhand des Krebsregisters der AOK zu klären, ob es Auffälligkeiten hinsichtlich der gesundheitlichen Situation der Pulheimer Bevölkerung (z.B. Häufung von Atemwegserkrankungen) gibt.

Unserer Forderung nach kontinuierlicher Messung und Erfassung der Atemluft im Umfeld von 2 Großkraftwerken, um gegebenenfalls die Bevölkerung vor hoher Belastung z. B. bei austauscharmen Wetterlagen zu warnen und durch entsprechende Maßnahmen schützen zu können, halten wir mit Nachdruck aufrecht. Hier sollte auch über die Notwendigkeit nachgedacht werden, eigene Messungen durchführen zu lassen.

Sehr geehrter Herr Keppeler, seit dieser Informationsveranstaltung sind nun bereits wieder mehr als 3 Monate vergangen. Wenn auch in Rechnung gestellt werden muss, dass diese kurz vor den Sommerferien stattfand, fragen wir uns dennoch, wann wir mit einer Reaktion auf die dargestellten Fakten rechnen können?

Es hilft nichts, "den Kopf in den Sand zu stecken". Wir erwarten diesmal eine konkrete Stellungnahme zu den angesprochen Problemen von Ihnen als erstem Bürger der Stadt.

Mit freundlichen Grüßen

für das Aktionsbündnis Stommelner Bürger "Leben ohne Braunkohle"
Josef Schumacher


(*) Abgekürzte Namen sind der Schattenblick-Redaktion bekannt.

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Quelle:
Aktionsbündnis Stommelner Bürger "Leben ohne Braunkohle"


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Oktober 2014