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ATOM/302: Atomkraft abschalten - Die Katastrophen von Tschernobyl und Fukushima mahnen (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 161 - April/May 2011
Die Berliner Umweltzeitung

Atomkraft abschalten - Energiewende jetzt!
Die Atomkatastrophen von Tschernobyl und Fukushima mahnen

Von Felix Eick und Jochen Mühlbauer


Die Bilder und Berichte der Atomkatastrophe im japanischen Atomkraftwerk Fukushima machen uns alle seit dem 11. März fassungslos. Der Verdacht, die Verantwortlichen für die Atomanlage Fukushima-Daiichi - japanische Regierung und Kraftwerksbetreiber Tokio Electric Power Company (TEPCO) - hätten das Ausmaß der Katastrophe von Anfang an verschwiegen, bestätigt sich immer mehr.

Der Nuklearingenieur Mitsuhiko Tanaka, der am Design des Reaktors 4 beteiligt war, schließt aus den offiziellen Daten, dass der Reaktor 1 in Fukushima schon vom Erdbeben am 11. März zerstört worden sei. Das Beben sei zumindest im Reaktor 1 der Grund für einen Kühlwasserverlust gewesen, der zum schleichenden Super-GAU geführt habe. Tanaka vermutet einen Rohrbruch direkt am Reaktordruckbehälter. Mit dem Versagen der Notkühlung sei das wichtigste Instrument im Kampf gegen die Katastrophe ausgefallen. Der Reaktor sei damit von Beginn an außer Kontrolle.

Es war und ist unklar, ob die für die Reaktoren 1 bis 3 im AKW-Fukushima angenommene Kernschmelze in Richtung Grundwasser durchbrennt, oder ob es zu weiteren Explosionen kommt.

Das radioaktive, hochgiftige Plutonium, das inzwischen in Bodenproben gefunden wurde, bleibt über tausende Jahre gefährlich. Plutonium ist schon ab einer Dosis im zweistelligen Milligrammbereich tödlich.

Außerdem bereitet die hohe radioaktive Verstrahlung in der Gegend von Fukushima große Sorgen. Messungen der japanischen Behörden und der Umweltorganisation Greenpeace zeigen zum Teil extrem erhöhte lokale Strahlenwerte auch weit außerhalb der 20-Kilometer-Zone, die zunächst evakuiert wurde. Umweltverbände forderten deshalb, diese Zone auf mindestens 40 Kilometer rund um die Atomruine von Fukushima auszudehnen.

Der schleichende Super-GAU im AKW-Fukushima wird in Japan hoffentlich dazu führen, dass die dortige Energiepolitik ab sofort konsequent auf die erneuerbaren Energien setzt.


Tschernobyl heute

Die vor Fukushima größte atomare Katastrophe ereignete sich vor 25 Jahren am 26. April 1986 in der Ukraine. In der 4.300 Quadratkilometer großen Zone um den explodierten Reaktor Block 4 und die tote Stadt Pripjat herum ist bis heute kein normales Leben vorstellbar (siehe auch Seite 3). Mehr noch, es ist weder Ackerbau noch gesundes anthropogenes Leben möglich. Die Einzigen, die sich wohl fühlen und das Gebiet förmlich erobern, sind die Wildschweine. Wenn sich menschliches Leben dort dauerhaft ansiedelt, ist es von Krebs, Missgeburten und Leiden geprägt.

Die "Todeszone" wird seit einiger Zeit allerdings auch kommerziell genutzt. Es hat sich ein richtiger Atom- und Zonentourismus entwickelt. Täglich kommen mehrere Reisebusse in die verstrahlte und kaum erholte Region. Das ist skurril, aber wohl angeblich nicht gefährlich. Der "Tschernobyl-Tourist" setzt sich allerdings in einigen Stunden der sonst jährlichen Strahlendosis aus. Gesund ist das auch nicht.

Es ist an dieser Stelle überhaupt nicht verständlich, wie Brasilien und vor allem China davon unbeeindruckt weitere Atomkraftwerke bauen wollen.


Das BMU doktert herum

Am 16. März erschien ein geheimes Papier des Bundesumweltministeriums (BMU) mit dem Titel "Erste Überlegungen zu Konsequenzen Fukushima". Die Rede ist von "Nachrüstmaßnahmen", "Ertüchtigung" auf "Stand von Wissenschaft und Technik", "unverzügliche Umsetzung" und der Untersuchung von "Kombinationswirkungen", wie sie in Japan vorfielen.

Vieles im Geheimpapier des BMU resultiert aus den schrecklichen Ereignissen in Japan und insbesondere in Fukushima. Doch rational betrachtet, fragt man sich, was sich für die Kernkraftwerke in Deutschland überhaupt verändert hat. Welche neuen Erkenntnisse hat man gewonnen und welche erwartet man noch? Die Antwort lautet, dass man keine relevanten Erkenntnisse bekommen wird. Die Atomkraft ist in Deutschland und überall sonst mit genauso großem Restrisiko behaftet wie denn je. Die AKW sind hierzulande genauso wenig zu 100 Prozent sicher wie sonstwo. Wenn man dem Bundesumweltminister Röttgen (CDU) noch Glauben schenken darf, müssten folglich alle deutschen Reaktoren vom Netz gehen, da sie eben bewiesenermaßen nicht zu 100 Prozent sicher sind.


Atomkraft durchgefallen

Es gibt nichts mehr zu prüfen und auf den "Stand von Wissenschaft und Technik" (BMU) zu bringen. Jedes Ertüchtigen und Nachrüsten, jedes Moratorium ist verlorene Zeit. Jeder, der prüft und nachrüstet, betreibt letztlich Lobbyarbeit für die Energiekonzerne. Die Atomkraft hat ausgestrahlt! Zwei Einschätzungen bringen dieses noch einmal auf den Punkt: Die International Association Of Lawyers Against Nuclear Arms (IALANA) meint: "Als zu brüchig hat sich die Brücke der Kernenergie erwiesen, auf der wir an das sichere Ufer erneuerbarer Energien geführt werden sollen". Die Nutzung der Atomenergie sei ein Krieg gegen die Zukunft, heißt es sinngemäß bei den NaturFreunden.

Natürlich bleibt die Frage, wie es im Postatomzeitalter energiepolitisch weitergeht. Die Konzepte gibt es. Rund die Hälfte der 17 deutschen Meiler abzuschalten, ist sofort möglich. Damit könnten wenigstens schon einmal die ältesten und marodesten Kraftwerke stillgelegt werden.


Schneller Ausstieg möglich

Der Präsident des Umweltbundesamtes (UBA), Jochen Flasbarth, wird deutlich. Gegenüber der Süddeutschen Zeitung behauptet er, dass ein Atomausstieg bis 2017 ohne höhere Kosten möglich sei: "Dies ist ohne Einschränkungen der Versorgungssicherheit und ohne zusätzliche Stromimporte möglich".

Spiegel Online spricht von einem "Turbo-Ausstieg" in den nächsten zehn Jahren. Michael Sterner vom Fraunhofer-Institut meint, man müsse selbst die "BMU-Szenarien nur geringfügig" anpassen. Zudem nennt Spiegel Online den "Turbo-Ausstieg (...) sehr teuer". "230 Milliarden" seien dafür notwendig. Das ist sicherlich kein Pappenstiel. Aber mal ehrlich! Auch wenn es nicht so kostengünstig wird, wie vom UBAPräsidenten suggeriert, was kosten Katastrophen wie in Japan, wie viel Steuergelder verschlang die Kernkraft bis dato, wie viele neue Arbeitsplätze entstehen dabei im Sektor der erneuerbaren Energien und welch eine tolle Vorreiterrolle kann Deutschland hier einnehmen. Angesichts dieser Fragen relativiert sich die große Summe.

Zumal nach Warnungen der Deutschen Umweltstiftung bei einer AKWKernschmelze in Deutschland aufgrund der hohen Bebauungsdichte Millionen Menschen akut gefährdet wären. So viele sind es in Japan nicht. Jochen Stay von ausgestrahlt weist darauf hin, dass "die AKW Isar-1, Philippsburg-1, Brunsbüttel und Krümmel (...) im Prinzip baugleich mit den Reaktoren in Fukushima-Daiichi" seien. Der einzige Unterschied bestehe darin, "dass die deutschen Reaktoren allesamt größer" seien als die japanischen. Es ist eine Milchmädchenrechnung, dass dementsprechend auch der Schaden und die radioaktive Gefahr größer wären.

Urgewald e.V. und attac deckten auf, dass deutsche Banken (genannt werden die Deutsche Bank, die ING Diba und die West LB) die AKW-Betreiber in Japan mitfinanzieren. Die beiden Organisationen fordern daher nicht nur zum Stromwechsel, sondern jetzt auch beispielsweise im Rahmen der attac-Kampagne "Krötenwanderung jetzt - Banken wechseln, Politik verändern" zum Bankenwechsel auf.


Proteste der Atomkraftgegner

Das von der schwarz-gelben Bundesregierung verkündete Drei-Monate-Moratorium der Laufzeitverlängerung und ein vorläufiges Abschalten de sieben ältesten deutschen AKW plus Pannenmeiler Krümmel sind nicht ausreichend. Die Atomkraftgegner misstrauen den plötzlich atomkritischen Aussagen der Bundesregierung.

Zu den Plänen und Debatten innerhalb der Regierungsparteien (CDU/CSU-FDP) zur Atompolitik erklärt Jochen Stay, Sprecher der Anti-Atom-Organisation ausgestrahlt: "Wir trauen dem Braten nicht. Noch ist in Sachen Atomausstieg nichts gewonnen, denn noch kein AKW ist endgültig stillgelegt. (...) Die neu erstarkte Anti-AKW-Bewegung lässt sich nicht durch Lippenbekenntnisse abspeisen. Wir werden weiter auf die Straße gehen, bis die Atomkraftwerke wirklich stillgelegt werden".

In diesem Sinne wird die Anti-Atombewegung in Deutschland in den nächsten Wochen und Monaten keine Ruhe geben. Die bundesweiten Großdemos "Fukushima mahnt: Alle AKW abschalten" am 26. März in Berlin, Hamburg, Köln und München mit 250.000 Teilnehmer/-innen zeigten eine neue Qualität des Widerstandes.

Besonders für das Osterwochenende und den Tschernobyl-Jahrestag (22. bis 26. April) sind weitere bundesweite Anti-Atom-Proteste an Kraftwerks- und Zwischenlagerstandorten angekündigt.

www.ausgestrahlt.de
www.umweltbundesamt.de
www.attac.de/meine-kroeten
www.tschernobyl-info.de/tschernobylheute
www.tschernobyl25.de


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
In 25 Jahren verrottete jeglicher Spaß


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Ostermarsch Berlin
Eine Zukunft ohne Atomwaffen und Atomkraftwerke
Samstag 23. April, 12 Uhr
Treffpunkt: Vattenfallzentrale
Chausseestr. 23, Berlin-Mitte
Infos: www.antiatomberlin.de
www.naturfreunde.de
Demonstration in Lubmin
"Sonne, Strand und See - Atomkraft nee!"
Montag 25. April, 13 Uhr
Vor dem Zwischenlager Nord
Busse: 9 Uhr ab Berlin
Karten: GRÜNE LIGA Berlin
Prenzlauer Allee 8,
10405 Berlin
Kosten: 15 Euro
Treffpunkt: O2 -Arena, nahe Ostbahnhof.
Infos: www.anti-atom-reisen.de
lubmin-nixda.de


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Quelle:
DER RABE RALF - 22. Jahrgang, Nr. 161 - April/May 2011, S. 1+4
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 230, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
Redaktion DER RABE RALF:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. April 2011