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BODEN/162: Boden - Das unsichtbare Ökosystem (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2015
Ökosystem Boden
Die dünne Haut der Erde

BODEN
Das unsichtbare Ökosystem

von Christine Chemnitz


Die Weltgemeinschaft hat sich drei Ziele gesetzt: Der Verlust der Biodiversität soll gestoppt werden, die Klimaerwärmung soll auf höchstens 2° Celsius ansteigen und jeder Mensch das Recht auf ausgewogene Nahrung haben. Ohne fruchtbare Böden, die gerecht verteilt sind, wird keines dieser Ziele erreicht werden.


Menschen leben von und auf dem Boden der Erde. Wir bauen Nahrungsmittel an, lassen Tiere weiden, bauen Städte und Straßen oder fördern Bodenschätze. Böden sind lebenswichtig und sind in menschlichen Zeiträumen nicht erneuerbar, denn Jahrtausende oder Jahrmillionen vergehen, bis Gestein an der Erdoberfläche verwittert und eine mehrere Meter mächtige Schicht bildet, die wir Boden nennen. Sie besteht etwa zur Hälfte aus mineralischen Partikeln wie Sand und Ton, zu jeweils grob 20 % aus Luft und Wasser und zu etwa 5-10 % aus Pflanzenwurzeln, Lebewesen und Humus, der den Lebensraum und die Nahrungsquelle für weitere Organismen darstellt.

Böden sind die Grundlage für unsere Lebensmittelproduktion. Sie versorgen Pflanzen mit Nährstoffen und Wasser. In jeder Kartoffel und jedem Brot, aber auch in jedem Schnitzel, stecken Nährstoffe aus dem Boden. Ohne gesunde Böden kann keine gute Nahrung produziert werden. Aber Böden sind nicht nur wichtig für die Lebensmittelproduktion. Sie filtern Regenwasser und schaffen so neues, sauberes Trinkwasser. Sie regulieren das Klima, denn sie sind nach den Ozeanen der größte Kohlenstoffspeicher der Erde. Sie speichern mehr Kohlenstoff als alle Wälder der Welt gemeinsam. Und Böden sind lebendig! In einer Handvoll Erde leben mehr Organismen als Menschen auf unserem Planeten. Zwei Drittel aller Arten der Welt leben versteckt unter der Erdoberfläche.

Fruchtbarer Boden ist nicht unerschöpflich

Aber Böden erfüllen all ihre Funktionen nur, wenn das Bodenleben intakt und die Humusschicht gesund ist. Doch trotz ihrer wichtigen Funktionen und zentralen Bedeutung schützen wir die Böden nicht. Tatsächlich gehen durch falsche Nutzung jährlich rund 24 Milliarden Tonnen fruchtbarer Boden verloren. Die Ursachen für den Verlust sind vielfältig. Städte und das Straßennetz dehnen sich aus. Während Städte heute nur 1-2 % der Erdoberfläche in Anspruch nehmen, werden sie 2050 etwa 4-5 % belegen, eine Steigerung von 250 auf 420 Millionen Hektar. Asphalt versiegelt fruchtbaren Boden und schädigt ihn unwiederbringlich. Sogar in Ländern mit sinkenden Bevölkerungszahlen wie Deutschland verlieren täglich 77 Hektar Boden ganz oder teilweise ihre Funktion.

Auch die Landwirtschaft, die selbst von der Qualität der Böden abhängig ist, trägt eine Mitverantwortung für den Verlust fruchtbarer Böden. Große Maschinen verdichten die Bodenstruktur, Pestizide und Mineraldünger verringern das Bodenleben, Wind und Wassererosion wehen oder schwemmen den fruchtbaren Boden einfach davon.

Land ist mehr als eine gute Investition

Hinzukommt, dass sich mit der steigenden Nachfrage nach Agrarprodukten die Spannungen zwischen verschiedenen Nutzergruppen verschärfen. Land ist für InvestorInnen ein attraktives ökonomisches Gut, ein zunehmend knappes, mit guter Rendite. Da die Nachfrage nach Agrarprodukten wie Nahrungsmitteln, Tierfutter, Agrartreibstoffen sowie nach Biomasse für chemische Produkte und Textilien überall wächst, steigt die Nachfrage nach Ackerfläche. Würde die heutige Nachfrage nach Agrarprodukten unverändert weiter steigen, müsste bis 2050 eine zusätzliche Ackerfläche zwischen 320 und 850 Millionen Hektar erschlossen werden. Der niedrigere Wert entspricht der Größe Indiens, der höhere derjenigen Brasiliens.

Das bedroht weltweit die Existenz von Kleinbauern und -bäuerinnen, PastoralistInnen und indigenen Bevölkerungsgruppen, die das Land brauchen, um ihren Lebensunterhalt zu erwirtschaften. Der Kampf um sichere Landrechte, seien sie gemeinschaftlich oder individuell, ist eine zentrale Frage des Überlebens in vielen Regionen der Welt.

Dabei ist der Zugang zu Böden weltweit schon heute sehr ungleich verteilt. Landlosigkeit oder das Wirtschaften auf sehr kleinen Flächen bedrohen das Überleben vieler Familien. Mehr als 72 % aller Farmen weltweit bewirtschaften weniger als einen Hektar und nur 3 % aller Betriebe weltweit sind größer als 10 Hektar. Oder anders ausgedrückt: 80 % der Betriebe weltweit bewirtschaften lediglich 2 % des Landes, während die größten 3 % der Farmen mehr als 70 % der landwirtschaftlichen Flächen bewirtschaften. Damit ist Land in fast allen Ländern der Welt noch ungleicher verteilt als Einkommen.

Bodenpolitik muss die Menschenrechte aller NutzerInnen wahren

Die globale Bedeutung der Böden verlangt nach globalen Antworten. Antworten, die die Menschenrechte aller NutzerInnen ernst nehmen. Und doch ist auch aufgrund des deutschen Widerstands der Vorschlag für einen gemeinsamen europäischen Bodenschutz nicht umgesetzt worden. Im Gegenteil, die zaghaften Reformen der EU-Agrarpolitik zeigen, wie schwer es ist, alte Strukturen zu verändern und nachhaltige und gerechte Produktionsweisen zu stärken.


Autorin Dr. Christine Chemnitz ist Referentin für Internationale Agrarpolitik der Heinrich-Böll-Stiftung.


Der Text ist zusammengestellt aus dem Bodenatlas 2015, Daten und Fakten über Acker, Land und Erde. Herausgegeben von der Heinrich-Böll-Stiftung, IASS, BUND und Le Monde Diplomatique, Jan. 2015.

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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2015, S. 2
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. April 2015

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