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ENERGIE/271: Energieversorgungsunternehmen und die Frage des Eigentums (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2014
Wer die Netze hat, hat die Macht? Infrastrukturen und Nachhaltigkeit

Rekommunalisierung von Energie
Berliner Energieversorgungsunternehmen und die Frage des Eigentums

von Uwe Hiksch



Am 3. November 2013 fand der vom Berliner Energietisch initiierte Volksentscheid über Berlins zukünftige Energieversorgung statt. Das Ziel der Rekommunalisierung der Berliner Energieversorgung wurde von 83 Prozent der TeilnehmerInnen des Volksentscheids geteilt. Jedoch verfehlte dieser um 0,9 Prozent das zur Annahme des Gesetzesentwurfes nötige 25 Prozent Zustimmungsquorum von Seiten der Berliner Wahlberechtigten. Nichtsdestotrotz spricht die eindeutige Mehrheit der Ja-Stimmen der TeilnehmerInnnen eine deutliche Sprache. Woher stammt also die eindeutige Ablehnung der derzeitigen Energieversorgung? Und worin liegt das große Plus der Rückübertragung in öffentliche Hand?


Der Zugang zu Energie ist in einer modernen Industriegesellschaft die Grundvoraussetzung, um am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Wir alle brauchen Energie: Um Wäsche zu waschen, den Fernseher anzuschalten, Musik zu hören oder um zu kochen. Deshalb ist jeder und jede BürgerIn auf eine sichere und sozial gerechte Energieversorgung angewiesen. Sie ist somit ist ein wichtiger Teil der Daseinsvorsorge. Deshalb darf Energiepolitik nicht den Interessen profitorientierter Konzerne unterliegen. In einem langen und demokratischen Diskussionsprozess wurde deshalb in Berlin ein Gesetzentwurf für einen Volksentscheid erarbeitet, der aus den Erfahrungen der Vergangenheit mit öffentlichen Unternehmen Schlüsse zog, aber gleichzeitig die Vorteile eines demokratisch strukturierten, kommunalen Eigenbetriebs in den Mittelpunkt der Berliner Energieversorgung stellt. Mit dem Berliner Energietisch gründete sich ein Zusammenschluss von mehr als 50 Organisationen und Initiativen aus der Umweltbewegung, der Anti-Atom-Bewegung, der Demokratieinitiativen, linken Gruppierungen und Stadtteilinitiativen dessen Ziel ein landeseigener Netzbetreiber und ein kommunales Stadtwerk mit einer möglichst breiten demokratischen Struktur ist.

Gewinn für die Gesellschaft und die Umwelt statt für Vattenfall
Jedes Jahr wird allein in Berlin über 30.000 Menschen der Strom abgeklemmt, bundesweit sind mehr als 600.000 Haushalte betroffen. Die NaturFreunde und andere zivilgesellschaftliche Organisationen halten dies für nicht akzeptabel und setzen sich deshalb dafür ein, dass Menschen ein Recht auf Energie bekommen. Da Menschen ohne Strom gesellschaftlich isoliert sind, wollen wir ein Stadtwerk durchsetzen, dass gemeinsam mit den Betroffenen nach sozial verträglichen Lösungen sucht. Mit der Gründung eines solchen Stadtwerkes und der Übernahme der Stromnetze kann Berlin finanziell profitieren. Bisher fließen die hohen Gewinne aus dem Netzbetrieb und dem Stromverkauf in die Konzernkassen von Vattenfall. Mit der Rekommunalisierung der Energienetze und der Gründung eines öffentlichen Stromanbieters soll dies geändert werden. Die Gewinne sollen in Zukunft in Berlin für soziale und ökologische Aufgaben eingesetzt werden.

Öffentliches Eigentum als Motor einer dezentralen und demokratischen Energiewende
Energieversorgung und Energieverteilung als Leistungen der Daseinsvorsorge sind jedoch nur bedingt über privatwirtschaftliche Gewinnstrategien sinnvoll zu organisieren, da hierdurch Entscheidungen aufgrund von Gewinnzielen und nicht gesellschaftlich notwendiger Voraussetzungen fallen. Da aber gerade die strategischen Entscheidungen von Energieversorgungsunternehmen und der Ausbau intelligenter Netze maßgeblich mit darüber entscheiden, ob eine dezentrale, ökologische und demokratische Energiewende gelingen kann, ist öffentliches Eigentum für Energieversorgungsunternehmen wichtig.

Darüber hinaus wird mit der Schaffung eines kommunalen Netzbetreibers und eines kommunalen Stadtwerkes die demokratische Mitbestimmung aller Berlinerinnen und Berliner möglich. Aufgrund der langen Laufzeiten der sogenannten »Konzessionsverträge« von 20 Jahren kann die Energiewende direkt gefördert werden. Gerade die lokalen Stromverteilernetze sind für die Schaffung einer dezentralen Energieerzeugung aus nahezu 100 Prozent erneuerbaren Energien wichtig. Über intelligente Netze und den Aufbau von Speicherungskapazitäten kann der schnelle Ausbau von Solarenergie in Berlin direkt gefördert werden.

Demokratische, soziale und ökologische Energieversorgung
In Berlin wurde mit dem Volksbegehren »Neue Energie für Berlin - demokratisch, ökologisch, sozial« eine breite Diskussion über die Zukunft der Energieversorgung angestoßen. Mehr als 700.000 Berlinerinnen und Berliner stimmten für die Ziele der Initiatoren des Volksbegehrens. Eines der zentralen Ziele des Volksbegehrens ist die Demokratisierung der Energieerzeugungs- und Versorgungsstruktur. Demokratisierung wird in dreifacher Hinsicht angestrebt: Erstens wird durch die Rückübertragung der privatisierten Energieversorgung den Wählerinnen und Wählern wieder die Möglichkeit gegeben werden, durch Wahlentscheidungen die Grundausrichtung der Berliner Energieerzeugungs- und Verteilungsstruktur mitzubestimmen. Zweitens wird eine direkte Mitbestimmungs- und Kontrollstruktur im öffentlichen Unternehmen geschaffen. Und drittens wird die Einbeziehung möglichst breiter Teile der BerlinerInnen im Gesetzentwurf sichergestellt. Durch Einwohnerversammlungen, die Direktwahl von fast der Hälfte der Aufsichtsräte sowie der gesetzlichen Regelung, dass Entscheidungen der Einwohnerversammlungen im Aufsichtsrat beraten werden müssen, wird eine größtmögliche Offenheit, Transparenz und Mitentscheidung der Unternehmenspolitik erreicht.

Keine reine Verstaatlichung
Für viele Aktive des Berliner Energietisches haben die doppelt negativen Erfahrungen aus der zentralistischen Planwirtschaft auf der einen Seite und die völlig undemokratische Entscheidungs- und Unternehmenspolitik der öffentlichen Unternehmen in Berlin auf der anderen Seite eine wichtige Rolle bei der Entwicklung dieser Kontroll- und Überwachungsmöglichkeiten gespielt. Gerade kommunale Versorgungsunternehmen hatten in der Vergangenheit nicht immer eine sehr positive Rolle sowohl im ökologischen Bereich als auch in der Versorgung der Menschen. Durch Absprachen der kommunalen Vertretungen mit der jeweiligen Leitung der Kommunen, in enger Zusammenarbeit mit den örtlich wichtigen Privatunternehmen sind häufig »Kungelrunden« entstanden, die über die Ziele der betroffenen Unternehmen entscheiden. Die Betroffenen bleiben dabei außen vor.

In den Diskussionen des Berliner Energietisches spielt vor allem auch die Ablehnung einer reinen Verstaatlichung ohne gesellschaftliche Demokratisierung eine entscheidende Rolle. Mit der Forderung nach Rekommunalisierung oder Vergesellschaftung, mit radikaldemokratischen Ansätzen sollen die negativen Erfahrungen mit profitorientierten Privatunternehmen, aber auch die negativen Erfahrungen mit hochzentralistischen, undemokratischen Staatsunternehmen, verhindert werden und die Veränderung der Eigentumsstruktur mit einer radikalen Demokratisierung der Strukturen verbunden werden.


Autor Uwe Hiksch ist Mitglied im Berliner Energietisch und im Bundesvorstand NaturFreunde Deutschlands.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2014, Seite 8-9
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. April 2014