Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → FAKTEN

ENTWICKLUNG/047: Desertec oder Solar Home Systems - Heilsbringer für Afrika? (Solarzeitalter)


Solarzeitalter 3/2009
Politik, Kultur und Ökonomie Erneuerbarer Energien

Desertec oder Solar Home Systems - Heilsbringer für Afrika?

Von Thorsten Euler


Vor genau 60 Jahren rief der damalige US-Präsident Truman die Welt auf, sich in den Kampf gegen die Unterentwicklung zu stürzen. Was folgte waren Jahrzehnte von Programmen, Projekten und Ideen, vom Aufbau von Schwerindustrie bis hin zur "Hilfe zur Selbsthilfe". Nun schickt sich ein Konsortium aus deutschen Firmen an, den Spagat zwischen der Sicherstellung der Energieversorgung Europas und dem Wirtschaftswachstum in Afrika zu schaffen. Doch blickt man auf die Karte des Desertec-Projekts und des zugehörigen interkontinentalen Verbundnetzes, so fragt sich der größte Teil Afrikas, wo er denn dabei geblieben sei.

Nicht ohne Grund fühlen sich die Betroffenen an die kolonialen Eisenbahnnetze erinnert, deren Verlegung so gestaltet war, möglichst direkt Rohstoffe von den Abbaugebieten zu den Häfen zur Verschiffung ins Mutterland zu transportieren. Auch die Hochspannungsleitungen des Wüstenstroms laufen nach Norden und die auserkorenen Standorte fragen sich, ob am Ende wirklich Strom für ihre eigene Entwicklung zu bezahlbaren Preisen zur Verfügung stehen wird oder die Betreiber gegen eine Abschlagszahlung an Regierende und Entscheidungsträger den kompletten Profit bei den europäischen Verbrauchern suchen werden. Die afrikanischen Bedenken und Sorgen sind jedoch zumeist ausgeblendet worden, man wisse schließlich besser, wie man effizient und sinnvoll diese Projekte durchführt. Und letztendlich würden ja auch Investitionen und Arbeitsplätze für die lokale Bevölkerung abfallen, da solle man nicht im Weg stehen.

Ohnehin ist die Diskussion vor allem eine europäische. Zentralisten und Dezentralisten, Photovoltaiker, Windkraftfans und Desertec-Unterstützer schlagen sich, manchmal medienwirksam, aber immer mit rigoroser Härte, seit längerem gegenseitig die Köpfe ein. Afrika hat in diesem Glaubenskrieg um Versorgungssysteme und Marktanteile schon lange keine Stimme mehr, auch wenn es fundamentaler Teil mancher Projektplanungen ist. Stattdessen wird der Kontinent allzu gerne zum Experimentierfeld aller Seiten der Debatte.


Urbanität und ländlicher Raum in Afrika

Mit ca. 32 Einwohnern pro Quadratkilometer ist Afrika in etwa so dicht bevölkert wie Europa und bei weitem kein vereinsamter Kontinent. Dennoch sind die Disparitäten enorm, denn die Konzentration der Bevölkerung ist deutlich ungleicher. Mit einer Urbanisierungsrate von etwa 38 % liegt Gesamtafrika deutlich hinter den anderen Kontinenten. Und auch die Stadtbevölkerung weist Sonderbedingungen auf, denn in den meisten afrikanischen Staaten konzentriert sie sich zum größten Teil auf wenige, manchmal eine einzelne Großstadt bzw. Primarstadt (Freetown, die Hauptstadt von Sierra Leone ist etwa 16 mal größer als die zweitgrößte Stadt Koidu). Urbanität findet sich demnach vor allem an wenigen Orten, während die Bevölkerungsmehrheit in kleineren Städten und Siedlungen auf dem Land lebt. Die bereits in der Kolonialzeit eingesetzte Landflucht, teils notwendig geworden, um Schulen zu besuchen und Arbeit in den Wirtschaftszentren zu finden, zumeist aber erzwungen, um neben der eigenen Landwirtschaft zur Nahrungssicherung auch noch Geld zum Begleichen der neuen Steuern der Kolonialherren zu verdienen, setzt sich bis zum heutigen Tag fort. Jeden Tag erreichen neue Busladungen von Kleinbauern, die ihre Ernten in Dürren verloren haben, Männern auf dem Weg in die Bergwerke oder Fabriken, Frauen, die nach dem Tod des Ehemanns keinen Besitz mehr haben, Flüchtlingen, die ihre Sicherheit in der Stadt suchen, Jugendlichen, die zu AIDS-Waisen geworden sind, die urbanen Zentren der Länder. Kairo oder Lagos bilden Millionenstädte aus Wellblechhütten und modernen Stadtbezirken, deren Versorgung mit Wasser und Energie nicht mehr über den Brunnen, die Wasserstelle und das Holzsammeln der Subsistenzwirtschaft funktionieren. Diese Bedürfnisse abzudecken ist zumeist bereits eine Herkulesaufgabe für die afrikanischen Staaten. Wirtschaftlich stärkere Länder wie Ägypten, Südafrika, die Maghreb-Staaten oder auch Libyen liebäugeln dabei vor allem mit der Option der Nuklearenergie, andere Staaten nutzen Energie aus Gas, Öl und sehr gerne heimischer Kohle, die sich über die von den wenigen Großstädten ausgehenden Stromleitungen verteilen lässt. Abgesehen von den sicherheitspolitischen Bedenken, die eine Verbreitung der Atomkraft mit sich bringt, führt dies aber vor allem zu einem deutlichen Versorgungsungleichgewicht zwischen Stadt und Land.


Energieversorgung als Entwicklungsvoraussetzung

Die Versorgung mit Energie stellt jedoch ein Grundelement für eine Wirtschaftsentwicklung da, wie sie in den Entwicklungsländern angestrebt ist, um bisherige Entwicklungsrückstände zu den Industrieländern aufzuholen. Strom wird für die Beleuchtung von Häusern und Schulen benötigt, um in den tropischen Ländern nach einem frühen Sonnenuntergang noch Lernen zu können oder Erwachsenen Schulbesuche nach der Arbeit anzubieten. Medizinische Versorgung benötigt Energie zum Betreiben von Kühlschränken zur Medikamentenkühlung, zum Betrieb von Untersuchungsgeräten und Sterilisatoren und zur Nutzung von Funkgeräten in abgelegenen Regionen. Mobiltelefone und Radios sind in Afrika das Hauptmedium der Kommunikation zur Übermittlung von Nachrichten, Information und zum sozialen Austausch. Doch neben den Funkmasten, die oftmals per Photovoltaik versorgt werden, benötigen diese Geräte Lademöglichkeiten, sofern man keinen Kontinent voller verrottender Batterien und Akkus möchte. Petroleumlampen und offene Feuer verursachen Gesundheitsschäden und belasten zumeist die Frauen, die in den Häusern kochen und den Haushalt versorgen. Kleinstprojekte zur Einkommensschaffung, die sich ebenfalls zumeist an Frauen richten, benötigen in vielen Fällen Elektrizität zum Betrieb von kleinen Nähmaschinen, zur Nutzung von modernen Getreidemühlen und der Arbeit in geschlossenen Räumen. Diese Versorgung mit Energie ist, ungeachtet der Frage, ob sich die Betroffenen den Strom überhaupt leisten können, in den Städten zumindest theoretisch gegeben, in den ländlichen Regionen jedoch auch auf absehbare Zeit nicht zu erwarten, da sich die staatlichen Energieversorgungsunternehmen primär auf die urbanen Räume konzentrieren (so werden z.B. bis 2025 in Namibia nur 1.543 von 5.858 ländlichen Siedlungen an das öffentliche Netz angeschlossen werden und im durchaus reichen Botswana Städte wie Ghanzi im Westen des Landes weiterhin abgekoppelt bleiben). Ländliche Siedlungen suchen daher andere Lösungswege wie kleinere Dieselgeneratoren (angesichts steigender Rohölpreise in den letzten Jahren sehr problematisch) oder solare Insellösungen, sogenannte Solar Home Systems (SHS). So wurden mit Unterstützung zahlreicher NGOs und staatlichen Hilfsprogrammen in den letzten Jahren tausende SHS in den ländlichen Regionen Afrikas installiert, um punktuelle Energieversorgung zur Beleuchtung oder Versorgung von Geräten zur Verfügung zu stellen. Hauptproblem bleibt hierbei vor allem der Preis, der trotz fallender Preise auf dem Photovoltaikmarkt noch kein Niveau erreicht hat, das bezahlbar für die Mehrheit der Afrikaner wäre. So werden die Module größtenteils in die Industrieländern verkauft und nur bei Förderung von außen oder staatlichen Subventionen in Afrika installiert. Für umfangreiche Subventionsmaßnahmen zur Schaffung von Kaufanreizen fehlt den Entwicklungsländern aber in der Regel das Geld. Die Gefahr der aktuellen Diskussionsprozesse besteht nun vor allem darin, dass der Blick auf Großanlagen in Nordafrika wandert und die Maßnahmen der Entwicklungszusammenarbeit sich zu Ungunsten des subsaharischen Afrika von den dezentralen Kleinlösungen abwenden. Dies würde die bestehenden Versorgungsunterschiede zwischen Stadt und Land zementieren und neben einer Schwächung der ländlichen Gebiete zu weiteren Problemen wie einer verstärken Landflucht in die Städte "hin zur Energie" führen, da nur dort eine Industrialisierung und wirtschaftliche Entwicklung möglich wäre. Dieser Abkopplung gilt es mit gezielten Maßnahmen entgegenzuwirken, um den ländlichen Raum zu stärken. Hierfür ist aber eine stärkere Koordination und optimierte Betrachtung der einzelnen Maßnahmen notwendig. Gegenwärtig bilden die dezentralen Projekte einen wahren Flickenteppich unterschiedlichster Organisationen und Ansätze, die ihre eigentliche Stärke verbergen und gegenseitige Synergieeffekte nicht nutzen. So scheitert manches Projekt an fehlender Wartung und dem nötigen Fachpersonal, da Ausbildungsmaßnahmen für Kleinprojekte unter Umständen zu kostenintensiv für die finanzierenden NGOs sind. Hier besteht noch großer Nachholbedarf, insbesondere in der Schulung und Ausbildung und der Installation lokaler Kleinnetzwerke (mini-grids) unter Vernetzung bestehenden Generatoren, Photovoltaikanlagen und potentieller neuer Kleinanlagen. Die Möglichkeiten dieser Anlagen sind sehr vielfältig, von Biogasanlagen in Mosambik, die Abfälle aus der Zuckergewinnung vergären, Verbrennungsöfen in Namibia, die Strauch- und Buschreste aus "Entbuschungsarbeiten" verwerten, Kleinstwasserkraft in den Hügel- und Bergregionen Südafrikas oder Dish-Stirling-Anlagen, die die Sonne der Wüste Botswanas nutzen und neben Wärme auch Strom erzeugen. Gerade die Einbindung in Verbrauchernetze von Touristenanlagen bis hin zur Schulküche lassen eine gemeinsame Nutzung von Kraft und Wärme in kleinen Verbünden zu, die ansonsten nicht an das zentrale Energienetz angeschlossen sind. Hier liegen auch die Grenzen dezentraler Anlagen, denn sobald das zentrale Versorgungsnetz sie erreicht hat, verlieren sie in der Regel ihren Standortvorteil und haben aus Kostengründen oft das Nachsehen. So startete Osram am Viktoriasee ein Projekt zur Schaffung von "Solartankstellen", um dort Batterien für Lampen zu laden, mit denen die lokalen Fischer gegenüber den alten Benzinlampen Geld sparen sollten. Doch strauchelte das Projekt an zahlreichen Hürden, sowohl aufgrund falscher Vorstellungen aus Europa, als auch durch bürokratische Hindernisse und kulturelle Unterschiede auf afrikanischer Seite. Und selbst die wenigen vermarkteten Lampen werden inzwischen nicht mehr zwangsläufig an den Solartankstellen aufgeladen, da das zentrale Netz auch dort angekommen ist und in Konkurrenz dazu tritt.


Doppelstrategie für Afrika

Dementsprechend bedarf es im afrikanischen Kontext einer Doppelstrategie zur Versorgung der Bevölkerung mit Erneuerbarer Energie. Im ländlichen Raum, der immer noch den Großteil der Bevölkerung beherbergt, sind Kleinlösungen entweder als Insellösung oder im Verbund mit anderen Kleinanlagen zielgerichtet voran zu treiben, um eine Versorgung mit Energie wenigstens auf kleinem Niveau sicherzustellen. Da diese Projekte oft von Dritten unterstützt werden, sind hierfür Konzepte notwendig, die einen modularen Aufbau verschiedener Teilprojekte aufweisen, um eine Zusammenarbeit auch kleinerer Institutionen zu ermöglichen (das Konzept von Hermann Scheer für das atomkraftfreie Hessen im Landtagswahlkampf 2008/2009 bot in einem größeren Maßstab ein Beispiel für ein solches modulares Konzept). Im urbanen Raum stehen die Erneuerbaren Energien im Wettbewerb mit Großkraftwerken und deren zentralen Netzen. Aufgrund der Präferenz von Energieversorgern und zahlreichen Regierungen für zentrale Lösungen, scheint ein komplett dezentraler Weg in diesen Bereich höchst unwahrscheinlich. Hier bieten solarthermische Kraftwerke eine Alternative zu den bestehenden fossilen Trägern an, allerdings in viel kleineren Größenordnugen. So besteht der Kraftwerkspark Namibias aus Wasser- (240 MW), Kohle- (120 MW) und Dieselkraftwerken (24 bzw. 3 MW). Selbst die im Vergleich zu Desertec winzigen Andasol-Anlagen in Südspanien würden in ihrer Größe ausreichen, um den gesamten fossilen Kraftwerkspark des Landes zu ersetzen. Die Finanzierung bewegt sich in diesen Fällen in Größenordungen, die auch unterhalb der europäischen Stromriesen machbar sind und von kleineren Firmenverbünden gestemmt werden könnten. Insofern müssen solarthermische Kraftwerke nicht zwangsläufig automatisch zu einer Marktkonzentration auf europäische Giganten führen, sofern sie auf die jeweiligen Länder zu Deckung des eigenen Bedarfs angepasst und nicht zum ausschließlichen Stromexport ausgerichtet sind. Modellprojekte im subsaharischen Afrika können dabei zur Erprobung der Technologie und zur kritischen Evaluation der Prozesse dienen und die Energieversorgung von geeigneten Entwicklungsländern nachhaltig fördern, ohne dass der gewonnene Strom unter Umständen in die Industrieländer exportiert wird. Ansonsten besteht die große Gefahr, dass das subsaharische Afrika in der Entwicklung "abgehängt wird". Erst mit solchen Beispielen, die in naher Zukunft erfolgen müssen, kann das Konsortium beweisen, ob es ihm mit der nachhaltigen weltweiten Energieversorgung wirklich ernst ist, oder ob es doch nur um die Sicherung europäischer Marktmacht geht. Angesichts des noch schleppenden Prozesses und der noch zahlreichen Hürden ist mit einer schnellen Realisierung von Desertec in der angestrebten Größenordnung zur Versorgung Europas noch nicht in den nächsten Jahren zu rechnen. Afrika benötigt jedoch bereits heute Energie und wird diese, sofern es kein schlüssiges Gesamtkonzept für Erneuerbare Energien gibt, auf konventionellen Wegen zu decken suchen. Ein solches Konzept wird aber sowohl zentrale als auch dezentrale Komponenten und Technologien umfassen müssen, angepasst an die jeweiligen Bedingungen des Landes. Selbst die grundlegenden Pläne des TRANS-CSP-Konzeptes sehen eine maximale Abdeckung von 17 % des europäischen Bedarfs über Importe vor. Eine "Ideallösung" wie eine Komplettversorgung durch Wüstenstrom ist dabei illusorisch und kann immer nur ein Teil der Gesamtlösung sein. Die dezentralen Anlagen sind durch Anwendung und Erfahrung hier deutlich weiter, brauchen aber noch eine Steigerung von Effizienz und Koordination, während die zentralen Anlagen in den Kinderschuhen stecken und viele nicht-technische Problemfelder wie Wasserversorgung, Partizipation, Rechtssicherheit und soziale Verbesserungen noch lösen müssen. Letztendlich bleibt für die Entwicklungsländer Afrikas, sowohl als Betroffene des Klimawandels, als auch als Energiehungernde, zu hoffen, dass die europäische Debatte am Ende in einem Kompromiss mündet und nicht im Systemkampf am Ende beide Lager der Erneuerbaren Energien sich selbst schädigen.

Thorsten Euler studiert Sozialwissenschaften und Geographie an der JLU Gießen und schreibt zur Zeit seine Diplomarbeit über "Planung, Nutzung und Folgen Erneuerbarer Energien in der Entwicklungszusammenarbeit am Beispiel solarer Energie in Afrika". Seit vielen Jahren beschäftigt er sich mit Entwicklungszusammenarbeit und hat mehrere Feldforschungsreisen und Praktika ins südliche Afrika absolviert. Kontakt: thorsten.euler@sowi.uni-giessen.de


*


Quelle:
Solarzeitalter 3/2009, 21. Jahrgang, S. 11-14
Politik, Kultur und Ökonomie Erneuerbarer Energien
Redaktion: EUROSOLAR e.V.
Europäische Vereinigung für Erneuerbare Energien
Kaiser-Friedrich-Straße 11, 53113 Bonn
Tel. 0228/36 23 73 und 36 23 75, Fax 0228/36 12 79 und 36 12 13
E-Mail: info@eurosolar.org
Internet: www.eurosolar.org

Erscheinungsweise: vierteljährlich
Jahresabonnement: 20,- Euro zuzüglich Porto.
Für Mitglieder von EUROSOLAR im Beitrag enthalten


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Dezember 2009