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EUROPA/390: Neue EU-Kommission im Amt - wo bleibt die Umwelt? (DNR EU)


Deutscher Naturschutzring (DNR)
Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände e.V.
EU-Koordination

EU-News - Mittwoch, 05. November 2014 / Politik & Recht

Neue EU-Kommission im Amt - wo bleibt die Umwelt?



Die neue EU-Kommission von Kommissionspräsident Jean Claude Juncker ist seit Anfang November im Amt. Welchen Stellenwert sie der Umweltpolitik einräumt, wird sich zeigen. Sieben Vizepräsidenten werden in den kommenden fünf Jahren die Arbeit der Generaldirektionen und untergeordneten Fachkommissare bündeln. Anstatt 27 gleichberechtigter Kommissare und Kommissarinnen gibt es nun eine Rangordnung und Clusterbildung. Der Zuschnitt trägt den Politischen Leitlinien Junckers und der Deregulierungsagenda der EU Rechnung.

Der Niederländer Frans Timmermans soll Juncker als erster Vizepräsident vertreten. Er ist für bessere Rechtsetzung, institutionelle Beziehungen und Rechtsstaatlichkeit zuständig. In dieser Rolle besitzt er fast uneingeschränkte Macht und soll nur Themen auf die Agenda der EU-Kommission setzen, die in Junckers Agenda von Jobs, Wachstum und Wettbewerb passen. Er besitzt sogar ein Vetorecht gegenüber den Vorschlägen der Vizepräsidenten. Auf Druck der Umweltverbände und des EU-Parlaments ist der "Superkommissar" nun auch zuständig für nachhaltige Entwicklung. Wie das Thema Nachhaltigkeit konkret ausgestaltet werden soll, ist aber weiterhin unklar. Immerhin betonte Timmermanns in seiner Anhörung vor dem EU-Parlament Anfang Oktober, dass Bessere Rechtsetzung nicht Deregulierung bedeute und dass sie weder auf Kosten der Gesellschaft noch auf Kosten des Umweltschutzes gehen dürfe.

Durch die Zusammenlegung von Themen auf nur noch 20 Fachkommissare wird es nach über 25 Jahren erstmals keinen eigenständigen Umweltkommissar mehr geben. Karmenu Vella aus Malta wird bis Ende Oktober 2019 für Umwelt, Fischerei und Maritime Angelegenheiten zuständig sein. Juncker will durch die Zusammenlegung das "blaue" und das "grüne" Wachstum zusammenführen. Auch das Amt einer Klimakommissarin wird es nicht mehr geben. Stattdessen ist der wegen seiner Ölgeschäfte umstrittene Spanier Miguel Arias Cañete nun Kommissar für "Klima und Energie". Umweltverbände befürchten, dass der Umwelt- und Klimaschutz durch die Zusammenlegung der Ressorts weiter an Bedeutung verlieren wird.

Energie- und Klimathemen sind auf Ebene der Vizepräsidenten nur beim Zuständigen für die Energie-Union, dem Slowaken Maros Sefcovic, angesiedelt, Umweltthemen gar nicht. Sowohl der Fachkommissar für Umwelt, Fischerei und Maritime Angelegenheiten, Karmenu Vella, als auch der für Klima und Energie zuständige Cañete sollen drei Vizepräsidenten zuarbeiten: dem für Deregulierung zuständigen Timmermanns, Sefcovic im Rahmen der Energie-Union sowie dem Finnen Jyrki Katainen unter dem Fokus Arbeit, Wachstum und Wettbewerb. Schon aus dieser Struktur lässt sich ablesen, dass Juncker Umwelt- und Klimaschutz keine Priorität beimisst. Er möchte eine Kommission, die größer und ambitionierter bei großen Dingen ist, dafür aber kleiner und zurückhaltender bei kleinen Angelegenheiten. Umwelt- aber auch Wirtschaftsverbände fürchten eine Marginalisierung des Umwelt- und Klimaschutzes.

Ebenfalls problematisch ist das Mandat des Kommissars für Umwelt, Fischerei und maritime Angelegenheiten. In seinem Arbeitsauftrag ("Mission Letter") findet sich keine verpflichtende und umfassende Umsetzung des 7. Umweltaktionsprogramms - auch nicht in der Anfang November nachgebesserten Version des Mandats. Und das, obwohl es im letzten Jahr von Rat und Parlament beschlossen wurde und damit rechtlich bindend ist. Die Abgeordneten rangen Vella in seiner Anhörung vor dem Europäischen Parlament Ende September aber das Versprechen ab, sich an dem 7. Umweltaktionsprogramm mit seinen Schwerpunkten wie besserer Umsetzung des vorhandenen Umweltrechtes, besserer Kontrolle der Umsetzung in den Mitgliedstaaten sowie der Erarbeitung von Vorschlägen zur Verbesserung der Luftqualität und des Schutzes von Böden zu orientieren. Juncker sieht die europäische Umweltgesetzgebung als komplett an und erwartet von Vella, dass er die existierenden Rechtsakte so gestaltet, dass sie dem vorgesehenen Zweck dienen. Beginnen soll er laut dem Mandat von Juncker mit einem Fitness-Check der Vogelschutzrichtlinie und der Fauna-Flora-Habitatrichtlinie (FFH-RL). Dabei soll er erwägen, diese beiden Richtlinien zu einer zu verschmelzen.

Zum ersten Mal in der Geschichte der Europäischen Union konnten die europäischen Bürgerinnen und Bürger durch die Europawahl im Mai 2014 entscheiden, wer neuer EU-Kommissionspräsident wird. Noch vor der Wahl einigten sich die beiden größten europäischen Fraktionen, die konservative Europäische Volkspartei (EVP) und die Sozialisten und Demokraten (S&D), auf einen Deal: Der Spitzenkandidat, der bei der Europawahl das bessere Ergebnis erzielen würde, sollte auch die Unterstützung der jeweils anderen Seite bei der Wahl zum EU-Kommissionspräsidenten erhalten. Die EVP erhielt die meisten Sitze und setzte nach langem Machtgerangel mit dem Europäischen Rat und mit der Unterstützung der S&D ihren Spitzenkandidat Jean Claude Juncker als ersten gewählten Kommissionspräsidenten durch. Allerdings führte die Große Koalition in Brüssel zwischen EVP und S&D dazu, dass in den Anhörungen der designierten Kommissare eher die Parteizugehörigkeit als die Qualifikation der Kandidaten eine Rolle spielte.

Im Wahlkampf haben die Europaparlamentarier mehr Transparenz und die Demokratisierung von EU-Entscheidungen gefordert und auch Juncker hat dies unterstützt. Dies könnte aber an der neuen Struktur der EU-Kommission scheitern. Vorschläge der gewählten Volksvertreter im Europäischen Parlament für neue Rechtsakte oder Strategien wurden bisher im Kollegialorgan der Kommissare weiter behandelt. In Zukunft könnten solche Initiativen schon auf Ebene der Vizepräsidenten, spätestens aber beim "Superkommissar" Timmermans, im Vorfeld einer demokratischen Diskussion "im Keim erstickt" werden, fürchten die Umweltverbände.

Umweltverbände und das EU-Parlament müssen in den kommenden fünf Jahren der EU-Kommission stark auf die Finger schauen, damit die EU weiter auf dem eingeschlagenen Weg der nachhaltigen Entwicklung schreitet. Die neue EU-Kommission darf die Prinzipien der EU- Umweltpolitik nicht auf Wunsch der Industrie aufweichen. Sowohl das Prinzip eines hohen Schutzniveaus, als auch das Vorsorgeprinzip, das Vermeidungsprinzip, die Schadensbeseitigung durch das Ursprungsprinzip und das Verursacherprinzip sind in den EU-Verträgen festgelegt. Juncker sagte in seiner Rede Ende Oktober vor dem Europäischen Parlament: "Nachhaltigkeit und ökologische Belange sind unseren Bürgerinnen und Bürgern wichtig. Mit großen grünen Ressorts, die über hohe Budgets und knallharte Regulierungskompetenzen verfügen, besitzt die neue Kommission die Instrumente, um sich ihrer anzunehmen". Daran werden die Umweltverbände und das Europäische Parlament die neue EU-Kommission messen. [bv]

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Quelle:
EU-News, 05.11.2014
Deutscher Naturschutzring e.V. (DNR)
EU-Koordination
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E-Mail: eu-info@dnr.de
Internet: www.eu-koordination.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. November 2014