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EUROPA/476: Mehr Nachhaltigkeit? Umsetzung der 2030-Agenda in der und durch die EU (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 3/2016
Völlig losgelöst
Lässt sich die EU noch demokratisieren?

Endlich wieder mehr Nachhaltigkeit?
Umsetzung der 2030-Agenda in der und durch die EU

Von Marie-Luise Abshagen


Im September 2015 verabschiedete die Staatengemeinschaft nach gut dreijährigem Verhandlungsprozess die 2030-Agenda für nachhaltige Entwicklung und ihre 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals - SDGs) mit Vorgaben für die Bewältigung zentraler Herausforderungen der Weltgemeinschaft. Die SDGs sind universell, das heißt für alle Länder und Regionen weltweit gültig. Auch die Europäische Union (EU) steht in der Verantwortung, die 2030-Agenda konsequent und umfassend umzusetzen und Erfolge in regelmäßigen Abständen zu überprüfen. Werden die SDGs also zu mehr Nachhaltigkeit in der EU führen?


Aufgrund ihres besonderen Status als supranationale Organisation, an die ihre Mitgliedstaaten zahlreiche Politikkompetenzen (beispielsweise Agrar und Handel) abgegeben haben, muss auch die EU eine entscheidende Rolle bei der SDG-Verwirklichung spielen. Tatsächlich hat sich die EU dazu bekannt, die 2030-Agenda voll umzusetzen und ihre Politiken und Handlungen an den Zielen der neuen Agenda auszurichten. Die Kommission und der Rat veröffentlichten diesbezüglich mehrere strategische Dokumente, in denen sie eher allgemein ihre Prioritäten und Prinzipen für die 2030-Agenda und deren Umsetzung festlegten. Nach der Verabschiedung der SDGs haben sich nun einige bestehende und neue Strategien als mögliche Umsetzungsmechanismen herauskristallisiert.

Umsetzung der SDGs in der EU-Außenpolitik

Die Umsetzung der 2030-Agenda in der und durch die EU-Außenpolitik soll durch 2 Prozesse geleitet werden:

Die 'Global Strategy for the European Union's Foreign And Security Policy' sowie einen überarbeiteten Europäischen Konsens über die Entwicklungspolitik. Die Global Strategy wurde vom Rat im Juni 2015 in Auftrag gegeben, von der Hohen Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik Federica Mogherini angefertigt und am 28. Juni 2016 vorgestellt. Die Strategie bezieht sich vielfach auf die SDGs, wobei vor allem die Möglichkeit, durch sie Wohlstand zu generieren, in den Vordergrund gestellt wird. Unglücklicherweise wurde die Strategie kurz nach dem Brexit-Ergebnis vorgestellt, weswegen sich die öffentlichen Diskussionen über die Strategie in Grenzen halten. Im Großen und Ganzen konzentriert sich die Bewertung der Strategie vor allem auf das darin vorgestellte Sicherheitskonzept.

Der Europäische Konsens über Entwicklungspolitik wurde 2005 veröffentlicht. Er formuliert Schlüsselprinzipien für die EU-Entwicklungspolitik ebenso wie für ihre Mitgliedstaaten und legt die Arbeit der Kommission dar. 2 grundsätzliche Funktionen erfüllte der Konsens seit 2005: Er führte zu einer Sichtbarkeit der Prinzipien und Ziele der EU-Entwicklungspolitik und lenkte die Formulierung von neuen Politiken, beispielsweise bei der Definition eines mehrdimensionalen Armutsbegriffs. Außerdem wurde er als Grundlage für die Finanzierung der EU-Entwicklungspolitik in den Jahren 2007-2013 genommen. Seitdem hat sich der Einfluss des Konsenses jedoch graduell verringert und er wird mittlerweile nur noch selten als ein Referenzdokument beim Entwurf neuer Politiken genutzt. Mit der 2016 stattfindenden Überarbeitung soll er nun neues Leben erhalten. Dafür wird ein direkter Bezug zur 2030-Agenda gesucht. Die Überarbeitung wurde von einer Konsultation begleitet, die unter anderem Fragen zu politischen Prioritäten, einer Verbindung zwischen der 2030-Agenda und dem Pariser Klimaabkommen, einer Balance der 3 Dimensionen von Nachhaltigkeit (ökologisch, ökonomisch, sozial) bis hin zu konkreten Einzelthemen wie Ungleichheit, Sicherheit oder Migration stellte. Zivilgesellschaftliche Akteure lobten die Konsultation als eine erste Möglichkeit, die Zusammenhänge zwischen der Politik innerhalb der EU und ihrer Außenpolitik darzustellen. Die Überarbeitung der Strategie soll 2017 fertiggestellt werden.

EU-Nachhaltigkeitspolitik und die SDGs

Wie die SDGs auf EU-Ebene und innerhalb Europas umgesetzt werden sollen, wird derzeit ebenfalls diskutiert. Schließlich geht es bei den SDGs auch darum, Politik im Globalen Norden zu verändern. Der Rat unterstreicht in seinen Schlussfolgerungen von Mai 2015, dass für den Erfolg der 2030-Agenda Politikkohärenz auf allen Ebenen notwendig sei. In der EU sollten als Beitrag zur Umsetzung der Agenda die Voraussetzungen für "smartes, inklusives und nachhaltiges Wachstum" geschaffen werden. 2015 beauftragte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Junker Karl Falkenberg, früher Direktor der Generaldirektion Umwelt und heute Berater des kommissionseigenen Think Tanks 'European Political Strategy Center', den Zusammenhang zwischen 2030-Agenda und Nachhaltigkeit in der EU zu prüfen. Der Falkenberg-Bericht 'Sustainability Now! A European Vision for Sustainabilty' liegt seit Juli 2016 vor.

Falkenberg analysiert die Schwächen des derzeitigen Entwicklungsmodells, auch in Bezug auf innereuropäische Systeme (u.a. Agrar, Handel, Meere, Städte und Finanzsektor). Für die Umsetzung der 2030-Agenda brauche es einen EU-Umsetzungsplan oder eine Strategie. Neue Ansätze von Transparenz und Partizipation seien dazu nötig, ebenso wie die Schaffung von Räten für Nachhaltige Entwicklung, Nachhaltigkeitsweiterbildungen für die MitarbeiterInnen der EU-Kommission sowie zum einen ein Nachhaltigkeitsnetzwerk, wodurch die Entstehung von Silos innerhalb der Kommission vermieden werden könnten, wie auch die Umsetzung von nachhaltiger Entwicklung auf allen Politikebenen (EU, nationale und lokale Ebene). Zentral sei zudem die Erstellung von Indikatoren zur Messung von nachhaltiger Entwicklung. Gleichzeitig macht er auch deutlich, dass die finale Entscheidung für die Umsetzung der SDGs auf EU-Ebene zwar einerseits bei der EU-Kommission liegt, gleichzeitig aber die Mitgliedstaaten einen enormen Einfluss auf EU-Politik haben und nachhaltige Entwicklung auch ernst nehmen müssen.

Mit diesen Empfehlungen bezieht sich Falkenberg direkt auf zivilgesellschaftliche Forderungen der letzten Jahre. Das Europäische Umweltbüro kritisiert deshalb, dass viele der Empfehlungen des Berichtes auf EUEbene bereits bestünden, aber einfach nicht umgesetzt würden. Hierzu gehörten unter anderem die Kreislaufwirtschaft, Umweltsteuern und die Internalisierung von Umweltkosten, eine Reform der Agrarpolitik, eine Finanztransaktionssteuer und grüne Infrastruktur. Zudem widerspräche sich der Bericht darin, dass er zwar eingestehe, Umweltprobleme und Ungleichheiten seien durch den exzessiven Fokus auf Jobs und Wachstum entstanden, gleichwohl aber auch durch mehr Jobs und Wachstum und Deregulierung zu lösen. Gerade der Bezug auf alternative Modelle von Entwicklung, Wirtschaft und Finanzsystemen fehlte. Wobei der Bericht immerhin die Notwendigkeit einer anderen Form von Wachstum und die Grenzen von BIP (Bruttoinlandsprodukt) als Wohlstandsindikator benenne.(1)

Dass der Bericht vor allem auf Wirtschaftswachstum und Deregulierung setzt, geht einher mit der politischen Richtung der Kommission. Aus deren Sicht bietet die Wachstumsstrategie Europa 2020 einen zentralen Bezugsrahmen für die Umsetzung der neuen Agenda, obwohl deren Revision seit 2014 aussteht. Durch regelmäßige Überprüfungen soll diese zu mehr Kohärenz, Mainstreaming und Integration der 3 Dimensionen nachhaltiger Entwicklung in EU-Politiken beitragen. Die Europa 2020-Strategie spiegelt dabei klar die Richtung der Junker-Kommission wider: Deregulierung und Wachstum. Umweltschutz spielt in dieser Strategie kaum eine Rolle, vielmehr wird dieser in der Junker-Administration auf Klima im Rahmen der Energieunion reduziert oder sogar wie durch den 'Fitness-Check' der europäischen Naturschutzgesetzgebung auf den Prüfstand gestellt.

Europäische Nachhaltigkeitsstrategie als SDG-Umsetzungsplan?

Die weitere EU-Strategie, die als Umsetzungsinstrument für die SDGs gehandelt wird, ist die Europäische Nachhaltigkeitsstrategie. Sie formulierte Zielsetzungen und Maßnahmen u.in den Bereichen Klimawandel, Verkehr, Konsum und Produktion, Gesundheit und Globale Armut. Kritisiert werden allerdings die fehlende Überprüfbarkeit der Ziele sowie die mangelnde Umsetzung.

Ob die EU-Nachhaltigkeitsstrategie jemals die nötige Durchschlagskraft gewinnen kann, muss hinterfragt werden. Nicht nur hatte die Strategie in der Vergangenheit kaum Einfluss auf Entscheidungen in der EU, auch geht der Trend der EU-Politik unter der Juncker-Kommission klar weg von mehr Nachhaltigkeit. Dies könnte die Strategie im Zweifelsfall wieder nur zu einem Sektorprojekt verkommen lassen und im Zweifelsfall auch den SDG-Umsetzungsprozess gefährden.

Welche konkrete Umsetzungsstrategie es für die SDGs innerhalb der EU werden wird, bleibt somit ein Jahr nach der Verabschiedung der 2030-Agenda noch immer offen. Diese Unschlüssigkeit passt gut ins Bild. Die EU hat bei der Verhandlung der SDGs kaum Farbe oder Stimme gezeigt, sondern das Feld den Mitgliedstaaten überlassen, obwohl oder gerade weil diese in der Erarbeitung des SDG-Zielkatalogs zum Teil sehr gegensätzliche Vorstellungen vertraten. Gleichzeitig wird Nachhaltigkeit zwar als eines der Werkzeuge benannt, die aus der derzeitigen Krise der EU zu führen; wirklich umzusetzen scheint dies aber keiner zu wollen, obwohl die zunehmende Ungleichheit, wirtschaftliche Stagnation oder Fehlentwicklungen, Umweltprobleme und Unzufriedenheit mit den europäischen Institutionen allgegenwärtig sind. Dabei bräuchte man zur Rettung der europäischen Idee genauso wie zur Umsetzung der SDGs eigentlich ein komplettes Neudenken ganzer Sektoren, ausgerichtet an der Überwindung von Ungleichheiten und den planetarischen Grenzen. Die EU muss aus dem Brexit-Votum lernen und die Bürgerinnen und Bürger wieder in den Mittelpunkt der EU-Politiken und die Umsetzung der SDGs zur Leitlinie der EU machen. Stattdessen ist und bleibt alles unter die Maxime Wirtschaftswachstum gestellt. So wird es denn auch mit der Verwirklichung der SDGs nichts werden und mit der dringend benötigten Transformation unserer Gesellschaften schon gar nicht.


Die Autorin Marie-Luise Abshagen ist Referentin für Nachhaltige Entwicklung beim Forum Umwelt und Entwicklung.


Fußnote

(1) http://www.eeb.org/index.cfm/newsevents/news/why-more-of-the-same-will-not-get-us-to-sustainability/


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NROs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Rundbrief 3/2016, Seite 5-6
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 93, Fax: 030/678 1775 80
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. November 2016

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