Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → FAKTEN

GARTEN/156: Gemüseanbau in der Großstadt. Arbeitsgruppe Kleinstlandwirtschaft Berlin (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 154 - Februar/März 2010
Die Berliner Umweltzeitung

Gemüseanbau in der Großstadt
Eine Arbeitsgruppe Kleinstlandwirtschaft in Berlin

Von Elisabeth Meyer-Renschhausen


Anfang November 2009 traf sich die Berliner Gruppe "AG Kleinstlandwirtschaft" zu einer Tagung in Lebus an der Oder. Die Arbeitsgruppe besteht aus etwa einem aktiven Dutzend nebst einem weiteren Dutzend weniger Aktiver. Es handelt sich um einen freien Zusammenschluss von Wissenschaftler/-innen, die sich zugleich als Gartenaktivist/-innen betätigen, sowie Freiberuflern und Gärtner/-innen aller Art. Einige haben Landwirtschaft, ökologischen Gartenbau oder Landschaftsplanung studiert und unterrichtet. Die Gruppe eint sowohl ein wissenschaftliches als auch praktisches Interesse an der Frage der "urban agriculture", respektive Kleinlandwirtschaft und Gartenbau allgemein und zwar weltweit.

Mitglieder der Gruppe forschen sowohl über die Community gardens von New York City als auch über die Kleinbäuerinnen Afrikas. Und die Gruppe steht in Kontakt zu Forschern, die über die "individuelle Kleinstlandwirtschaft" der Genossenschaftsbauern in Osteuropa vor und nach der Wende forschten. Ergebnis der Arbeit der Gruppe sind bisher vier Bücher, darunter "Die Gärten der Frauen" sowie "Welternährung durch Ökolandbau".

Die erste Homepage der AG wurde anlässlich der "Gartenkonferenz", eines internationalen Kongresses "Kleinstlandwirtschaft und Gärten in Stadt und Land als weibliche Ökonomie" an der Landwirtschaftlich-Gärtnerischen Fakultät (LFG) der Humboldt-Universität eingerichtet, wird jedoch an der Freien Universität geführt: (userpage.fu-berlin. de/~garten). Seit 2004 wird sie durch das von der Münchner Stiftung Interkultur und der Berliner Senatsverwaltung unterstützte Wiki (www.urbanacker.net) fortgeführt.

20 interkulturelle Gärten in Berlin Von Anfang an waren die Mitglieder der AG Kleinstlandwirtschaft auch praktisch tätig. Mittlerweile ist Berlin mit etwa 20 interkulturellen Gärten und weiteren, republikweit bekannten Gärtnereien wie etwa den "Prinzessinnengärten", eine Art "Vorreiterin" des neuen "urban gardening". Um die Sache publik zu machen, müssen aber fortlaufend Bürgerversammlungen besucht werden, und es muss geschrieben und veröffentlicht werden. Zwei neuere Professuren an der LFG Fakultät der HU sind von ihrer Ausrichtung auf städtische Landwirtschaft her unter anderem auf die Arbeit der AG zurückzuführen. Künstlerische Aktionen sorgen auch dafür, das Thema "neues Gärtnern" als entscheidend für eine nachhaltige Lebensweise einem weiteren Publikum nahezubringen. Parallel zur AG Kleinstlandwirtschaft koordiniert aus einem Büro des BUND Gerda Münnich die "AG Interkulturelle Gärten in Berlin und Brandenburg".

In Lebus ging es den Mitgliedern der AG Kleinstlandwirtschaft darum, wo die Gruppe künftig ihre Schwerpunkte setzten will. Geht es ihr um die Theorie oder mehr um die Praxis? Bei ausführlichen Brainstormings und Vorstellungsrunden zeigte sich, dass eine Weiterentwicklung der Theorie auch eine Fortentwicklung "im praktischen Feld" braucht. Zwar sind die neuen Gärten Berlins - das heißt vor allem die interkulturellen Gärten - im städtischen Agenda 21-Prozess verankert und sogar vom Abgeordnetenhaus als Beitrag zur Klimawende anerkannt.

Praktisch erfolgt aus dieser Anerkennung jedoch bisher nichts, bemängelte vor allem Frauke Hehl. Im Gegenteil: Im Zweifelsfall redet man sich in den betreffenden Behörden ein, die engagierten Bürger wären Laien und müssten daher nicht zu ernst genommen werden. Das "Ehrenamt" ist - wie die heutige Begriffsverwirrung um das Wort sowie seinen Ersatz durch "Freiwilligkeit" andeuten - bei Behördenvertretern wenig angesehen. In Hartz-IV-Zeiten, da Arbeitsämter in Versuchung sind, aus Ehrenämtern "Zwangsarbeiter" zu machen, ist das Ansehen gegenüber unentgeltlichem Einsatz im Schwinden. Anerkennung für informelles Handeln taucht erst dann wieder auf, wenn es aus dem Abenteuerlichen, Wilden wieder hervorbricht. So wäre die Begeisterung der Presse für das "Guerilla Gardening" erklären - für Projekte, die ohnehin beeindruckend sind.

Koordination des städtischen Gemüseanbaus Der AG Kleinstlandwirtschaft geht es daher besonders darum, den Auftritt der städtischen Gemüseanbauer gegenüber den Behörden zu koordinieren. Zwar finden auch in Berlin wie etwa in Nordamerika immer mehr Behördenvertreter und Politiker Gefallen an einer subsistenzorientierten urbanen Landwirtschaft. Aber sie schaffen es bisher kaum, die entsprechenden Gruppen, wie etwa die interkulturellen Gärten der AG Gleisdreieck oder die Gartenarbeitsschulen in Moabit, zu unterstützen. Oft werden die Initiativen zwischen den divergierenden Interessen der verschiedenen Behördenteile aufgerieben.

Die AG Kleinstlandwirtschaft empfiehlt daher dem Land Berlin, nach New Yorker Vorbild eine Kleinbehörde à la "GreenThumb" einzurichten. "GreenThumb" ("Grüner Daumen") koordiniert die 500 "Community Gardens" in New York City. Sie war zunächst beim Bürgermeister angesiedelt und ist heute ein Teil der Park- und Freizeitadministration.

Bisher wurden solche Vorschläge abgelehnt, beziehungsweise zwischen Senats- und Bezirksebene hin und her geschoben. Es muss angeblich gespart werden. Wir müssten aber zusammenzählen, wie die neue urbane Landwirtschaft dem Erhalt der Biodiversität dient.

Die AG Kleinstlandwirtschaft ist dem Agenda 21-Prozesss verpflichtet: Die Gemeinschaftsgartenprojekte arbeiten ökologisch und nachhaltig, auch wenn die eine oder andere Gärtnerin vom nachhaltigen Landbau noch wenig weiß. Umso wichtiger ist, dass die Berliner Interkulturellen Gärten in Verbund mit der Gruppe der Initiator/-innen bleiben. Vernetzungen mit ökologisch - sowie sozial aktiven Gruppen wie dem Vern e.V. sind genauso wichtig. Die Arbeitsgruppe arbeitet jetzt an einem gemeinsamen Manifest. Und sie entwickelt ein "Logo" für die Berliner Gemeinschaftsgärten. Damit werden wir kundtun, dass, wie in New York City oder Paris, wir unsere Art der urbanen Landwirtschaft durchaus nicht als privaten Spaß verstehen. Außerdem soll im Frühjahr, nach US-amerikanischem Vorbild, eine erste "Grow-together-Konferenz" für alle aktiven Gärtner/-innen in Berlin und Brandenburg stattfinden.

userpage.fu-berlin.de/~garten

www.urbanacker.net


*


Quelle:
DER RABE RALF - 21. Jahrgang, Nr. 154, Februar/März 2010, S. 7
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 230, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
Redaktion DER RABE RALF:
Tel.: 030/44 33 91-47, Fax: 030/44 33 91-33
E-mail: raberalf@grueneliga.de
Internet: www.raberalf.grueneliga-berlin.de

Erscheinen: zu Beginn gerader Monate
Abonnement: 10 Euro/halbes Jahr


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. März 2010