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LÄRM/105: Wieviel Fluglärm verträgt der Mensch? (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 180 - Juni / Juli 2014
Die Berliner Umweltzeitung

Wieviel Fluglärm verträgt der Mensch?
Sachverständigenrat mahnt Lärmreduzierung an

Von Volker Voss



Aufgrund der zunehmenden Anzahl von Flugbewegungen sind immer mehr Menschen von krankmachendem Fluglärm betroffen. Es wird verstärkt gefordert, die Bürgerinnen und Bürger bei künftigen Planungen stärker miteinzubeziehen. Doch dazu, wie Menschen besser geschützt werden sollen, gibt es unterschiedliche Vorschläge. Sie reichen von Nachtflugverboten, Schallschutzmaßnahmen und der gesetzlichen Festlegung zulässiger Grenzwerte für den Lärmschutz bis hin zum Baustopp stadtnaher Airports. Lobbyvertreter sehen bei Veränderungen des Ist-Zustands meist den Wirtschaftsstandort Deutschland in Gefahr. Betroffene monieren die fehlende Transparenz.

Der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) stellte nun sein Sondergutachten "Fluglärm reduzieren: Reformvorschläge für die Planung von Flughäfen und Flugrouten" vor. Darin wird unter anderem Kritik an den bisherigen Planungen beim Bau und Ausbau von Airports und der Festlegung von Flugrouten geübt. Zudem werden Verbesserungsvorschläge gemacht. "Beim Flughafenausbau fehlt es an einer gesamtstaatlichen Bedarfsplanung, die über die Interessen von Flughafenbetreibern und Bundesländern hinaus die gesamtstaatlichen Aspekte im Blick behält und die Frage des Bedarfs thematisiert", heißt es in dem Gutachten.

Unverbindliche Prognosen

Die Gutachter verweisen darauf, dass Umweltverträglichkeitsprüfungen (UVP) und vorgesehene Öffentlichkeitsbeteiligungen schlicht ins Leere laufen, weil sie sich nur auf prognostizierte Flugrouten beziehen, die auch bei wesentlichen Änderungen nicht anfechtbar sind. Das deutsche Recht verstößt beispielsweise gegen die europäische UVP-Richtlinie 2011/92/ der EU. Bei der Durchführung des Planfeststellungsverfahrens ist eine verbindliche Umweltverträglichkeitsprüfung notwendig. "Auch beim geplanten Großstadtflughafen BER gab es nur eine unverbindliche Prognose der Flugrouten und keine adäquate Bürgerbeteiligung", kritisiert Prof. Christian Calliess vom SRU. Demnach sollten wirtschaftliche Gründe ausgeschlossen sein und der Lärmschutz oberste Priorität haben.

Eher abweisend reagiert die Flughafenlobby: "Das Gutachten stößt an praktische Grenzen", so Ralph Beisel, Hauptgeschäftsführer des Flughafenverbandes. Es solle nicht überreguliert werden. Vielmehr seien ein Interessenausgleich auf lokaler Ebene und ein Bürgerdialog vor Ort wichtig. Hinzu kommt der reflexartige Lobbyverweis auf den Wirtschaftsstandort Deutschland.

Mangelnde Bürgerbeteiligung

Erinnert sei daran, wie Bürgerbeteiligung beispielsweise am im Bau befindlichen Berliner Großstadtflughafen BER aussieht, wo die Flughafengesellschaft den Anwohnern selbst die ihnen gerichtlich zugesprochenen Lärmschutzmaßnahmen aus Kostengründen mit juristischen Tricks verweigern wollte. Es sieht nun so aus, als ob auch der erfolgreiche Volksentscheid zum Nachtflugverbot von 22 Uhr bis 6 Uhr von Seiten der Rot-Roten Brandenburger Landesregierung aufgeweicht wird. Es würden eher die Interessen der Airlines berücksichtigt als der Gesundheitsschutz der Bürgerinnen und Bürger. Auch Berliner Senat und Bundesregierung hätten nie die Interessen der Anwohner vertreten, was die Akzeptanz des neuen Flughafens nicht gerade erhöht, so die Bürgerinitiativen gegen Fluglärm. Schließlich kam es zu massenhaften Bürgerprotesten, weil rücksichtslos dicht besiedelte Gebiete sowie Naturschutzgebiete überflogen werden sollen.

"Der Bau des BER und der Ausbau des Flughafens Frankfurt haben die Diskussion um den Lärmschutz in Gang gebracht und die Landtagswahl in Hessen beeinflusst", berichtet Gertrud Sahler vom Umweltbundesamt. Sie kritisiert, dass es keine Grenzwerte für Fluglärm gibt. Die NaturFreunde Deutschlands fordern einen konkreten Zeit- und Aktionsplan zur Umsetzung des Lärmschutzes und berufen sich dabei auf die von der Weltgesundheitsbehörde aufgestellten Zielwerte zur Lärmbekämpfung, wonach beim Schalldruckpegel tagsüber 65 Dezibel(A) und nachts 55 Dezibel(A) nicht überschritten werden sollten.

Wie dringend das Problem Fluglärm ist, belegt die Bundesvereinigung gegen Fluglärm (BVF). In ihrem und im Auftrag des Umweltbundesamtes untersuchte Prof. Dr. Eberhard Greiser von der Epi.Consult GmbH die Auswirkungen von Landungen und Starts auf die Anwohner im Einzugsbereich des Köln-Bonner Flughafens. Ärzte hatten bereits eine Zunahme von Krankheiten bei Patienten im Einzugsbereich des Flughafens festgestellt. Demnach führt insbesondere nächtlicher Fluglärm aufgrund der gestörten Nachtruhe zu einem erheblichen Erkrankungsrisiko für erhöhten Blutdruck und alle Folgekrankheiten wie beispielsweise Herz- und Kreislaufprobleme. Schließlich erstellte Greiser eine Prognose für mögliche Erkrankungen, die sich in seiner Studie zu den Risikoerhöhungen gezeigt haben. Das sind insbesondere Herzinfarkt und -schwäche, Schlaganfall, chronisches Nierenversagen, Zuckerkrankheit, psychische Erkrankungen und Demenz.

Wirtschaftliche Kosten

Dem Argument, der Köln-Bonner Flughafen sei ein wichtiger Wirtschaftsfaktor in der Region, wurde in diesem Zusammenhang eine Gewinn-Verlustrechnung entgegengestellt. Demnach stünden jedem Gewinn des Flughafens in Höhe von einer Million Euro circa 7.8 Millionen Euro Krankheitskosten gegenüber - verursacht durch Fluglärm. So ist jeder Gewinn, gesamtwirtschaftlich gerechnet, eigentlich ein Minus. Für eine zehnjährige Hochrechnung zwischen 2012 und 2021 wurden dazu auch die Krankheitskostenrechnungen des Statistischen Bundesamtes herangezogen.

"Noch 20 bis 30 Jahre auf lärmärmere Flugzeuge zu warten und eine leichte Erhöhung der Landegebühren nützen den Bürgern überhaupt nichts", moniert die BVF. Wer den Fluggesellschaften Planungssicherheit gewährt, sollte auch die Pflicht haben, die Lebensqualität der Anwohner zu bewahren.

"Belastungsstrukturen kann selbst der beste Bürgerdialog nicht beheben", kritisiert Prof. Jörg Berkemann, Richter am Bundesverwaltungsgericht a.D. Bei der Privilegierung des Flugverkehrs gegenüber anderen Verkehrsmitteln handle es sich um altgestrickte Strukturen - und plötzlich kam die Öko-Wende, mit der vieles infrage gestellt wurde. Die Gesetzgebung weist rechtliche Lücken auf. Grundsätzlich sollten die Kapazitäten eines Flughafens im Planfeststellungsbeschluss verbindlich festgelegt werden. Berkemann führt als Negativ-Beispiel den Flughafen Berlin-Tegel an, wo ohne erneutes Verfahren kräftig erweitert wurde. Dort gibt es regelmäßig Ausnahmeregelungen für Starts und Landungen trotz Nachtflugverbot. Anwohner laufen bereits Sturm gegen die ständige Verletzung ihrer Nachtruhe.

Werden neben den Ärgernissen um Fluglärm noch die Inkompetenz, die Geldverschwendung und Intransparenz am Pleiteflughafen BER in Betracht gezogen, zeigt sich, dass den Betroffenen ein gesetzlich verbindliches, wirkungsvolles Mitsprachrecht gewährt werden muss. Das beinhaltet auch das Einspruchsrecht gegen den Bau und die Erweiterung von Airports.

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Quelle:
DER RABE RALF - 25. Jahrgang, Nr. 180 - Juni/Juli 2014, Seite 12
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 8, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Juli 2014