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SCHÄDLING/030: Hochinvasive Kastanienminiermotte lebte bereits 1879 am Balkan (idw)


Freie Universität Berlin - 21.06.2011

Hochinvasive Kastanienminiermotte lebte bereits 1879 am Balkan: Neue Fakten zur Herkunft


Die Kastanienminiermotte lebte schon 1879 am natürlichen Standort der Rosskastanie in Griechenland. Der hochinvasive Schädling kam damit bereits mehr als 100 Jahre vor seiner wissenschaftlichen Entdeckung am Balkan vor. Zu diesem Ergebnis kommt die aktuelle Studie eines internationalen und interdisziplinären Teams um David Lees (Institut National de la Recherche Agronomique, Frankreich und Natural History Museum, London) und H. Walter Lack (Botanischer Garten und Botanisches Museum, Freie Universität Berlin) aufgrund einer Analyse von Herbarbelegen. Sie lösen eine 20-jährige Debatte zur Herkunft der Kastanienminiermotte und deren Invasion in Europa.

Für den blattminierenden Schädling ist ein Ursprung am Balkan jetzt sicher. Die Ergebnisse werden in der Online-Ausgabe von Frontiers in Ecology and the Environment am 21. Juni 2011 publiziert, dem wissenschaftlichen Journal der Ecological Society of America. Sie erscheinen ebenso in der gedruckten Augustausgabe.

Zeitreise zu historischen Miniermottenlarven in Herbarien

Für diese Studie wurden Herbarbelege der Rosskastanie - der Wirtspflanze der Kastanienminiermotte - in verschiedenen botanischen Institutionen Europas untersucht. Überraschenderweise wurden in den Rosskastanienblättern viele Larven der Kastanienminiermotte gefunden, die unbeabsichtigt mit den Pflanzenteilen gepresst und konserviert wurden. Die älteste Raupe befand sich in einem Herbarbeleg, der 1879 in Griechenland gesammelt wurde. Das sind über 100 Jahre bevor die Kastanienminiermotte in Europa bekannt wurde. Durch eine genetische Analyse der Erbinformationen aus Zellkern und Mitochondrien der Raupen konnten die Wissenschaftler eindeutig beweisen, dass die historischen Raupenfunde zur Kastanienminiermotte zählen. Weiterhin wurde die genetische Variabilität von historischen Mottenpopulationen aus Herbarbelegen mit derjenigen von heutigen Populationen verglichen. Die Studie zeigt auf, dass Herbarien bisher zu wenig genutzt werden für die Untersuchung der Beziehungen zwischen Pflanzen und Insekten, der Vielfalt von Pflanzenschädlingen, der Untersuchung des Ursprungs von invasiven Arten und der Dokumentation historischer Verbreitung von Arten. Herbarien sind relevante Sammlungen, um moderne Probleme wie invasive Arten, Schädlinge und Krankheiten zu lösen sowie den Wandel innerhalb der Biodiversität im Verlaufe der Zeit und des Raumes zu belegen. Ein Herbarium ist eine wissenschaftliche Sammlung gepresster und getrockneter Pflanzen.

Neue Fakten zum Ursprung der Kastanienminiermotte

Wissenschaftler haben lange debattiert, ob die Kastanienminiermotte möglicherweise aus Südostasien eingeschleppt wurde. Auch ein Wirtswechsel des Schädlings von Platanen oder Ahornen zur Rosskastanie erschien bislang eine mögliche Erklärung. Die vorliegende Studie beweist jedoch, dass die Kastanienminiermotte ihren Ursprung am Balkan hat und wiederlegt frühere Theorien. Einerseits zeigen die untersuchten Raupen am Balkan eine höhere genetische Variabilität auf, als bisher bekannt war. Andererseits stammen die ältesten Raupen von Herbarbelegen der Rosskastanie aus Zentralgriechenland und Albanien, dem Wildstandort der Baumart.

Die Studie zeigt weiterhin auf, dass eine Massenvermehrung der Kastanienminiermotte und deutliche Schadensbilder an den Blättern der Rosskastanie nicht erst ein Phänomen der letzten Jahre ist. Herbarbelege beweisen, dass dieses Phänomen bereits seit 1961 besteht. Das Wissenschaftsteam postuliert, dass die Kastanienminiermotte lange Zeit in isolierten Populationen in sehr unzugänglicher Schluchtwälder des Balkans lebte. Erst durch die späte Entwicklung von Straßen am Balkan wurde eine Verbreitung der Schädlinge ermöglicht. Als "blinde Passagiere" könnten die Kastanienminiermotten an Fahrzeugen vom natürlichen Standort zu kultivierten Standorten der Rosskastanie gelangt sein.

Invasion der Kastanienminiermotte

Die kleine aber hoch invasive Kastanienminiermotte (Cameraria ohridella) wurde zuerst 1984 an kultivierten Rosskastanien um den Ohridsee in Mazedonien entdeckt. 1986 wurde die Art wissenschaftlich beschrieben in einer für Europa neuen Gattung. Seit 1989 eroberte die Miniermotte einer Invasion gleich fast ganz Europa. Ihre Raupen entwickeln sich in den Blättern der weißblühenden Rosskastanie (Aesculus hippocastanum) und verursachen auffällige Blattschäden. Die Rosskastanie kommt ursprünglich aus dem Balkan (Albanien, Griechenland und Mazedonien). Seit dem 17. Jahrhundert werden die Bäume aufgrund ihrer attraktiven Belaubung und Blüten in Parkanlagen, Gärten und Straßen ganz Europas kultiviert.

Publikation:
Lees, D. C., Lack, H. W., Rougerie, R., Hernandez-Lopez, A., Raus, T., Avtzis, N., Augustin, S. and Lopez-Vaamonde, C. 2011. Tracking origins of invasive herbivores through herbaria and archival DNA: the case of the horse-chestnut leaf miner. Frontiers in Ecology and the Environment doi:10.1890/100098 (available via http://dx.doi.org)


Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr David C. Lees, Unité de Recherche Zoologie Forestière, Institut National de la Recherche Agronomique, Avenue de la Pomme de Pin, 45075 Orléans, France Tel. +33 (0)238 417 861, Email: David.Lees[at]orleans.inra.fr

Prof H. Walter Lack, Botanischer Garten und Botanisches Museum Berlin- Dahlem, Freie Universität Berlin, Königin-Luise-Str. 6-8, 14195 Berlin, Deutschland Tel. +49 (0)30 838 50 136, E-Mail: h.w.lack[at]bgbm.org

Zu dieser Mitteilung finden Sie Bilder unter der WWW-Adresse:
http://idw-online.de/de/image145217
Herbarbeleg der Rosskastanie mit den bisher bekannten ältesten Befall der Kastanienminiermotte, gesammelt von 1879 in Griechenland.
http://idw-online.de/de/image145218
Larve der Kastanienminiermotte in einem Herbarbeleg der Rosskastanie, gesammelt 1928 in Albanien.

Die gesamte Pressemitteilung inkl. Bilder erhalten Sie unter: http://idw-online.de/de/news429387

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter: http://idw-online.de/de/institution9


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Freie Universität Berlin, Gesche Hohlstein, 21.06.2011
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Juni 2011