Schattenblick → INFOPOOL → UMWELT → FAKTEN


TOURISMUS/067: Boom bei Städtereisen - Genuss für die einen, Ärgernis für die anderen (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 187 - August/September 2015
Die Berliner Umweltzeitung

Boom bei Städtereisen
Genuss für die einen, Ärgernis für die anderen

Von Volker Voss


Widersprüchlicher kann die Wahrnehmung des Massentourismus in Berlin kaum sein: Einerseits wird weiteres Wachstum im Tourismussektor allgemein als wünschenswert betrachtet, beschert er doch Hotel- und Gaststättengewebe, Einzelhandel und Kulturbereich hohe Umsatzraten und schafft Arbeitsplätze. Andererseits wird er aber auch als Ärgernis betrachtet.

Solange sich die Besucherströme auf die bekannten touristischen Anziehungspunkte konzentrieren, gibt es verhältnismäßig wenige Berührungspunkte zwischen Einheimischen und Besucher_innen. Auch die Shoppingtouristen verteilen sich hauptsächlich auf bestimmte Einkaufszonen und gut beworbene Konsumtempel in der Stadt. "Es ist schwer, Touristenströme zu leiten. Wir leben in einer Welt, die immer komplexer wird. Hinzu kommt die Globalisierung", sagt Prof. Albert Postma, European Tourism Futures Institute, Stenden University (Niederlande). Er plädiert trotzdem für maßgeschneiderte Lösungen: Beispielsweise geführte Touren über bestimmte Routen, um Berührungspunkte zwischen Einheimischen und Besucher_innen zu vermeiden. Wichtig sei es, Trends und zukünftige Entwicklungen für weitere Planungen zu beobachten. Ob Individualreisende und Partytourist_innen für geführte Touren zu begeistern sind, bleibt wohl eher fraglich.

Gerade in bestimmten touristischen Schwerpunktzonen fühlen sich die Bewohner_innen laut Umfragen oft durch Schmutz und Lärm, von manchen rücksichtslosen Tourist_innen verursacht, genervt. Denn wenn es um Partybesucher_innen in bestimmten Stadtteilen geht, gibt es durchaus Konflikte. "Verärgert sind viele Berliner_innen auch über die Arroganz von Touristen, die sich oft rücksichtlos verhalten, sich viel leisten können, was den Einheimischen zu teuer ist", so Prof. Postma. Das seien aber eher emotionale Reaktionen und Neid. Es gebe jedoch eine gewisse Toleranzstufe den Tourist_innen gegenüber. Nichtsdestotrotz sind die meisten Berliner_innen stolz, dass ihre Stadt so attraktiv ist, ergaben Umfragen.

Städtereisen sind mittlerweile weltweit eine Massenerscheinung und sind, wie der Tourismus allgemein, ein Wachstumsmotor. Auch die Zahl der Berlin-Besucher_innen ist im Aufwind. Laut Landesamt für Statistik zählte Berlin 2014 über 28 Millionen Übernachtungen. Das ist eine Steigerung um 6,5 Prozent im Vergleich zu 2013. Damit wächst der Berlin-Tourismus im Vergleich zum bundesweiten Trend doppelt so stark. Laut ITB World Travel Trends Report 2014/15 hat die Zahl der Städtereisen in den vergangenen fünf Jahren um 58 Prozent zugenommen. Städtereisen haben mittlerweile einen globalen Marktanteil von 20 Prozent. Gründe für den Boom sind der Studie zufolge die Expansion der Billigflieger und die zunehmend günstigen Unterkünfte. Vor allem der Urlaub in Privatunterkünften habe 2014 an Bedeutung gewonnen. Bedauerlicherweise sei Urlaub auf dem Land dagegen weniger beliebt als früher.

Streitpunkt Privatwohnungen

"Dort wo viele Wohnungen als Ferienzimmer vermietet werden, es fast nur noch Bars, Cafés, Restaurants und auf Touristen ausgerichtete Krimskramsläden gibt, aber dafür kaum noch Lebensmittelgeschäfte, weil die gestiegenen Mieten unbezahlbar geworden sind", ist der Unmut groß, wird in einer n-tv-Reportage berichtet. Das führe auf dem ohnehin schon angespannten Berliner Wohnungsmarkt zu weiterer Wohnraumverknappung. Dort wird auch mal überreagiert: "No more Rollkoffer" ist, an Wände gepinselt, zu lesen oder: "Berlin liebt dich nicht" als Aufkleber. Der lärmende Partytourismus beschränke sich jedoch nur auf einige Brennpunkte in der Stadt. Man solle die Tourist_innen nicht pauschal verunglimpfen. "Diese benähmen sich so gut und schlecht wie die Berliner_innen selbst", sagt Geschäftsführer Burkhard Kieker von Visit Berlin und verweist darauf, dass sich 85 Prozent der Berliner_innen nicht durch Touristen gestört fühlen.

In einigen europäischen Großstädten hat sich Lage aber teilweise sehr zugespitzt. Mittlerweile werden Tourist_innen dort sogar als Störfaktor wahrgenommen. "In Amsterdam meiden die Einwohner_innen nach Möglichkeit die Tourist_innen. Je mehr jedoch kommen, desto verärgerter sind die Bewohner_innen", so Prof. Postma. Sein Vorschlag: die Bevölkerung möglichst von den Touristenströmen fernhalten.

Umweltprobleme

In Venedig kam es bereits zu massiven Bürgerprotesten gegen die unerträglich gewordenen Auswüchse des Massentourismus. Unter anderem blockierten Umweltschützer_innen unter dem Applaus vieler Bürger_innen die Kanäle der Wasserstadt, um riesigen Kreuzfahrtschiffen die Durchfahrt zu verwehren. Jedes dieser großen Schiffe verursacht so viel Umweltverschmutzung wie 14.000 Autos, sagte Silvio Testa von der Bürgerinitiative No Grandi Navi (keine großen Schiffe) in einer Reportage für das Hamburger Abendblatt. Diese Schiffe seien eine unkontrollierte Giftfabrik im Herzen der Stadt. Manche dieser Kreuzfahrtschiffe sind mehrere hundert Meter lang und schlagen gewaltige Wellen, die an den Fundamenten der auf Pfählen errichteten und ohnehin schon durch den steigenden Meeresspiegel extrem in der Substanz gefährdeten historischen Lagunenstadt nagen. Die Venezianer seien die schwimmenden Hochhäuser schon lange leid. Zunächst wurde die Durchfahrt der Luxusliner verboten, dann aber per Gerichtsbeschluss wieder aufgehoben.

In Barcelona kam es bereits zu Demonstrationen gegen den Massentourismus. Den Einwohnern sind die Auswüchse des "Sauftourismus", insbesondere im ehemaligen Fischer- und Arbeiterviertel, ein Dorn im Auge. So ist ein Moratorium für den Bau neuer Hotels und die Zulassung von neuen Ferienwohnungen geplant. Die Lage sei außer Kontrolle geraten. Obwohl der Tourismus immerhin 12 Prozent der Wirtschaftskraft der Stadt ausmacht, sehen die meisten Einwohner_innen den ausufernden Massentourismus kritisch. Sie wollen bei der weiteren Planung berücksichtigt werden, vermeldete die Nachrichtenagentur dpa.

"Hierbei handelt es sich um eine Überbeanspruchung von Städtezielen", sagt Bernhard Jørgensen, Geschäftsführer des städtischen Tourismusbüros Wonderful Copenhagen. Er erinnert aber daran, dass allein in Kopenhagen viele Tausend Menschen im Tourismussektor arbeiten. Er geht davon aus, dass der Tourismus in den nächsten zehn Jahren weiter zunehmen wird. Flugzeuge würden immer größer und könnten immer mehr Menschen befördern. Sein Vorschlag: Den Dialog zwischen Tourist_innen und Einwohner_innen fördern. "So könnten Einwohner_innen Besucher_innen zu sich nach Hause einladen, um so die Mauer zwischen Einheimischen und Tourist_innen einzureißen."

Auf einer grünen Tourismuskonferenz 2012 wurden Grundsätze eines ökologischen und klimafreundlichen Städtetourismus in Berlin vorgestellt. Vorgeschlagen wird auf Bundesebene eine Besteuerung des nicht gerade umweltfreundlichen Luftverkehrs. Anreiseoptionen sollten sich verstärkt auf Bahn und Bus verlagern. Höhere Einnahmen aufgrund steigender Besucherzahlen für Berlin sollten für weitere Energiesparmaßnahmen im Hotelsektor genutzt werden. Ebenso wären der Ausbau des ÖPNV sowie sinnvolle Fahrradkonzepte für Tourist_innen wünschenswert.

*

Quelle:
DER RABE RALF
26. Jahrgang, Nr. 187, Seite 21
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 8, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
Redaktion DER RABE RALF:
Tel.: 030/44 33 91-47/-0, Fax: 030/44 33 91-33
E-mail: raberalf@grueneliga.de
Internet: www.raberalf.grueneliga-berlin.de
 
Erscheinen: zu Beginn gerader Monate
Abonnement: jährlich, 20 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. September 2015

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang