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VIELFALT/233: Negativtrend ungebrochen - Rückgang der biologischen Vielfalt setzt sich fort (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 189 - Dezember 2015/Januar 2016
Die Berliner Umweltzeitung

Der Negativtrend ist ungebrochen
Der Rückgang der biologischen Vielfalt setzt sich fort

von Volker Voss


Die biologische Vielfalt geht in Deutschland weiter zurück. Die hochgesteckten Ziele wurden nicht erreicht. "Leider waren wir nicht erfolgreich, eine Trendwende herbeizuführen. Damit verliert die Menschheit Tag für Tag ein Stück Tragfähigkeit", gibt Bundesumweltministerin Dr. Barbara Hendricks zu bedenken. Es gibt also erheblichen Handlungsbedarf. Im Oktober stellte sie die Naturschutz-Offensive 2020 mit zehn Handlungspunkten der Öffentlichkeit vor.

Beispiel Agrarwirtschaft: "Über die Hälfte der Stickstoffeinträge kommen aus der Landwirtschaft. Nur noch zehn Prozent der Flussauen sind intakt", rechnet sie vor. So enthält das Programm auch Renaturierungs-Maßnahmen. "Wir brauchen auch mehr Hochwasserflächen", so die Umweltministerin. Sie kritisierte zugleich die Agrarsubventionen, die in der jetzigen Form abgeschafft werden müssten. Denn diese seien wenig anspruchsvoll, was die Anforderungen an den Umweltschutz betrifft. Immerhin betrage die Subventionsquote für die Landwirtschaft 40 Prozent des EU-Haushalts.

Agrarsubventionen umschichten

Widerspruch aus der Landwirtschaft ließ nicht lange auf sich warten. "Das ist harter Tobak, den die Bundesumweltministerin da vorträgt", schimpft Eberhard Hartelt, Umweltbeauftragter des Deutschen Bauernverbandes, während der öffentlichen Vorstellung der Naturschutz-Offensive. Denn 60 Prozent der Einkommen der Landwirte kämen aus Subventionen, würden sie gestrichen, müssten viele aufgeben. "Ich will die Subventionen nicht abschaffen, sondern umschichten", erwidert Hendricks. Problematisch sei, dass zwar die Anzahl der Höfe rückläufig sei, nicht aber die tatsächlich bewirtschaftete Fläche. Ein Großteil der Fläche werde lediglich verpachtet und dafür kassiere dann nicht der aktive Landwirt, kritisiert sie die fragwürdige Verteilung der Subventionen. Anmerkung: Immer mehr Großbetriebe verdrängen kleine Bauernhöfe.

Passend zum Thema ergänzt Thüringens Umweltministerin Anja Siegesmund: "54 Prozent der Fläche des Bundeslandes Thüringen werden landwirtschaftlich bearbeitet, bei dem ein hoher Anteil an Phosphor und Stickstoff anfällt." Der Naturschutz dürfe sich nicht unterordnen. Auch komme der Hochwasserschutz zu kurz. Doch ginge Umweltschutz nur im Dialog mit der Landwirtschaft.

Mehr Gewässerschutz

"Nicht die Landwirte sind schuld, sondern die Politik", unterstreicht Prof. Dr. Kai Niebert vom Deutschen Naturschutzring. Naturschutz sei auch Menschenschutz. Zur Umsetzung von Umweltschutzkriterien sei auch ein Gewässerschutz nötig. Seine Vorschläge: Es sei unumgänglich, einen 20 Meter breiten Streifen zwischen landwirtschaftlich genutzter Fläche und Gewässern zu errichten. Grundsätzlich müssten viele weitere Schutzgebiete geschaffen werden. Grünfläche darf nicht mehr als Ackerfläche bei der Zuwendung von Subventionen berechnet werden. Zum Erhalt biologischer Vielfalt bräuchten wir eine nachhaltige Landwirtschaft.

Wachstumsgesellschaft in der Kritik

"Wir befinden uns in einem gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Prozess, der kein anderes Resultat als Zerstörung der biologischen Vielfalt hervorbringen kann. Unsere Wirtschaftsweise ist das Problem", übt Prof. Harald Welzer, Direktor der FUTUREZWEI. Stiftung Zukunftsfähigkeit, grundsätzliche Kritik und hinterfragt Maßnahmen, die unter diesen wirtschaftlichen Bedingungen gar nicht umsetzbar seien. Er bezweifelt, dass man an dieser Wachstumsgesellschaft etwas ändern könne: Da wären beispielsweise die unglaublichen Warenströme und Reisetätigkeiten, die ebenfalls für fortschreitende Naturzerstörung sorgten. Durch den Versandhandel würden immer mehr Waren immer schneller an immer mehr Menschen geliefert. Ein großer internationaler Versandbetrieb biete schon die Ein-Stunden-Lieferung. "Das bedeutet immer mehr Logistikzentren, immer mehr Lastwagen und somit noch mehr Umweltzerstörung", befürchtet Prof. Welzer.

Das sei eine dynamische Entwicklung zu mehr Einfalt und weniger Vielfalt. Das zerstöre nicht nur die Umwelt, sondern hat auch das Verschwinden kultureller Unterschiede zur Folge. Er begrüßt jedoch solche öffentlichen Foren und ebenso die Naturschutz-Offensive der Umweltministerin, bieten sie doch die Möglichkeit, die gesamte Problematik anzusprechen und für gemeinsame Lösungen zu streiten und aufzurütteln.

Natur erleben

"Leider ist es schwer erlebbar, wie biologische Vielfalt verschwindet. Deshalb müssten schon die Kinder - aber eigentlich wir alle - mehr in die Natur", schlägt, Shary Reeves, UN-Dekade-Botschafterin, vor. Das erzeuge mehr Neugier. Es sei begrüßenswert, dass diese Themen bereits im Unterricht behandelt werden. Sie schlägt aber vor, das Fach Biologie völlig neu zu gestalten. Gerade auch was die Flüchtlingsfrage betrifft, sollte nicht übersehen werden, dass viele Menschen auch deswegen ihre Heimat verlassen, weil dort die biologische Vielfalt verschwindet, so Zarah Thiel, UN-Dekade-Jugendbotschafterin.

Ebenso sollten die Zusammenhänge von Konsum und biologischer Vielfalt stärker thematisiert werden, regt Rita Schwarzmüller-Sutter, Staatssekretärin im Bundesumweltministerium, an. Es sei kaum bekannt, wie viele Auen schon verschwunden sind oder wie hoch beispielsweise der Energieverbrauch bei der Herstellung und Verarbeitung von Lebensmitteln ist: Allein der Energieverbrauch im Tomatenanbau sei enorm. Anmerkung: Etwa 20 Liter Wasser werden zur Bewässerung, bei der Herstellung, der Düngung oder zum Waschen nach der Ernte der Tomaten benötigt. (Quelle: Der Umweltchecker).

Zu wenige Fachleute

An den Hochschulen würden keine Fachleute mehr ausgebildet, die überhaupt noch die verschiedenen Arten kennen, kritisiert NABU-Präsident Olaf Tschimpke. Es gebe kaum noch pfl anzenschutzmittelfreie Gebiete. 60 Prozent der Masse der Fluginsekten seien ausgestorben. Selbst bei der Umsetzung der EU-Wasserrahmenrichtlinie gebe es Probleme. Er schlägt eine Kreislaufwirtschaft vor, die weniger Ressourcen verbraucht. Steuergelder sollten endlich sinnvoll verwendet werden. Grundsätzlich solle das Geld den Bauern nicht entzogen werden, sondern in echten Umweltschutz fließen. "Wir haben genug Geld, wir müssen es nur richtig einsetzen", ermutigt Tschimpke. Die in zehn Punkte untergliederte Naturschutz-Offensive 2020 enthält unter anderem die Handlungsfelder: Küsten und Meere (Mehr als eine Wirtschaftszone), Wälder (Forstwirtschaft im Einklang mit der Natur), Grün in der Stadt erleben (Zuhause mit der Natur Bekanntschaft machen), Internationale Verantwortung (Natur kennt keine Grenzen), Kennen und Verstehen (Den Schatz des Naturwissens bewahren und vermehren).

Fazit

Oft wird unterstellt, dass Umweltschutz Arbeitsplätze vernichtet. Dieses Argument hält keiner Überprüfung stand. Allein im Agrarsektor wurden aufgrund der massenhaften Vernichtung von kleinen Höfen und der Übernahme durch industrielle, hochtechnologische Großbetriebe viele Landwirte in den Ruin getrieben. Wünschenswert sind daher eher viele kleine familiäre Agrarhöfe, die möglichst auf ökologischer Grundlage arbeiten und viele neue Arbeitsplätze schaffen. In diese Richtung sollten Subventionen gehen.

Weitere Informationen:
www.bmub.bund.de/naturschutz-offensive

Broschüre: www.bmub.bund.de

Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:
- Bundesumweltministerin Barbara Hendricks beim 7. Nationalen Forum zur biologischen Vielfalt am 14.10. - Foto: BMUB/Inga Wagner

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Quelle:
DER RABE RALF
26. Jahrgang, Nr. 189, Seite 15
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 8, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
Redaktion DER RABE RALF:
Tel.: 030/44 33 91-47/-0, Fax: 030/44 33 91-33
E-mail: raberalf@grueneliga.de
Internet: www.raberalf.grueneliga-berlin.de
 
Erscheinen: zu Beginn gerader Monate
Abonnement: jährlich, 20 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Januar 2016

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