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VIELFALT/237: Per Anhalter nach Nordost - Die südliche Eichenschrecke fährt gerne Auto (Naturschutz heute)


NATURSCHUTZ heute - Heft 2/17
Mitgliedermagazin des Naturschutzbundes (NABU) e.V.

Per Anhalter nach Nordost
Die Südliche Eichenschrecke fährt gerne Auto

von Sebastian Hennigs


Grille, Grashüpfer und Heupferd - es gibt kaum eine andere Tiergruppe, die mit ihrem Gesang für uns so zum Sommer dazugehört wie die Heuschrecken. Doch es gibt auch viele Heuschreckenarten, die sich völlig unscheinbar verhalten und die wir dadurch kaum kennen.

So mancher hat sich vielleicht schon mal gefragt: Was ist das für eine hellgrüne und zierliche Heuschrecke, die sich über Nacht in das Haus oder die Wohnung verirrt hat? Die Rede ist von den eigentlich recht unscheinbaren Eichenschrecken, von denen es bei uns zwei sich sehr ähnlich aussehende Arten gibt und die als Lauterzeugung nur leise mit den Hinterbeinen auf Blättern trommeln können.

Von Freiburg nach Berlin

Während die Gemeine Eichenschrecke weit verbreitet und häufig ist und anhand ihrer langen Flügel leicht zu bestimmen ist, taucht in deutschen Städten und Ballungsräumen als Neubürger immer öfter auch die Südliche Eichenschrecke auf. Sie besitzt nur sehr kleine, verkümmerte Flügel und ist deshalb nicht in der Lage, zu fliegen. Sie hat sich in den letzten 60 Jahren aus dem Süden kommend immer weiter nach Norden ausgebreitet und wird jedes Jahr an vielen neuen Orten entdeckt.

Die ersten Funde der Südlichen Eichenschrecke in Deutschland stammen aus dem Jahr 1958 vom südlichen Oberrhein bei Freiburg. Von dort aus hat sie sich recht schnell am Rhein entlang in die warmen Gegenden Süddeutschlands ausgebreitet. In Nordrhein-Westfalen wurde die Südliche Eichenschrecke das erste Mal 1991 nachgewiesen, in Bayern 1996 und in Niedersachsen 2007. Die nordöstlichsten Funde sind aktuell aus dem Umland Berlins und aus Hamburg bekannt.

Hüpfer im Windkanal

Doch wie hat es die kleine Schrecke geschafft, in kürzester Zeit eine so große Fläche zu besiedeln? Legt man eine Verbreitungskarte der Südlichen Eichenschrecke über eine Karte des Autobahnnetzes fällt auf: Die unscheinbare Art nutzt den Autoverkehr, um sich auszubreiten. Besonders frisch geparkte, noch warme Fahrzeuge wirken anziehend auf die Schrecke, die man hin und wieder auf den Motorhauben finden kann. Sie hält sich selbst bei hohen Geschwindigkeiten am Fahrzeug fest und lässt sich teils viele hundert Kilometer in neue Lebensräume transportieren.

Die Eichenschrecke kann sich noch bei 150 Stundenkilometern an der Auto-Oberfläche festhalten.

So schaffte es die Art, sich von Stadt zu Stadt auszubreiten und ist entlang der Autobahnen regelmäßig an Raststätten in der Nähe der Toilettenhäuschen zu finden. Untersuchungen im Windkanal der Technischen Universität Berlin zeigten, dass die Südliche Eichenschrecke sich auch bei 150 Stundenkilometern noch an Fahrzeugoberflächen festhalten können.

Schrecken fressen Miniermotten

Natürlich bleibt eine derartige Ausbreitung nicht ohne Folgen. Dort wo die Südliche Eichenschrecke auftaucht, kann man die Gemeine Eichenschrecke immer seltener beobachten. Warum das so ist, ist bislang nicht genau bekannt und Ziel weiterer Erforschungen. Andererseits konnte die Südliche Eichenschrecke inzwischen als äußerst effektiver Fressfeind der invasiv auftretenden Kastanien-Miniermotte nachgewiesen werden. Die Schrecken sind in der Lage, die Blattminen zu öffnen, in denen die Mottenlarven leben, und die Larven zu fressen. Zwar schaffen sie es wohl nicht mehr, die auffällige Ausbreitung des kleinen Falters zu stoppen, aber die Erkenntnisse zeigen, dass es rund um unsere Neubürger der Flora und Fauna noch viel zu entdecken und zu erforschen gibt.


Beobachtungstipp

Wer einmal selbst auf die Suche nach den beiden bei uns heimischen Eichenschrecken gehen möchte, sollte sich erst im Spätsommer auf den Weg machen. Anders als der Name vermuten lässt, leben diese nicht nur an Eichen, sondern an vielen verschiedenen Baumarten. Bei ausreichend hoher Feuchtigkeit, wie nach oder während einem Regen, klettern die Tiere bei Dunkelheit die Baumstämme herab, um ihre Eier in die aufgeweichte Baumrinde abzulegen. Mit einer Taschenlampe lassen sich dann die Weibchen leicht bei der Eiablage und die Männchen auf der Suche nach den Weibchen beobachten.

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Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Die Miniermottenlarven sorgen für vorzeitiges Verwelken der Rosskastanien. Eichenschrecken haben sie zum fressen gern.

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Quelle:
Naturschutz heute - Heft 2/17, Seite 12 - 13
Verlag: Naturschutz heute, 10108 Berlin
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"Naturschutz heute" ist das Mitgliedermagazin
des Naturschutzbundes Deutschland (NABU) e.V.
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ist der Bezug im Jahresbeitrag enthalten.


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Mai 2017

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