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VERKEHR/867: "Simplify your life" - Ramsauers neue Binnenschifffahrtspolitik (UFZ-Newsletter)


Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
UFZ-Newsletter Oktober 2011

Standpunkt: "Simplify your life" - Ramsauers neue Binnenschifffahrtspolitik


Jahrzehntelang hörten wir von den Lobbyisten der Binnenschifffahrt, dass der Ausbau der Schifffahrtsstraßen ein wichtiger Motor für die Gewinnung von Investoren und die Entwicklung der Wirtschaft in den neuen Bundesländern sei. So könnten vorhandene Arbeitsplätze gesichert, neue geschaffen und die Lebensqualität und Zukunftsperspektiven der Region gesteigert werden. Fakt ist aber, dass seit 1991 3,7 Milliarden Euro in die Bundeswasserstraßen in Ostdeutschland investiert wurden, ohne dass sich die erhofften und prognostizierten Zuwachsraten im Güterverkehr auf den Flüssen realisiert haben. Zudem steht der Flussausbau oft dem Ziel der Wasserrahmenrichtlinie im Wege, eine gute ökologische Qualität der Flüsse zu erreichen.

Im April nun hat Bundesverkehrsminister Ramsauer die Notbremse gezogen. Wurden bislang in seinem Ministerium die Investitionsentscheidungen zu Wasserstraßen auf der Basis elaborierter Prognosen und Nutzen-Kosten-Abwägungen getroffen, so soll das künftig auf Grundlage eines weitaus simpleren Priorisierungsverfahrens geschehen: Investitionen für den Ausbau von Wasserstraßen fließen nur noch in ein sogenanntes Vorrangnetz - Flüsse und Kanäle mit einem Verkehrsaufkommen von mehr als zehn Millionen Tonnen - und in ein Hauptnetz - mit einem Aufkommen von fünf bis zehn Millionen Tonnen. Verkehrsarme Wasserstraßen, wie die Elbe südlich von Magdeburg und die Saale, sollen überhaupt nicht mehr ausgebaut, sondern höchstens noch "unterhalten" werden.

Die Verkehrsministerien der betroffenen Länder Sachsen-Anhalt und Brandenburg laufen gegen diesen Vorschlag Sturm und behaupten, Ostdeutschland werde damit faktisch vom Wasserstraßennetz abgeschnitten. Sie stützen sich dabei auf den aktuellen Bundesverkehrswegeplan aus dem Jahr 2003, der beispielsweise davon ausgeht, dass der zukünftige Nutzen durch den Ausbau der Saale die damit verbundenen Kosten um das 2,3-fache übersteigen wird. Bislang spiegelt sich jedoch diese Erwartung nicht in der Realität wider. Es fahren viel zu wenig Güterschiffe, und die getätigten Investitionen in die ostdeutschen Wasserstraßen zahlen sich nicht aus.

Mit seinem Vorschlag stellt das Bundesverkehrsministerium nun in Aussicht, zukünftige Investitionsentscheidungen nicht mehr allein auf der Grundlage von Prognosen für Nutzen und Kosten zu treffen, sondern auf der Basis der derzeitigen und erwarteten Transportmengen. Obwohl dies zunächst wie ein methodischer Rückschritt klingt, steckt dahinter eine tiefere Weisheit. Oft waren nämlich in der Vergangenheit Verkehrsprognosen und Bewertungen unrealistisch. Das bestätigte auch eine UFZ-Studie, die sich mit der Bewertungsmethodik der Bundesverkehrswegeplanung am Beispiel des Ausbaus der Saale befasst. Warum ist das so?

Verkehrsprognosen werden mit komplexen Modellen erzeugt, Nutzen und Kosten mithilfe ausgefeilter Bewertungsverfahren ermittelt. Was aus den Modellen und Bewertungsverfahren herauskommt, hängt entscheidend davon ab, was man hineinsteckt. Und das sind nicht nur empirische Daten, sondern auch strukturelle Annahmen über zukünftige Entwicklungen. Da diese nicht offengelegt werden, sind auch die Ergebnisse der Bewertungen und Prognosen weder nachvollziehbar noch überprüfbar und damit anfällig für interessengeleitete Einflussnahme. So haben beispielsweise die Mitglieder der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes, die Lobbyisten der Binnenschifffahrt und die Bauindustrie großes Interesse an "optimistischen" Transportmengenvorhersagen und Bewertungen. Ihren Einfluss kann niemand kontrollieren.

Diese Intransparenz hat das Bundesverkehrsministerium nun beendet, der Einflussnahme einzelner Interessengruppen einen Riegel vorgeschoben. Die lobbyismusanfälligen Prognosen und Bewertungen werden einem Realitätscheck unterzogen und dem tatsächlichen Verkehr gegenübergestellt. Das ist zu loben, denn vermutlich können so Fehlinvestitionen in einer Größenordnung von mehreren Hundert Millionen Euro verhindert werden. Für hunderte Kilometer unbenutzter Wasserstraßen wird außerdem der Weg zur Renaturierung frei, was es leichter macht, den Verpflichtungen der europäischen Wasserrahmenrichtlinie nachzukommen. Es bleibt zu hoffen, dass Ramsauer dieser Linie treu bleibt und nicht dem spürbaren Druck einiger Landesfürsten nachgibt.


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:
Dr. Bernd Klauer ist Wissenschaftler im Department Ökonomie und Sprecher der Arbeitsgruppe Sozialwissenschaftliche Wasserforschung am UFZ. Gemeinsam mit Dr. Daniel Petry veröffentlichte er 2005 im MetropolisVerlag, Marburg, das Buch "Umweltbewertung und politische Praxis in der Bundesverkehrswegeplanung - Eine Methodenkritik illustriert am Beispiel des geplanten Ausbaus der Saale" (siehe Link). Foto: André Künzelmann, UFZ

e-mail: bernd.klauer@ufz.de


Link zum Buch "Umweltbewertung und politische Praxis in der Bundesverkehrswegeplanung - eine Methodenkritik illustriert am Beispiel des geplanten Ausbaus der Saale": http://books.google.com (Stichwort: Umweltbewertung und politische Praxis)


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Quelle:
UFZ-Newsletter Oktober 2011, Seite 5
Herausgeber:
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Oktober 2011