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FRAGEN/002: Insektensterben - Wir müssen sofort handeln (BUNDmagazin)


BUNDmagazin - 2/2018
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland - BUND
Friends of the Earth Germany

Interview
Wir müssen sofort handeln

Interview mit Professor Johannes Steidle


Dank der Krefelder Studie wurde das Insektensterben in unseren Breiten erstmals einer größeren Öffentlichkeit bekannt. Wie ist die Studie einzuordnen? Und was muss aus ihr Folgen? Professor Johannes Steidle ist Tierökologe am Institut für Zoologie der Universität Hohenheim. Mit ihm sprachen Silvia Bender, Leiterin der BUND-Abteilung Biodiversität, und Redakteur Severin Zillich.

Herr Steidle, sind die Ergebnisse der Krefelder aussagekräftig und repräsentativ?

Ich denke: ja. Bekanntlich wurden sie überwiegend in NRW erhoben und sind erst einmal hierfür gültig. Doch wir verfügen auch über andere Daten. Die Roten Listen des Bundesamtes für Naturschutz und viele andere, auch europaweite Studien liefern uns Belege für eine massive Abnahme von Insektenarten.

Die Krefelder Studie ergab nun, dass außerdem auch die Zahl der Individuen abnimmt, ihre Biomasse. Für viele Leute, die sich damit länger beschäftigen, kam dieser Befund kaum überraschend. Man kann die Studie also sicher verallgemeinern. Warum sollte NRW auch andere Ergebnisse liefern als der Rest Deutschlands? Es wurden immerhin 63 Standorte untersucht.

Und der Schwund begann wohl nicht erst vor 25 Jahren. Sie haben in einem Vortrag Studien zitiert, die einen starken Rückgang der Insekten schon zwischen den 1950er und 80er Jahren dokumentieren.

Genau, ganz neu ist dieses Phänomen also nicht.

Forschen Sie an Ihrem Lehrstuhl direkt über das Insektensterben?

Eher nein, wir haben in den letzten Jahren hauptsächlich die Entstehung neuer Arten untersucht, nicht ihr Aussterben. Weil das Problem des Insektensterbens aber nun so akut geworden ist, haben wir begonnen, auch in diese Richtung zu forschen. So gelang es jüngst mit einer Bachelorarbeit, deutliche Abwärtstrends bei zwei Wildbienenarten nachzuweisen. Zudem untersuchen wir, wie seltene Insekten mit Pheromonfallen leichter erfasst werden können.

Für wie bedenklich halten Sie die ökologischen Folgen des Insektensterbens?

Insekten bilden einen erheblichen Bestandteil praktisch aller Ökosysteme. Wir Menschen hängen von diversen Leistungen dieser Systeme ab: Sie liefern uns frisches Wasser, frische Luft, die Bestäubung der Pflanzen und so weiter ... Fällt ein elementarer Teil dieser Systeme weg, funktioniert all das nicht mehr. Wenn also richtig ist, was in den Lehrbüchern steht - und ich selbst gebe das in meinen Vorlesungen wieder -, stehen wir ziemlich knapp vor einer Katastrophe.

Nicht wenige halten das Insektensterben für letztlich geringfügig, eine Petitesse ...

Und das ist ein riesiges Problem. Insekten haben keine große Lobby, sie werden zumeist eher negativ betrachtet: Die nerven im Sommer ja nur! Auch in Medien wie »Spiegel Online« wird das Problem gerne einmal lächerlich gemacht. Was natürlich völlig unangemessen ist.

Einfluss auf das Insektensterben hat sicher ein Bündel von Faktoren, vor allem aber - aus Sicht des BUND - die industrielle Landwirtschaft. Gibt es daran aus wissenschaftlicher Sicht irgendeinen Zweifel?

Nein. Dass die Landwirtschaft ein massives Problem darstellt, ist offensichtlich, das kann jeder Laie nachvollziehen. Läuft man hinaus in die Felder, sieht man: Da stehen meist nur noch Nutzpflanzen, und am Ackerrand vielleicht mal ein schmaler Grasstreifen. Wo sollen da noch Insekten leben? Für die ist das so wertlos wie ein geteerter Parkplatz.

Der Punkt ist: Viele Insektenarten sind spezialisiert auf ganz bestimmte Pflanzen. Werden diese verdrängt und vergiftet, finden wir auch die entsprechenden Insekten nicht mehr.

Was ergibt sich daraus für Politik und Forschung?

Wir benötigen einen massiven Wandel unserer Landwirtschaft. Dabei will ich die Schuld gar nicht allein den Landwirten zuschieben, von wegen: Die sollen mal nachhaltig produzieren ... Die verdienen oft nicht viel und können sich die nötigen Maßnahmen für den Naturschutz nicht leisten. Ich habe mit etlichen gesprochen - das sind im Grunde Getriebene eines falschen Systems. Die Agrarpolitik muss ihnen finanziell weit bessere Anreize bieten, nicht mehr so katastrophal zu wirtschaften.

Völlig vorbehaltslos müssen wir jetzt überlegen: Wie bekommen wir die biologische Vielfalt zurück in die Agrarlandschaft? Und das dann rasch umsetzen! Das Allermeiste, was die EU im Rahmen des »Greenings« der Landwirtschaft bisher fördert, erscheint vor dem Hintergrund des Insektensterbens schlicht wirkungslos. Ob es da um die Förderung von Leguminosen oder das Nutztier Honigbiene geht - wir müssen wirklich jede Maßnahme darauf abklopfen, ob sie wirklich etwas bringt für die Biodiversität.

Und die Forschung?

Eine Studie, wie sie die Krefelder angestellt haben, ist an einem klassischen Forschungsinstitut schwer vorstellbar. Die haben ja in den 90er Jahren im Prinzip ins Blaue hinein angefangen, Proben zu nehmen - während wir uns immer an konkreten Hypothesen orientieren. Für eine solche Studie hätte ich kaum Chancen auf Förderung. Andererseits hätte man natürlich früher darauf kommen können, ein öffentlich finanziertes InsektenMonitoring zu starten, wie es jetzt erst geplant ist und hoffentlich bald umgesetzt wird.

Nach weiteren Untersuchungen rufen nicht zuletzt jene, die weiter auf Zeit spielen und die Konsequenzen der Krefelder Studie scheuen.

Genau, die Frage ist ja: Wie wahrscheinlich ist es, dass wir uns irren, wenn wir aus dieser Studie auf ein Insektensterben schließen? Ich meine: sehr unwahrscheinlich. Wir müssen also sofort handeln, für weitere langfristige Studien fehlt schlicht die Zeit. Ich schätze, zehn bis fünfzehn Jahre bleiben uns noch, um hier gegenzusteuern.

Wie beurteilen Sie die anhaltende Diskussion über das Insektensterben?

Aufgeregt hat mich die Debatte um Glyphosat: Im Zentrum stand da die Frage, ob dieses Pestizid womöglich Krebs erregt. Dabei ist das doch völlig zweitrangig! Glyphosat zerstört wie wohl kein anderes Mittel die Vielfalt der Pflanzen, und damit die Grundlage unserer Insektenfauna - was viel, viel wesentlicher ist. Hier müssen wir dringend nach Alternativen suchen.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Gefährdete Schönheiten: Gebänderte Heidelibelle - Walker - Ameisenjungfer - Italienische Schönschrecke.

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Quelle:
BUNDmagazin 2/2018, Seite 16 - 17
Herausgeber:
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND)
Friends of the Earth Germany
Am Köllnischen Park 1, 10179 Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Juni 2018

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