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ÖKOSYSTEME/081: Wie "funktionieren" Korallenriffe? (highlights - Uni Bremen)


"highlights" - Heft 33 / Sommer 2016
Informationsmagazin der Universität Bremen

Marine Ökologie:
Wie "funktionieren" Korallenriffe?
Wissenschaftler der Universität Bremen sind auf dem besten Wege, das Darwinsche Riff-Paradoxon zu entschlüsseln

von Laura Rix


Korallenriffe werden wegen ihrer bemerkenswerten Vielfalt an unterschiedlichen Organismen oft als "Regenwälder des Ozeans" bezeichnet. Heute weiß man, dass die Artenvielfalt in Korallenriffen sogar noch größer als in den Regenwäldern ist. Der Ökologe und Biogeochemiker Professor Christian Wild von der Uni Bremen erforscht mit seiner Arbeitsgruppe, wie diese marinen Ökosysteme funktionieren.

Charles Darwin war überrascht. Als der britische Naturforscher von 1831 bis 1836 um die Welt reiste, entdeckte er auch die unglaubliche Zahl an Tieren und Pflanzen in den tropischen Korallenriffen. Und die wunderte ihn - denn die fehlende Trübung des Wassers signalisierte ihm, dass die Riff-Lebewesen dort in einer äußerst nährstoffarmen Umgebung gedeihen. Stickstoff beispielsweise - für das Wachstum von Organismen äußerst wichtig - kommt in Korallenriffen kaum vor. Darwin fand keine Erklärung dafür und formulierte deshalb 1842 das "Riff-Paradoxon".

An der Universität Bremen sind Professor Christian Wild und seine Arbeitsgruppe "Marine Ökologie" auf dem besten Weg, dieses Paradoxon zu entschlüsseln. Sie haben eine neue plausible Erklärung für das Phänomen gefunden: Mikroalgen und Bakterien, die im Gewebe von Korallen angesiedelt sind und somit ein eigenes Mikro-Ökosystem bilden, fixieren gleichzeitig Stickstoff und Kohlenstoff und stellen diese "Nahrung" für die Korallen und das gesamte Riff bereit. Mit Doktorand Ulisse Cardini als Erstautor wurden diese neuen Erkenntnisse kürzlich in einer renommierten Fachzeitschrift vorgestellt. "Das ist nur einer von mehreren Ansätzen, die wir verfolgen. Aber wir denken, dass wir damit einen wichtigen Baustein zur Erklärung des Paradoxons geliefert haben", sagt Christian Wild.

Korallenriffe ganzheitlich verstehen

Das aufsehenerregende Resultat ist nur ein Ausschnitt aus den Forschungen des Bremer Teams. Es will verstehen, wie das marine Ökosystem der Korallenriffe generell arbeitet. Welche Organismen tragen über ihren Stoffwechsel dazu bei, dass Korallenriffe mit ihren Millionen Tieren und Pflanzen funktionieren? Wie bewegen sich Kohlenstoff und Stickstoff in diesem Ökosystem von einem Organismus zum anderen, vom Meeresboden hinauf zur Wasseroberfläche und zurück? Welche Stoffe werden exportiert, welche aufgenommen? Und: Wie verändern sich diese Funktionen durch Klimaveränderung, Schadstoffeintrag und Düngung? "Wir vereinen in unserer Arbeit verschiedene Disziplinen: Ökologie, Physiologie, Biogeochemie, Mikrobiologie und Genetik", erläutert Wild. "Es geht uns darum, die Funktionsweise von Korallenriffen möglichst ganzheitlich zu verstehen." Der "Output" der Arbeitsgruppe ist immens: Alleine 2015 veröffentlichte sie 30 Publikationen, und zehn Nachwuchswissenschaftler promovierten. Christian Wild: "Das bedeutet zahlreiche Projekte, in denen wichtige Fragen im Detail untersucht wurden."

Wie etwa die rund um das Riff-Paradoxon. Dazu schlug das Team sein Lager im jordanischen Aqaba auf und unternahm im nördlichen Roten Meer mehrere lange Expeditionen zu einem Korallenriff. "Wichtig war, dass wir unsere Untersuchungen zu allen Jahreszeiten vorgenommen haben. Bei dem dortigen Riff kommt es zu starken saisonalen Schwankungen der Nährstoffkonzentration. Insbesondere im nährstoffarmen Sommer haben wir zahlreiche Messungen vorgenommen, um herauszubekommen, wie viel Kohlenstoff und Stickstoff in den Korallen durch die Algen und Bakterien gebunden wird." Der Zusammenhang von Kohlenstoff- und Stickstofffixierung und ihre Bedeutung für die Produktivität des Korallenriffes war bis dahin noch nicht durchleuchtet worden. "Dass bestimmte Mikroorganismen in sehr vielen unterschiedlichen Korallenrifforganismen mit hohem Energieaufwand in der Lage sind, Stickstoff zu fixieren und in organisches Material zu verwandeln, haben erstmals wir nachgewiesen. Dafür haben wir alle dominanten Rifforganismen und -oberflächen untersucht und gezeigt, dass sie zu allen Jahreszeiten diese Fixierung aufweisen."

Korallenriffe binden den meisten Stickstoff

Hochgerechnet auf alle Korallenriffe könne man sogar sagen, dass Korallenriffe zu den Ökosystemen im Meer gehören, die am meisten Stickstoff binden - "und das wusste man bisher nicht", so der Hochschullehrer. Ebenso neu sei die Erkenntnis, dass im besonders nährstoffarmen Sommer die Stickstofffixierung noch einmal "hochgefahren" werde: "Je weniger Nährstoffe da sind, desto intensiver 'arbeiten' die Mikroorganismen im Riff, um das Wachstum und sogar das Überleben sicherzustellen!"

Viel Zeit und Mühe verwendeten die Wissenschaftler dabei auch darauf, erprobte Untersuchungsmethoden zu optimieren und ganz neue Verfahren zu entwickeln. Unter anderem setzte die Gruppe einen tragbaren Gaschromatographen ein. Damit bekam sie direkt vor Ort erste Informationen, die das weitere Vorgehen beeinflussten. "Grundsätzlich wollen wir die Dinge dort verstehen, wo sie passieren. Also nicht im Labor, im Aquarium oder in großen Wassertanks", sagt Wild. Das nördliche Rote Meer sei so etwas wie "ein natürliches Labor". Die in Kooperation mit dem Bremer Leibniz-Zentrum für Marine Tropenökologie (ZMT) und der jordanischen Marine Science Station (MSS) durchgeführten Untersuchungen wurden von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanziert. Einen anderen Ansatz - "es gibt mehr als nur eine mögliche Erklärung für das Riff-Paradoxon" - fand Wild schon vor einigen Jahren heraus: "Korallen geben große Mengen klebrigen Schleims ab, der ausgedehnte Teppiche und Aggregate bildet. Die funktionieren wie Fliegenfallen: Sie fangen Phytoplankton, Zooplankton, Partikel toter Tiere und Pflanzen sowie Sand ein. Diese Schleim-Aggregate sinken sehr schnell auf den Meeresboden und bleiben dadurch dem Riff erhalten. Mikroorganismen setzen den Schleim mit eingefangenen Teilchen dann in wichtige Nährstoffe um, die neues Wachstum ermöglichen."

Korallen und Schwämme "kommunizieren"

Diese Erkenntnis war Basis für einen weiteren Forschungserfolg, mit dem Wilds Arbeitsgruppe Anfang 2016 für Aufsehen sorgte. Gemeinsam mit Forschern des ZMT und aus den Niederlanden fand man in einem anderen Projekt heraus, dass Korallen und Schwämme über ihren Stoffwechsel "miteinander kommunizieren". Denn viel Korallenschleim wird auch im Wasser gelöst und existiert im Wesentlichen unsichtbar als ganz kleine Zucker-Moleküle weiter. Diese Energie- und Nährstoff-Träger können von den meisten Organismen nicht genutzt werden. "Eine Ausnahme sind Schwämme", sagt Christian Wild. "Sie können das gelöste Material aufnehmen und mit einem außergewöhnlichen Zellstoffwechsel in sichtbare Partikel umwandeln. Und die sind groß genug, um von anderen Organismen wieder aufgenommen zu werden." Diese erstmals beschriebene Verknüpfung zwischen Korallen und Schwämmen wurde nicht nur in Warmwasser-Korallenriffen wie im Roten Meer, sondern auch in Kaltwasser-Riffen im 3.000 km entfernten südschwedischen Skagerrak nachgewiesen.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
  • Ein Meeresbiologe sammelt Korallenschleim für spätere Untersuchungen.
  • Aus der Natur ins Glas: Für die teils aufwändigen Analysen werden Steinkorallen gezüchtet und im Labor bis ins Detail erforscht.
  • Die Dinge dort verstehen, wo sie passieren: Bei ihren Forschungen arbeiten Christian Wild und seine Arbeitsgruppe unter anderem im nördlichen Roten Meer.



Kontakt
Prof. Dr. Christian Wild
Fachbereich Biologie/Chemie
Marine Ecology/Coral Reef Ecology
Telefon +49 421 218-63367
E-Mail: christian.wild[at]uni-bremen.de
www.uni-bremen.de/de/fb2/forschung/marine-ecology

Mehr zu diesem Thema ....
.... finden Sie in Pressemitteilungen zu den Forschungen der Arbeitsgruppe von Professor Christian Wild, die die Universität Bremen herausgegeben hat:

"Bremer Meeresbiologen sind dem Riff-Paradoxon auf der Spur":
http://bit.ly/1U7BRjG

"Korallen und Schwämme kommunizieren über ihren Stoffwechsel miteinander":
http://bit.ly/1TtXEYP

"Bakterien im Meer unterstützen die Gesundheit von Korallenriffen":
http://bit.ly/1TwC1ln

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Quelle:
highlights - Informationsmagazin der Universität Bremen
Heft 33 / Sommer 2016, Seite 10-25
Herausgeber: Rektor der Universität Bremen
Redaktion: Universitäts-Pressestelle
Postfach 330440, 28334 Bremen
Telefon: 0421/218-601 50
E-Mail: presse@uni-bremen.de
Internet: www.uni-bremen.de//de/universitaet/presseservice/publikationen/highlights.html

"highlights" erscheint zweimal jährlich (Sommer/Winter)
und ist erhältlich bei der Universitäts-Pressestelle.


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Juli 2016

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