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VERKEHR/1100: Flugverkehr, Wald- und Klimaschutz - Unsere ICAO-Kampagne (ROBIN WOOD magazin)


ROBIN WOOD magazin - Nr. 131/4.2016

Flugverkehr, Wald- und Klimaschutz: Unsere ICAO-Kampagne

Von Monika Lege


Weltweit demonstrierten Anfang Oktober Menschen für Klimaschutz und weniger Flugverkehr. Anlass war die 39. Hauptversammlung der ICAO, der Internationalen Organisation für zivile Luftfahrt. Fast 20 Jahre nach dem Kyoto-Protokoll will die ICAO mit einem Konzept namens "Carbon Neutral Growth" Klimaschutz vorgaukeln und sich gleichzeitig die Lizenz für weiterhin ungebremstes Wachstum sichern.


Auch ROBIN WOOD hat mit Lobbyarbeit und direkten Aktionen für mehr Klimaschutz durch weniger Fliegen gekämpft. Vorab haben wir eine gemeinsame Stellungnahme der Umwelt- und Entwicklungsverbände an die deutsche Regierungsdelegation sowie die EU initiiert. Just in time konnten wir sie der Delegation mit auf den Weg geben. Brot für die Welt, der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), der Verkehrsclub Deutschland (VCD), Germanwatch und das Forum ökologisch-soziale Marktwirtschaft (FÖS) fordern darin gemeinsam mit ROBIN WOOD von Bundesregierung und EU, sich für ein substantielles globales Reduktionsziel aller Treibhausgase aus dem den Flugverkehr einzusetzen. Landwirtschafts-, boden- und waldbasierte Offsetting-Gutschriften müssen vollständig als "Klimaschutzmaßnahmen" aus geschlossen werden, ebenso Anbaubiomasse für alternative Kraftstoffe.

Am Vorabend der ICAO demonstrierte ROBIN WOOD im Frankfurter Flughafen, dem größten deutschen Airport, gemeinsam mit mehreren hundert Menschen aus der Region unter dem Motto "Save the climate - Stop Airport Expansion" (Klima retten - Flughafenausbau stoppen). Das war unser Beitrag zur globalen Aktionswoche "Stay Grounded" (Bleib am Boden). Im französischen Nantes, in Istanbul, London, Wien und Mexico City, im australischen Sidney und kanadischen Montréal gingen Aktivist_innen für weniger Flugverkehr zum Schutz des Klimas auf die Straße, in Flughäfen und auf bereits laufende oder geplante Baustellen. Unsere gemeinsame Botschaft: "Tell Airlines and States to reduce Emissions not to Greenwash" - Luftverkehrsunternehmen und Staaten müssen Treibhausgas-Emissionen reduzieren statt ein grünes Mäntelchen für den Flugverkehr zu stricken. Ein Protestschreiben internationaler Zivilgesellschaft von mehr als 70 Organisationen und tausenden Einzelpersonen wurde in Montréal dem ICAO-Sekretariat überreicht.

Am Ende hat die ICAO erwartungsgemäß ihr geplantes "Carbon Neutral Growth"-Konzept beschlossen. Aber die vielen kreativen Proteste in aller Welt haben erfolgreich verhindert, dass Airlines es als wirksamen Klimaschutz verkaufen konnten. Unsere kritischen Stimmen fanden in der Berichterstattung über Gehör und waren auf den offiziellen ICAO-Seiten zur 39. Versammlung im Internet unübersehbar.

Herzlichen Dank allen, die unsere Kampagne zur ICAO unterstützt haben!

Hintergrund

Flugverkehr ist einerseits die am schnellsten wachsende Quelle von Treibhausgasemissionen. Andererseits ist die Luftfahrt einer von nur zwei Sektoren, für den es keine Klimaziele der Vereinten Nationen gibt. Auf dem Klimagipfel in Paris im vergangenen Dezember beschloss die Weltgesellschaft, alles zu tun, um den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur bis zum Jahr 2050 auf deutlich unter 2 Grad Celsius, möglichst unter 1,5 Grad zu begrenzen.

Heute ist der Luftverkehr für rund fünf Prozent der menschgemachten Klimaerwärmung verantwortlich. Das klingt wenig. Aber noch immer nutzt nur ein Zehntel der Menschheit überhaupt Flugzeuge. Von diesem Zehntel wiederum fliegen sehr wenige immer häufiger. Der Beitrag einer kleinen Minderheit zum Klimawandel ist also enorm.

Die ICAO ist eine UN-Sonderorganisation von 191 Mitgliedsstaaten UND der Luftfahrtindustrie. So ist der BDL, Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft, Mitglied der deutschen Delegation. Organisationen der internationalen Zivilgesellschaft haben maximal Beobachterstatus.

Die ICAO erwartet ein Wachstum des Flugverkehrs bis 2050 um 300 bis 700 Prozent. Selbst im unwahrscheinlichen Fall, dass alle anderen Sektoren bis 2050 kein Treibhausgas mehr in die Luft bliesen, würde der Flugverkehr bei einem "weiter so" die in Paris vereinbarten Klimaziele verhindern. Das erste globale Klimaabkommen, das Kyoto-Protokoll, wurde vor fast zwanzig Jahren beschlossen. Es beauftragte die ICAO mit der (Zitat) "Begrenzung oder Reduktion der Emissionen von Treibhausgasen aus dem Luftverkehr".

Längst hätte die ICAO liefern müssen. Ihre jetzt beschlossenen Maßnahmen heißen "Carbon Neutral Growth", Kohlendioxidneutrales Wachstum. Ihr Kernstück ist das "Offsetting": Fluggesellschaften kaufen für einen minimalen Teil ihrer aus dem Kerosinverbrauch errechneten Kohlendioxid-Abgase Zertifikate für Kohlendioxid-Einsparungen. Das Kohlendioxid aus den Flugzeugturbinen sollen Menschen in anderen Sektoren als der Luftfahrt und in anderen Ländern als den Firmensitzen der Fluglinien oder Flughäfen einsparen.

Klingt kompliziert. Ist es auch. Der BDL erklärt es so: "Kohlendioxid-Emissionen, die durch Wachstum im Luftverkehr entstehen, sollen ab 2020 an anderer Stelle kompensiert werden. Dazu werden Klimaschutzprojekte aufgesetzt, etwa zum Umstieg von fossilen auf erneuerbare Energien in einem lateinamerikanischen Dorf." Kerosin ist ein fossiler Energieträger. Es gibt keine nennenswerte Alternative aus Erneuerbaren. Fliegen gehört zu einem Lebensstil mit maximalem Ressourcenverbrauch. Anders gesagt, einem Lebensstil aufgrund vielleicht nicht individuellem, aber gesellschaftlichem Reichtum. Der grassiert vermutlich nicht in dem vom BDL angeführten "lateinamerikanischen Dorf". Vielmehr lässt "Dorf" auf einen bäuerlichen, naturnahen Lebensstil schließen. Wie viele Familien müssten im Beispiel vom BDL ihren Strom aus der Steckdose oder aus Generatoren, ihre Öfen und Pick-ups auf erneuerbare Energien umstellen, um die Emissionen einer einzigen Boeing 747 für 400 Leute auszugleichen? Eventuell gibt es dafür zu wenig fossil betriebene Trecker oder Busse im ländlichen Lateinamerika. Das Land, in dem besagtes Beispieldorf liegt, hat sich noch dazu im Abkommen von Paris zu nationalen Reduktionszielen verpflichtet. Wo soll da noch was für Fluggesellschaften aufzukaufen sein? Wenn überhaupt sauber gezählt wird.

Der bürokratische Aufwand für das Offsetting-System wäre enorm. Wofür? Erst 2027 ist es verpflichtend. Klimaforscher_innen befürchten, dass ohne massive Reduktion der jetzigen Treibhausgasemissionen bereits 2030 die "Tipping Points", die Kipp-Punkte, für eine noch beherrschbare Klimaerwärmung erreicht sind. Offsetting soll nur das Verkehrswachstum ab 2020 betreffen. Das Basisjahr ist viel zu spät. Offsetting spart nicht ein einziges Gramm Kohlendioxid in der Luftfahrt ein. Offsetting erfasst nur die Klimawirkung des aus dem Kerosinverbrauch errechneten Kohlendioxids am Boden. Die Klimawirkung von Wasserdampf und weiteren Abgasen sowie die Flughöhe bleiben unberücksichtigt.

Der BDL bezeichnet Offsetting unbeirrt als Klimaschutzinstrument. Und fordert flugs, nun die Luftverkehrsteuer abzuschaffen und alle Flüge aus dem Europäischen Emissionshandel rauszunehmen. Die Airlines brauchen das ICAO-Abkommen als "Greenwashing", als grünes Mäntelchen mit dem Gütesiegel der Vereinten Nationen. Sie wollen ihr Image polieren und weiter wachsen. ROBIN WOOD und viele andere Umwelt- und Klimaschützer_innen weltweit entzaubern den schönen Schein. "Carbon Neutral Growth" und "Offsetting" reduziert keine Treibhausgase. Eine ökologisch oder sozial sinnvolle Qualität von Ausgleichprojekten ist angesichts der von den Airlines zu verantwortenden Klimaschäden und ihrer Wachstumsraten nicht einmal ansatzweise möglich. Geschweige denn gerecht.

Zertifikate auf Wälder und landwirtschaftliche Flächen als Offsetting-Projekte für Fluggesellschaften würden die globale Konkurrenz um Flächen auf Kosten von Ernährung, bäuerlicher Landwirtschaft, naturnaher Waldwirtschaft und Wildnis unerträglich verschärfen. Die Kluft zwischen arm und reich würde größer.

Flugreisen schädigen das Klima maximal bei minimalem Zeitaufwand. Das Klima schützt, wer weniger fliegt. Alles andere ist Quark.


Monika Lege ist Mobilitätsreferentin bei ROBIN WOOD e.V. in Hamburg verkehr@robinwood.de

www.robinwood.de/flug
www.robinwood.de/eisschmelze-stoppen
systemchange-not-climatechange.at/airport-action-days


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Monika Lege von ROBIN WOOD als Rednerin bei der 188. Montagsdemo im Frankfurter Flughafen: Das Klima schützt, wer weniger fliegt

- Weniger Fliegen - Wieso, weshalb, warum? ROBIN WOOD guckt hin: Flugverkehr ist extrem schädlich für Umwelt und Klima. Wir erklären kurz und gut, warum Nachtzug besser ist als Nachtflug und der Ausbau des Flugverkehrs gestoppt werden muss: www.youtube.com/RobinWoodVideo

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Quelle:
ROBIN WOOD-Magazin Nr. 131/4.2016, Seite 14 - 15
Zeitschrift für Umweltschutz und Ökologie
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Februar 2017

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