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ATOM/1106: Super-Containment für Atomkraftwerke - Notfallmaßnahmen funktionieren nicht (IPPNW)


IPPNW - Berlin, den 14. September 2010

IPPNW fordert Super-Containment für Atomkraftwerke

Gutachter: "Notfallmaßnahmen" funktionieren nicht


"Keines der deutschen Atomkraftwerke ist gegen Kernschmelz-Unfälle, so wie in Tschernobyl geschehen, ausgelegt. Auch die neueren so genannten Konvoianlagen nicht", so Henrik Paulitz, Atom-Experte der atomkritischen Ärzteorganisation IPPNW. "Die Kernschmelzfestigkeit fast aller deutschen Atomkraftwerke ist im internationalen Vergleich katastrophal schlecht, weil der Sicherheitsbehälter zu klein und aus Stahl statt aus Stahlbeton angefertigt wurde. Gerade bei den viel gepriesenen Konvoianlagen funktionieren die so genannten Notfallmaßnahmen, der letzte Rettungsanker bei Leck-Störfällen, erwartungsgemäß nicht", erklärt Paulitz.

Die IPPNW fordert vor diesem Hintergrund die unverzügliche Stilllegung der deutschen Atomkraftwerke. Sollte die Bundesregierung einen Weiterbetrieb beschließen, dann müsse sie die Anlagen vom Netz nehmen und zunächst ein "Super-Containment" als zweiten großen Sicherheitsbehälter nachrüsten. "Ein solches Super-Containment wurde vom Kernforschungszentrum Karlsruhe vor etlichen Jahren entwickelt und den Behörden jahrelang eindringlich empfohlen, um Kernschmelz-Unfälle beherrschen zu können. Die deutschen Atomkraftwerke ohne ein Super-Containment weiterzubetreiben, wäre verantwortungslos", so Paulitz.

"Spricht man mit Reaktorsicherheitsexperten über Störfallszenarien, dann heißt es stets abwiegelnd: Im Notfall reißt man als Notfallmaßnahme die großen Ventile auf, dann passiert schon nicht so viel", so Paulitz. Die so genannte "Primärseitige Druckentlastung und Bespeisung (PDE)" funktioniert aber gerade bei den neueren deutschen Atomkraftwerken nicht rechtzeitig, um einen Kühlmittelverluststörfall (Leck im Primärkeis von Druckwasserreaktoren) zu verhindern. Die Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS), Hausgutachter der Bundesregierung, schreibt in einer Risikostudie dazu:

"Beim Kühlmittelverluststörfall ist dann die Zeitspanne zwischen dem Anstehen der Kriterien und dem Zeitpunkt, bis zu dem PDE zur Verhinderung des Kernschadenszustands wirksam sein muss, so kurz, dass dieses Ziel kaum erreichbar ist."

"Kommt es auf diese Weise zur Kernschmelze, dann werden im Sicherheitsbehälter eines Atomkraftwerks unglaubliche Kräfte freigesetzt. Eine Vielzahl von Effekten sorgt für die sichere Zerstörung des Containments und eine massive Freisetzung von Radioaktivität",

so Paulitz.

"Bei einer Hochdruck-Kernschmelze schießt der tonnenschwere Reaktordruckbehälter wie eine Rakete nach oben und zerstört direkt das Containment. Geschieht das nicht, dann kann das Containment durch Wasserstoffexplosionen zerstört werden, wobei die nachgerüsteten Wasserstoff-Rekombinatoren als Zünder fungieren können. Höchst gefährlich für das Containment sind ferner Dampfexplosionen, Schmelze-Beton-Wechselwirkungen und Direct Containment Heating. Selbst wenn das Containment oben wider Erwarten halten sollte, frisst sich die Kernschmelze nach unten durch die Fundamente und setzt die Radioaktivität über das Erdreich frei."

Die fehlende Kernschmelzfestigkeit in Verbindung mit der Unwirksamkeit der Notfallmaßnahmen muss nach Auffassung der IPPNW dazu führen, auch die neueren deutschen Atomkraftwerke umgehend vom Netz zu nehmen.


Über die IPPNW:

Diese Abkürzung steht für International Physicians for the Prevention of Nuclear War. Die Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges engagieren sich seit 1982 für eine Welt ohne atomare Bedrohung und Krieg. 1985 wurden sie dafür mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Seit 1990 stehen zusätzlich gesundheitspolitische Themen (z.B. Gesundheitsversorgung für Menschen ohne Papiere, Zugang zu lebensnotwendigen Medikamenten) auf dem Programm des Vereins. In der IPPNW sind rund 7.000 ÄrztInnen und Medizinstudierende organisiert.


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Quelle:
Presseinformation der IPPNW - Deutsche Sektion der
Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, 14.09.2010
Körtestr. 10, 10967 Berlin
Sven Hessmann, Pressereferent
Tel.: 030-69 80 74-0, Fax: 030-69 38 166
E-Mail: ippnw@ippnw.de
Internet: www.ippnw.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. September 2010