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ATOM/1122: Trotz längerer Laufzeiten könnten einige AKW bald vom Netz gehen (.ausgestrahlt)


.ausgestrahlt / gemeinsam gegen atomenergie - Rundbrief 10 / Herbst 2010

Druck sucht sich seinen Weg

Trotz längerer Laufzeiten könnten einige AKW bald vom Netz gehen - wegen strenger Sicherheitsauflagen oder weil den Atomkonzernen die KundInnen weglaufen.


"Es ist doch längst alles entschieden." So oder so ähnlich äußern sich seit Wochen die BefürworterInnen des Bauprojekts "Stuttgart 21", um den Massenprotesten Legitimation und Motivation zu rauben. Doch die schwäbische BürgerInnenbewegung lässt sich nicht beirren. Gerade weil. und wie entschieden wurde, macht sie ja so ärgerlich. Und da sie diesen Ärger kreativ und beharrlich auf die Straße bringt, ist inzwischen längst nicht mehr ausgeschlossen, dass das Projekt noch kippt.

Ähnliches erleben wir in der Auseinandersetzung um die Atomenergie. Zwei Wochen vor der Berliner Großdemonstration am 18. September einigte sich die Bundeskanzlerin in nächtlichen Verhandlungen mit den Stromkonzernen darauf, alle Atomkraftwerke noch viele Jahre lang weiterlaufen zu lassen. Die Mobilisierung für die Großdemo bekam gerade dadurch einen gewaltigen Schub.

Dabei erscheint die Situation auf ersten Blick relativ hoffnungslos: Die schwarz-gelben Fraktionsführungen sind fest in der Hand süddeutscher Atom-Radikaler wie Volker Kauder (CDU), Hans-Peter Friedrich (CSU) und Birgit Homburger (FDP), die Zustimmung des Bundestages zum Atom-Deal wohl nur noch eine Formsache.

Doch Merkel fährt volles Risiko: Zwar mühen sich die PR-StrategInnen der Regierung, den Begriff "Atomkompromiss" zu streuen. Doch jede/r sieht, dass der Geheimvertrag mit den Stromkonzernen das Radikalste ist, was die Regierung atompolitisch hat beschließen können - keine Spur von "Kompromiss". Selbst die angeblichen Profiteure des Deals wie Stadtwerke, Gewerkschaften, Erneuerbare-Energien-Branche und AKW-Standortgemeinden protestieren. Atom kritische AnhängerInnen von Union und FDP, von denen es ja laut Umfragen inzwischen Millionen gibt, hätten vielleicht von Norbert Röttgen eingebunden werden können. Doch der Umweltminister hat auf ganzer Linie verloren - und die Regierung plötzlich ein virulentes Anti-Atom-Problem im eigenen Lager.

Inzwischen ist der häufigste Satz, den man zum Thema hört: "Damit kommen die nie durch." Nicht eingefleischte Anti-Atom-AktivistInnen reden so, sondern Leute, die normalerweise eher sagen "Die da oben machen ja doch, was sie wollen." Da verschiebt sich etwas in der Gesellschaft, das weit über die Frage der AKW-Laufzeiten hinausgeht.

Was aber kann angesichts der schwarz-gelben Bundestagsmehrheit noch ein Hebel sein, um den Weiterbetrieb aller 17 Reaktoren zu verhindern? Die erste Antwort darauf lautet: Massiver politischer Druck, wie er sich in der Frage der AKW-Laufzeiten aufbaut, bringt automatisch die schwächste Stelle des Bollwerks zum Einsturz - auch wenn man diese vorher gar nicht kannte.

Völlig unterschätzt wird aktuell das Thema Sicherheitsauflagen. Hinter den Kulissen wird hier noch heftig gerungen. Zwar soll die Maximalsumme für Nachrüstungen auf skandalöse 500 Millionen Euro pro Reaktor gedeckelt werden, aber selbst das könnte einige Alt-Meiler unrentabel machen. Schon spricht EnBW-Chef Hans-Peter Villis vom möglichen Ende des AKW Neckarwestheim 1. Auch die anderen Atomkonzerne rechnen mit spitzem Bleistift, was sich noch lohnt.

Spannend wird es zudem in Baden-Württemberg. Wenn Atom-Hardliner Stefan Mappus (CDU) in Umfragen weiter verliert, dürfte das auch Merkel alarmieren. Schließlich stehen 2011 insgesamt sechs Landtagswahlen an.

In den nächsten Monaten wird sich die Auseinandersetzung zudem stark auf die einzelnen Kraftwerke konzentrieren. Gelingt es Vattenfall, die beiden seit 2007 stillstehenden AKW in Brunsbüttel und Krümmel wieder in Betrieb zu nehmen? Oder werden dann so viele Haushalte "Tschüss Vattenfall." sagen, dass das schwedische Staatsunternehmen einknickt?

Nicht verlassen sollten wir uns auf das Bundesverfassungsgericht. Denn das entscheidet am Ende nur über eine knifflige staatsrechtliche Frage und nicht darüber, ob die Nutzung der Atomenergie zu verantworten ist.

Letztendlich sind alle Beteiligten - ob VerfassungsrichterInnen, BeamtInnen in den Atomaufsichtsbehörden, Vattenfall-KundInnen oder bisherige CDU-WählerInnen - nicht unbeeinflusst von der öffentlichen Debatte. Und die lässt sich mit massenhaftem Protest und Widerstand gegen die merkelsche Atompolitik nachhaltig beeinflussen.


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Quelle:
Rundbrief 10, Herbst 2010
Herausgeber: .ausgestrahlt
Normannenweg 17-21, 20537 Hamburg
E-Mail: info@ausgestrahlt.de
Internet: www.ausgestrahlt.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Oktober 2010