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ATOM/1244: Was vom AKW Obrigheim als Atommüll übrigbleibt (Strahlentelex)


Strahlentelex mit ElektrosmogReport
Unabhängiger Informationsdienst zu Radioaktivität, Strahlung und Gesundheit
Nr. 662-663 / 28. Jahrgang, 7. August 2014

Was vom AKW Obrigheim als Atommüll übrigbleibt
Freimessung light am Beispiel des AKW Obrigheim

von Gertrud Patan, Initiative AtomErbe Obrigheim [1]



Ist die "Freimessung" nach Paragraph 29 der Strahlenschutzverordnung praktikabel?

Schon seit mehreren Jahren fordert die Initiative AtomErbe Obrigheim von der Genehmigungsbehörde, dem baden-württembergischen Umweltministerium, einen transparenten Umgang mit dem Thema des "freigemessenen" Materials, das beim Rückbau des AKW Obrigheim anfällt und immer noch radioaktive Stoffe enthält. Die Beteuerung, dass alles "unbedenklich" sei [2], können die Mitglieder der Initiative nicht nachvollziehen, denn der Prozess der "Freimessung" ist sehr kompliziert, und es können auch Fehler auftreten.

Wenn alles Material aus dem nuklearen Bereich von Atomanlagen als Atommüll betrachtet würde, wären die Probleme der Lagerung noch größer. Um dies zu umgehen, wurde 2001 in der Strahlenschutzverordnung (StrlSchV) die "Freigabe" von gering radioaktiv belastetem Material geregelt. Mit Hilfe der sogenannten "Freimessung" - der Begriff suggeriert, dass das Material danach frei von Radioaktivität ist - wird ermöglicht, dass aus Atommüll "normaler" Müll wird, der dann dem Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz unterliegt.

Bei der "Freimessung" werden zwei Kategorien unterschieden: Bei Unterschreitung bestimmter Grenzwerte ist die "Beseitigung" auf einer Deponie oder in einer Müllverbrennungsanlage vorgeschrieben ("zweckgerichtete Freigabe"). Bei noch geringerer radioaktiver Belastung ist eine freie Verwertung zugelassen, also die Rückkehr in den Stoffkreislauf, zum Beispiel als Beton im Straßenbau, als Metall für Kochtöpfe oder andere Alltagsgegenstände ("uneingeschränkte Freigabe"). Durch die in der StrlSchV vorgegebenen Grenzwerte soll erreicht werden, dass eine Einzelperson höchstens mit einer jährlichen Strahlenbelastung "im Bereich von 10 Mikrosievert" zu rechnen hat. Laut einem Leitfaden des Landes Baden-Württemberg [3] können das "einige" 10 Mikrosievert, zum Beispiel auch 20 Mikrosievert sein. Es ist also keine feste Grenze.

In einer 30-seitigen Tabelle (Anlage III der Strahlenschutzverordnung) ist festgelegt, welche radioaktiven Stoffe in "freigemessenem" Material enthalten sein dürfen. In einer Erläuterung, aus dem baden-württembergischen Umweltministerium dazu [4] heißt es: "Die Freigabewerte (Anm. d. Verf.: Werte in der o.g. Tabelle) selbst sind aus Expositionsstudien abgeleitet worden. Dabei wurden gängige Entsorgungsvarianten über komplexe radiologische Modelle, in die eine Vielzahl von Annahmen unter Berücksichtigung von Konservativitäten, z.B. zu den freizugebenden Stoffen, zum Stoffkreislauf und zum Verhalten der exponierten Personen eingegangen sind, abgebildet." Im Klartext: Die Werte, auf denen die Beurteilung von radioaktiv belastetem Material beruht, sind abgeleitet, abgebildet, berechnet.

Für die "Freimessung" selbst, zum Beispiel von Abbaumaterial aus dem AKW Obrigheim, ist ebenfalls nicht vorgesehen, dass die radioaktive Strahlung genau gemessen wird. Nur die Gammastrahlung wird überprüft. Die radioaktiven Stoffe, die Alpha- oder Betastrahlung abgeben, müssten durch aufwendige Messverfahren und chemische Analysen ermittelt werden. Dies wird aber in der Praxis nicht gemacht, sondern aus der gemessenen Gammastrahlung wird abgeleitet, was an Alpha- und Betastrahlern enthalten sein könnte. Also eine weitere Ableitung bzw. Berechnung, um die in der o.g. Tabelle genannten abgeleiteten Werte einzuhalten. In dem Leitfaden des Landes Baden-Württemberg [3] heißt es dazu: "Nach Inkrafttreten der novellierten Strahlenschutzverordnung zum 1.8.2001 wurde relativ schnell offensichtlich, dass die gesetzlichen Rahmen- und Randbedingungen bzgl. der Freigabe für die eigentliche (und möglichst bundeseinheitliche) Umsetzung des § 29 StrlSchV nicht ausreichend bzw. konkret genug sind."

Der Atomexperte Thomas Dersee von der Gesellschaft für Strahlenschutz hält eine korrekte Erfüllung der Vorgaben der Strahlenschutzverordnung für die Freigabe von radioaktiv belasteten Stoffen wegen des hohen Aufwands für praktisch nicht gewollt.[5]

Was vom AKW Obrigheim als Atommüll übrigbleibt

Obrigheim ist ein verhältnismäßig kleines AKW. Die Gesamtmasse umfasst 275.000 Tonnen, davon circa 136.000 Tonnen aus dem Kontrollbereich. Um die Menge des langfristig zu lagernden Atommülls gering zu halten, sind nur circa 10.000 Tonnen als radioaktiv belastet deklariert. Die gesamte übrige Masse, auch mehr als 120.000 Tonnen aus dem Kontrollbereich, werden als "kontaminationsfreie Massen" deklariert und unterliegen damit nicht den Vorschriften der Strahlenschutzverordnung, brauchen also nicht systematisch auf Radioaktivität untersucht zu werden. Zum großen Teil handelt es sich dabei um Gebäudestrukturen, die am Ende des Rückbaus entweder abgerissen oder einer anderen Nutzung zugeführt werden sollen, aber auch um Teile der für den Betrieb der Anlage notwendigen Systeme. In jedem Fall werden früher oder später Menschen damit in Berührung kommen.

Auch von den rund 10.000 Tonnen "radioaktiver Reststoffe" soll der größte Teil im Laufe des Rückbaus "freigemessen" werden, dann kann er deponiert, verbrannt oder frei verwertet werden. Bekannt wurde inzwischen, dass in den letzten Jahren "freigemessener" Müll aus dem AKW Obrigheim auf den Deponien in Buchen/Neckar-Odenwald-Kreis und Sinsheim/Rhein-Neckar-Kreis sowie im Müllheizkraftwerk Mannheim gelandet ist.

Sogar aus dem innersten, am stärksten radioaktiv belasteten Bereich (Reaktordruckbehälter mit Einbauten und Biologischer Schild), in dem rund 4.000 Tonnen abgebaut werden sollen, plant der Betreiber EnBW, nur etwa 600 Tonnen davon langfristig als Atommüll aufzubewahren. Alles andere will er per Freimessung loswerden.

Einige Großkomponenten (zwei Dampferzeuger und zwei Hauptkühlmittelpumpen mit einem Gewicht von mehr als 360 Tonnen) wurden im Mai 2012 zur externen Bearbeitung nach Lubmin an der Ostsee gebracht. Der Transport erfolgte per Schiff über Flüsse und Kanäle quer durch Deutschland. Die Firma EWN [6] ist beauftragt, die Zerlegung und Bearbeitung dieser stark radioaktiv belasteten Teile vorzunehmen. Ob, wann und wie viel davon als Atommüll nach Obrigheim zurückkommt, ist offen. Ebenso offen ist, wo der Rest bleibt.

Für eine langfristige Lagerung sollen nur etwa 2.500 Tonnen schwach- und mittelradioaktiver Atommüll übrigbleiben, also weniger als 1 Prozent der Gesamtmasse. Geplant ist, ihn später ins "Endlager" Konrad zu bringen. Vorläufig wird er in zwei bestehenden Gebäuden des AKW Obrigheim aufbewahrt, die noch nicht einmal ausreichend gegen Erdbeben ausgelegt sind. Bei einem Störfall würden gegebenenfalls radioaktive Stoffe freigesetzt, aber wie beteuert wird, innerhalb der Störfallgrenzwerte.

Abbaumaterial aus Atomanlagen nicht in der Umwelt verteilen!

Die von Atomanlagen an die Umwelt abgegebenen radioaktiven Stoffe erhöhen ständig die Menge der insgesamt bereits vorhandenen Strahlung.

Darüber hinaus sind in Material aus Atomanlagen viele andere Radionuklide enthalten, die in der Natur nicht oder kaum vorkommen. Auch der Anteil an Alpha- und Betastrahlern, die nicht mit Messgeräten für radioaktive Strahlung erfasst werden, ist höher. Dazu kommt, dass der Stoffwechsel von Lebewesen nicht zwischen der radioaktiven und der nicht radioaktiven Form eines Stoffes unterscheiden kann.

Offizielle Stellen argumentieren häufig damit, dass die natürliche radioaktive Strahlung wesentlich höher sei als die bei der "Freimessung" zugelassenen Werte. Dabei ist international wissenschaftlich anerkannt, dass selbst bei relativ niedriger radioaktiver Belastung ein gewisses Erkrankungsrisiko besteht, da es bei Radioaktivität keine Schwelle gibt, unterhalb derer man dies ausschließen kann.

Wenn in den nächsten Jahren und Jahrzehnten die weiteren AKW-Rückbauten anstehen, ist mit Millionen Tonnen von Abbaumaterial zu rechnen, das in der Umwelt verteilt werden und in den Stoffkreislauf zurückkehren würde. Wie viel radioaktiv belastetes Material aus dem bisherigen Betrieb der Anlagen und aus den bereits durchgeführten oder laufenden Rückbauten bereits deponiert, verbrannt oder "frei verwertet" wurde, ist nicht bekannt, da die StrlSchV keine Bilanzierung vorschreibt.

Für die hochradioaktiven Brennelemente sowie den mittel- und schwachradioaktiven Atommüll gilt der Grundsatz, dass er am Standort gelagert werden muss, bis die "Endlagerung" geklärt ist. Dies sollte auch für das "freigemessene" Abbaumaterial des Atomkraftwerks gelten.

Die Initiative AtomErbe Obrigheim fordert: Statt den größten Teil des Abbaumaterials aus Obrigheim (rund 98 Prozent) und anderen Atomanlagen mit oder ohne "Freimessung" in der Umwelt zu verteilen, soll es vorläufig an den Atomstandorten aufbewahrt werden, bis auch dafür eine Lösung zur langfristigen Aufbewahrung gefunden ist.

Freimessung in Baden-Württemberg - leicht gemacht

Wie oben bereits angesprochen, werden laut Genehmigungsunterlagen rund 10.000 Tonnen der Masse des AKW Obrigheim zu "radioaktiven Reststoffen" erklärt und unterliegen damit der Strahlenschutzverordnung. Durch die dort vorgesehene Möglichkeit der Freigabe mit Hilfe der "Freimessung" kann auch davon der größte Teil aus dem Atomrecht entlassen werden, so dass nur etwa 2.500 Tonnen insgesamt als schwach- und mittelradioaktiver Atommüll zu lagern sind. Selbst aus dem Inneren des AKW Obrigheim, das wegen hoher Strahlenbelastung fernhantiert abgebaut werden muss (Reaktordruckbehälter und Umfeld), sollen nur circa 600 Tonnen Atommüll übrigbleiben.

Für das AKW Obrigheim gibt es aktuell folgende Freigabebescheide:
a) "zur uneingeschränkten Freigabe", also zur freien Verwertung,
b) "zur zweckgerichteten Beseitigung", also zur Deponierung oder Verbrennung,
c) für Gebäude zur Weiter-/Wiederverwertung oder zum Abriss. Es wird nicht unterschieden zwischen Überwachungs- und Kontrollbereich.

Die Bescheide wurden zwischen 2004 und 2010, also vor der 2. Stilllegungs- und Abbaugenehmigung erteilt, das heißt bevor im Kontrollbereich (in dem offen mit nuklearen Materialien hantiert wird) abgebaut werden durfte. Das baden-württembergische Umweltministerium hat es nicht für nötig befunden, die Freigabegenehmigungen für den Rückbau anzupassen und es gibt keine speziellen Vorschriften für die Rückbausituation. Die Initiative AtomErbe Obrigheim und Vorgängergruppen haben seit Jahren gefordert, dass die Freigabe der Abbaumaterialien nicht in einzelnen Bescheiden, sondern insgesamt in den Stilllegungs- und Abbaugenehmigungen geregelt wird, leider ohne Erfolg.

Bei der "Freimessung" der einzelnen Chargen werden nur diejenigen radioaktiven Stoffe gemessen, die Gammastrahlung abgeben. Die Menge der zusätzlich enthaltenen Alpha- und Betastrahler wird über sogenannte Nuklidvektoren bestimmt. Ein Nuklidvektor ist eine Aufzählung einiger Radionuklide (bis zu 7) mit Angabe ihres prozentualen Anteils an der radioaktiven Strahlung. Daraus wird dann abgeleitet, ob sich die zusätzlich enthaltenen Radionuklide in dem laut Strahlenschutzverordnung zulässigen Rahmen bewegen. Es wird also wieder einmal abgeleitet, nicht gemessen. Zudem werden Radionuklide, deren Strahlungsanteil sehr gering ist, nicht im Nuklidvektor erfasst, sondern vernachlässigt.

Obrigheim darf nicht zum Vorbild für andere AKW-Rückbauten werden

Zu diesem bereits vereinfachten Verfahren genießt die EnBW weitere Vergünstigungen:

• Für das AKW Obrigheim gibt es nur 2 Nuklidvektoren, einen für den Überwachungsbereich und einen für den Kontrollbereich. Da sich die Abbaumaterialien in ihrem radioaktiven Gehalt unterscheiden, kann die EnBW die Nuklidvektoren bei Bedarf ändern, da diese nicht in den Freigabebescheiden festgelegt sind, sondern im aufsichtlichen Verfahren genehmigt werden.

• Für die uneingeschränkte Freigabe: Abweichend von der Strahlenschutzverordnung (StrlSchV) müssen nicht jeweils Flächen von maximal 1.000 cm² gemessen werden, sondern bei Freimessungen von festen Stoffen und Gegenständen darf die Mittelungsfläche mehr als 1.000 cm² betragen. Eine Obergrenze ist nicht festgelegt, auch nicht die Art der Messung.

• Für die Freigabe zur Beseitigung: Abweichend von der StrlSchV darf die Mittelungsfläche bei Freimessung mittels der Freimessanlage bis zu 5 m² beziehungsweise bei Freimessung mittels In-situ-Gammaspektrometrie bis zu 20 m² betragen statt 1.000 cm².

• Für die Freigabe zur Beseitigung: Abweichend von der StrlSchV kann für Stoffe mit fester und messbarer Oberfläche der Nachweis über die Einhaltung der Werte für die Oberflächenkontamination entfallen, wenn sie in verpacktem Zustand an die Entsorgungsanlage geliefert werden und dort auch nur in diesem Zustand gehandhabt werden.

• Abweichend von der Strl SchV dürfen auch Mischungen aus unterschiedlichen Materialien freigemessen werden.

• Zum Zeitpunkt der Freigabegenehmigungen lag nach Informationen der Initiative AtomErbe Obrigheim keine umfassende radiologische Charakterisierung der Anlage vor. Damit waren die Abschätzung der radioaktiven Belastung und die Festlegung der Nuklidvektoren erschwert.

• Schon zu Beginn des Rückbaus wurde eine pauschale Genehmigung für die "Freimessung" von Gebäuden zur Wieder-/Weiterverwertung und zum Abriss erteilt, ebenfalls ohne Begrenzung der Mittelungsfläche. Sie gilt für Gebäude und Gebäudeteile sowohl im Überwachungsbereich als auch im Kontrollbereich.

• Die Freigabebescheide sind sehr kurz gehalten, etwa 4 bis 5 Seiten. Die wesentlichen Angaben stehen in Betriebsanweisungen, die die Grundlage der Bescheide bilden. Diese Betriebsanweisungen befinden sich aber im Privatbesitz der EnBW und sind damit nicht öffentlich zugänglich wie andere Genehmigungsunterlagen.

Diese großzügige Handhabung der Freimessung wurde der EnBW erlaubt - mit der Begründung, dass die Obergrenze (die keine Obergrenze ist, s. o.) von 10 Mikrosievert pro Jahr für die radioaktive Belastung von Einzelpersonen eingehalten würde. Es wird also das vorausgesetzt, was eigentlich durch die vorgeschriebenen Messungen bewiesen werden soll. Als rechtliche Basis für diese "Vergünstigungen", die in den Freigabebescheiden "Auflagen" genannt werden, wird das baden-württembergische Verwaltungsverfahrensgesetz Paragraph 36 angeführt, in dem es heißt: "Ein Verwaltungsakt (...) darf erlassen werden mit einer Bestimmung, nach der der Eintritt oder der Wegfall einer Vergünstigung oder einer Belastung von dem ungewissen Eintritt eines zukünftigen Ereignisses abhängt (Bedingung)". Die Freigabebescheide können auf der Webseite der Initiative AtomErbe Obrigheim nachgelesen werden.

Da der Leitfaden, auf dem diese kostengünstige Praxis der Freimessung beruht, für alle Atomanlagen in Baden-Württemberg gilt [7], ist davon auszugehen, dass auch dort entsprechend vorgegangen wird. Als Basis für die Zulassung größerer Mittelungsflächen wird auf ein Papier einer Arbeitsgemeinschaft (AG) verwiesen, die sich aus Vertretern des Umweltministeriums, des TÜV SÜD Energietechnik GmbH Baden-Württemberg, des Forschungszentrums Karlsruhe GmbH und der Wiederaufarbeitungsanlage Karlsruhe Rückbau- und Entsorgungs-GmbH zusammensetzt. Diese AG hat konkrete Messstrategien und Anforderungen bezüglich der In-situ-Gammaspektrometrie für Freimessungen nach § 29 StrlSchV erarbeitet.[8] Das Dokument stammt aus dem Jahr 2007, also von vor der ersten Stilllegungs- und Abbaugenehmigung des AKW Obrigheim, und wurde wohl in Erwartung der großen Mengen an Abbaumaterial erstellt.

Ganz offensichtlich können mit dieser "Freimessung light" die Kosten für den Rückbau reduziert werden. Die baden-württembergische Staatsministerin Silke Krebs sagte in einem anderen Zusammenhang bei einer Veranstaltung in Aglasterhausen [9], dass die wirtschaftliche Situation der EnBW Auswirkungen auf den Landeshaushalt habe. Es scheint, dass EnBW keine Bad Bank mehr braucht, um die Risiken des Rückbaus wegzudrücken, aber es ist zu befürchten, dass das Land diese für EnBW günstigen Regelungen, die aus der Zeit vor der jetzigen grün-roten Landesregierung stammen, beibehalten wird.

Die Initiative AtomErbe Obrigheim hat den baden-württembergischen Umweltminister aufgefordert, diese großzügige Praxis der Freigabe zu beenden und im Sinne des Minimierungsgebotes des Strahlenschutzes höhere Anforderungen an Sicherheit und Risikovorsorge zu stellen. Zumindest sollten die Vorgaben der Strahlenschutzverordnung eingehalten werden. Im Antwortschreiben des Umweltministeriums wird aber die bisherige Vorgehensweise gerechtfertigt, weil die "maximale Dosis" von 10 Mikrosievert pro Jahr eingehalten würde.

Die Initiative AtomErbe Obrigheim findet es skandalös, dass beim Rückbau des AKW Obrigheim noch nicht einmal die Vorgaben der Strahlenschutzverordnung eingehalten werden. Nach ihrer Meinung sind die dort vorgesehenen Grenzwerte bereits zu hoch und müssten im Interesse der Menschen niedriger sein. Sie fordert, dass der Müll vorläufig im Kraftwerk Obrigheim bleibt, bis klar ist, wie viel insgesamt, auch bei anderen Atomanlagen, anfällt und was langfristig damit passieren soll.

Breite gesellschaftliche Debatte zu den Hinterlassenschaften der Atomwirtschaft gefordert

Vom Betreiber EnBW wird mit dem Beispiel Obrigheim für weitere Rückbauvorhaben geworben. Auch andere AKW-Besitzer werden sich daran orientieren, da es offensichtlich auf Kostenminimierung angelegt ist statt auf Strahlungsminimierung. Neben dem hier beschriebenen Vorgehen zur Freigabe des Atomkraftwerks gibt es weitere kritikwürdige Themen beim Rückbau des AKW Obrigheim. Die Initiative AtomErbe Obrigheim unterstützt vier KlägerInnen, die sich in einem seit 2011 laufenden Prozess auch juristisch gegen die großzügigen Genehmigungen für den Rückbau des AKW Obrigheim wehren und für mehr Transparenz, Sicherheit und Risikovorsorge streiten. Es ist der erste Prozess zum Thema Stilllegung und Abbau eines Atomkraftwerks.

Wichtig ist nun, an allen Standorten von Atomanlagen darauf zu achten, wie neben dem hochradioaktiven Atommüll mit den anderen Materialien umgegangen wird und wie viel davon in die Umwelt gelangt. Die Initiative Atom-Erbe Obrigheim fordert, dass alles, was zu einer Atomanlage gehört, am Standort bleibt, bis in einer breiten gesellschaftlichen Debatte der Umgang mit den Hinterlassenschaften der Atomwirtschaft geklärt ist.


Der Artikel ist auf der Website des Strahlentelex zu finden unter
http://www.strahlentelex.de/Stx_14_662-663_S08-11.pdf

[1] Gertrud Patan, Initiative AtomErbe Obrigheim,
patan@atomerbe-obrigheim.de, www.atomerbe-obrigheim.de

[2] Pressemitteilung des baden-württembergischen Umweltministers vom 28.01.2014

[3] "Leitfaden zur Freigabe nach § 29 StrlSchV" des Landes Baden-Württemberg, Stand 1.8.2007, S. 84,
http://um.baden-wuerttemberg.de/fileadmin/redaktion/m-um/intern/Dateien/Dokumente/3_Umwelt/Kernenergie/Dokumente/Berichte/Leitfaden_zur_Freigabe.pdf

[4] Schreiben des baden-württembergischen Umweltministeriums an die Initiative AtomErbe Obrigheim vom 02.06.2014

[5] Vortrag bei der Atommüll-Konferenz in Kassel am 8. Februar 2014

[6] Energiewerke Nord GmbH

[7] vergl. "Leitfaden zur Freigabe nach § 29 StrlSchV" des Landes Baden-Württemberg, a.a.O., Abschnitt 4.2, Tabellen 4.2.1 und 4.2.2

[8] Messstrategien für die In-situ-Gammaspektrometrie bei Freimessungen von Gebäuden und Bodenflächen nach § 29 StrlSchV, Stand 31.1.2007,
http://um.baden-wuerttemberg.de/fileadmin/redaktion/m-um/intern/Dateien/Dokumente/3_Umwelt/Kernenergie/Dokumente/Berichte/Messstrategien_fuer_die_In-situ-Gammaspektrometrie.pdf

[9] Vortrag zur Kommunalwahl in Baden-Württemberg am 20. Mai 2014 in der Festhalle Aglasterhausen

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Quelle:
Strahlentelex mit ElektrosmogReport, August 2014, Seite 8-11
Herausgeber und Verlag:
Thomas Dersee, Strahlentelex
Waldstr. 49, 15566 Schöneiche bei Berlin
Tel.: 030/435 28 40, Fax: 030/64 32 91 67
E-Mail: Strahlentelex@t-online.de
Internet: www.strahlentelex.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Oktober 2014