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ALTLASTEN/011: Bitterfeld - Ein Bypass zur Grundwasserreinigung (UFZ-Newsletter)


Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
UFZ-Newsletter März 2010

Ein Bypass zur Grundwasserreinigung


Bitterfeld, einst Symbol für Umweltverschmutzung und marode Wirtschaft im Osten Deutschlands, hat sich dank Stilllegung veralteter Industrie und milliardenschwerer Rekultivierungsleistungen in eine lebenswerte Region mit attraktiver Seenlandschaft und moderner Chemieindustrie verwandelt. Dennoch gibt es sie noch - die Altlasten. Die Rede ist von Grundwasser, das mit der Flutung zahlreicher Braunkohletagebaue in Bewegung geraten ist und komplexe Schadstoffgemische mobilisiert. Das ist kein Grund zur Panik, denn Grundwasser ist sehr langsam unterwegs und spielt in Bitterfeld für die Trinkwassergewinnung ohnehin keine Rolle. Allerdings: Von allein verschwindet der unterirdische Chemikaliencocktail leider nicht. Im Gegenteil: An der einen oder anderen Stelle tritt er zu Tage - in Kellern oder in Oberflächengewässern. Deshalb arbeitet zur Grundwasserhaltung und Gefahrenabwehr seit rund fünf Jahren in Bitterfeld eine Grundwasserreinigungsanlage - beauftragt durch die MDSE Mitteldeutsche Sanierungs- und Entsorgungsgesellschaft, ausgelegt, errichtet und betrieben durch die Bilfinger Berger Umweltsanierung GmbH (BBU).

Die Anlage kann stündlich bis zu 200 Kubikmeter extrem hoch und komplex kontaminiertes Grundwasser reinigen, das aus zirka 30 Einzelbrunnen gefördert wird. Die Hauptschadstoffe sind chlorierte Kohlenwasserstoffe (CKW). Das Grundwasser soll nach dem Stand der Technik in zwei Schritten gereinigt werden: durch Strippung (Ausblasen) mit Luft und durch Adsorption an Aktivkohle. Doch seit die Anlage errichtet wurde, sind alle Versuche, die Strippung kontinuierlich zu betreiben, gescheitert. Die gesamte Reinigungsleistung lastet auf der Aktivkohlestufe - entsprechend hoch sind der Aktivkohleverbrauch und die Behandlungskosten.

Ursache dieser unbefriedigenden Situation sind nicht die Hauptschadstoffe wie Tetrachlorethan oder Chlorbenzol, sondern eine eher selten anzutreffende Schwefelverbindung - Schwefelkohlenstoff (CS2) - die mit einer vergleichsweise geringen Konzentration von nur 1 mg/l im Mischwasser enthalten ist. Schwefelkohlenstoff wird mit dem Luftstrom aus dem Grundwasser ausgestrippt und gemeinsam mit den flüchtigen CKW oxidiert. Dabei entsteht Schwefelsäure, die zu einer schnellen Korrosion von Katalysator und Reaktor führt. Das Problem der Schwefelsäurekorrosion ist lange bekannt. Deshalb werden Strippgase vor der Oxidation entschwefelt. Das gelingt für saure Schwefelverbindungen, wie Schwefelwasserstoff oder Merkaptane, nicht jedoch für Schwefelkohlenstoff.

Wissenschaftler des UFZ-Departments Technische Umweltchemie und der TU Darmstadt haben bei der Suche nach einer ökonomisch tragfähigen Problemlösung einen vollkommen neuen Verfahrensansatz entwickelt, der es gestattet, nahezu beliebige schwefelhaltige Strippgase unter moderaten Reaktionsbedingungen vollständig zu entschwefeln. Das Verfahren beruht auf einer Reaktion zwischen metallischem Kupfer und den Schwefelverbindungen bei 150°C, wobei die Schwefelverbindung vollständig aus dem Luftstrom entfernt wird.

Ist die Schwefelbindungskapazität des Kupferkontaktes erschöpft, kann dieser durch eine Waschprozedur regeneriert werden. Die besondere Herausforderung bei diesem Verfahrensschritt besteht darin, wirklich nur die Schwefelverbindungen zu entfernen, ohne dabei die Hauptmenge der CKW umzusetzen und dabei störende Salzsäure zu erzeugen. Der unorthodoxe Ansatz, metallisches Kupfer in einem heißen, feuchten und stark korrosiven Luftstrom einzusetzen, ist neu. Das Verfahren wurde vom UFZ zum Patent angemeldet.

In Zusammenarbeit mit BBU soll die selektive Entschwefelung nun unter realen Bedingungen im Pilotmaßstab erprobt und optimiert werden. Dazu werden die Wissenschaftler den so genannten Treatment Train, eine Container basierte, mobile Versuchsanlage des UFZ, im Bypass zur Großanlage in Betrieb nehmen. Häufig liegt für eine praxistaugliche technische Lösung der Teufel nicht im Prinzip, sondern im Detail. Diese Details gilt es zu beherrschen, denn Ziel der laufenden Erprobung ist es, den neuen Verfahrensschritt in den Betrieb der Großanlage zu implementieren, damit diese auch die nächsten Jahre und womöglich Jahrzehnte ressourcenschonend und wirtschaftlich effizient betrieben werden kann.   Doris Böhme

UFZ-Ansprechpartner:
Prof. Dr. Frank-Dieter Kopinke
Dept. Technische Umweltchemie
Telefon: 0341/235-1234
e-mail: frank-dieter.kopinke@ufz.de

Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:
Luftbildaufnahme der Grundwasserreinigungsanlage der Bilfinger Berger Umweltsanierung GmbH. Die beiden großen Grundwassertanks der MDSE haben ein Volumen von jeweils 6.500 Kubikmetern. Um Sanierungstechnologien für unterschiedlich belastete Grundwässer zu erproben, werden die SAFIRA Treatment Trains des UFZ eingesetzt. Sie können flexibel ausgestattet werden und sind einfach an Ort und Stelle des Schadens zu transportieren. (Foto: Robert Köhler / UFZ)


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Quelle:
UFZ-Newsletter März 2010, S. 5
Herausgeber:
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. März 2010