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ATOM/839: Atomkraft in Finnland - Neubau eines EPR-Reaktors auf Olkiluoto (ROBIN WOOD-Magazin)


ROBIN WOOD-Magazin Nr. 100/1.09
Zeitschrift für Umweltschutz und Ökologie

energie
Atomkraft in Finnland

Von Hanno Böck und Falk Beyer


Die Nachricht machte 2003 Schlagzeilen: Nach langer Zeit ist wieder der Bau eines neuen Atomkraftwerks in einem westlichen Industrieland geplant. Ein Reaktor neuen Typs, der europäische Druckwasserreaktor EPR, soll auf der kleinen Insel Olkiluoto entstehen.

Die Geschichte des EPR (European Pressurized Water Reactor) reicht schon etwas länger zurück - Mitte der 90er Jahre gab es beispielsweise bereits konkrete Standortvorschläge in Bayern bei Marienberg oder Viereth am Main [1]. Mit den zunehmenden Protesten gegen CASTOR-Transporte und dem Skandal um verstrahlte CASTOR-Behälter 1998 verschwanden diese Pläne in der Schublade. Edmund Stoiber kündigte im Juni 1998 an, in Bayern würden keine weiteren Atomkraftwerke geplant. Der EPR existierte also lange Zeit nur auf dem Papier - das Kooperationsprojekt der deutschen Firma Siemens und der französischen Framatome fand weltweit keine Abnehmer.

Dies änderte sich 2003. In Finnland wurde der Bau eines EPR-Reaktors mit 1600 Megawatt auf der Insel Olkiluoto beschlossen, Betreiber ist die Firma Teollisuuden Voima Oyj (TVO) [2]. Ursprünglich sollte der Reaktor Olkiluoto 3 im Jahr 2009 in Betrieb gehen. Dieser Zeitplan ist längst aufgegeben, die Baufirma Avera gibt inzwischen 2012 als mögliches Startdatum an [3]. Auch die Kosten, die ursprünglich auf maximal 2,5 Milliarden Euro festgesetzt waren, steigen: Inzwischen geht der Betreiber von über fünf Milliarden Euro aus. Und obwohl der AKW-Lieferant Areva den Bau zum Festpreis über 3,2 Mrd. Euro anbot, hat die Firma nun das Schiedsgericht der Internationalen Handelskammer angerufen, um einen Teil der Mehrkosten auf den Betreiber TVO abzuwälzen: Laut finnischen Medien unter anderem mit der Begründung, dass die finnische Strahlenschutzbehörde übertriebene Sicherheitsauflagen erlassen habe [4]. Im französischen Flamanville, wo ein EPR gebaut wird, gibt es ebenfalls Zeit- und Sicherheitsprobleme - die französische Atomaufsicht stoppte vor kurzem die Bauarbeiten aufgrund von Sicherheitsbedenken bei der Konstruktion des Betonfundaments.

Möglicherweise ereilt den EPR ein ähnliches Schicksal wie schon so viele Projekte der Atomindustrie für den »Atomreaktor der Zukunft«. Erinnert sei an den Schnellen Brüter in Kalkar oder den Thorium-Hochtemperatur-Reaktor (THTR) in Hamm-Uentrop - sie endeten als überteuerte Bauruinen, weil die technischen Probleme eine Fertigstellung verhinderten.

Ebenfalls in Olkiluoto soll ein Endlager für hochradioaktiven Atommüll entstehen. An beiden finnischen AKW-Standorten (Olkiluoto und Loviisa) existieren bereits Lager für schwachund mittelradioaktiven Abfall. Trotz der Probleme am Standort Olkiluoto wird in Finnland über den Bau von weiteren AKWs diskutiert - ein vierter Block in Olkiluoto, ein dritter in Loviisa, eventuell ein weiterer, für den die Standorte Ruotsinpyhtää, Simo und Pyhäjoki im Gespräch sind. Den möchte die Firma Fennovoima mit E.ON als größtem Anteilseigner bauen. Hierfür soll ein Reaktor vom Typ AES-91 der russischen Firma Atomenergoprojekt zum Einsatz kommen.

In Finnland befinden sich alle Atomkraftwerke direkt am Meer und entnehmen hier ihr Kühlwasser. Schon heute ist die Ostsee das am stärksten mit Radioaktivität belastete Meer der Welt [5], in erster Linie verursacht durch die Kraftwerke in Schweden und Finnland.

Neben dem weiterhin erklärten Willen der finnischen Politik und der Energiekonzerne neue Atomkraftwerke zu bauen, sind seit 2005 mehrere Projekte für neue Uranminen in Finnland (und auch im Nachbarland Schweden) bekannt geworden. Uranabbau gilt als der gefährlichste und schmutzigste Teil der Produktion von Atomstrom - so werden in vielen europäischen Ländern zwar Atomkraftwerke betrieben, die Folgen des Uranabbaus haben jedoch andere zu tragen. In Deutschland existierte eine Uranmine in der ehemaligen DDR am Standort Wismut - die Strahlenbelastung ist bis heute so groß, dass eine Ausnahmeregelung für die Wismut-Region von der deutschen Strahlenschutzverordnung existiert [6].

Die meisten Uranminen befinden sich auf dem Gebiet indigener Völker, etwa in Australien, in Kanada oder den USA. Größere Bekanntheit erlangte die Auseinandersetzung um die Mine Jabiluka im australischen Kakadu-Nationalpark. Die Abbauarbeiten wurden 2002 nach jahrelangen Protesten gestoppt. Ähnlich ist die Situation in Finnland - während viele der geplanten Uranminen inzwischen wieder aufgegeben wurden [7], befinden sich die übrigen Standorte meist im dünn besiedelten Lappland auf dem Gebiet der Saami.

Im Sommer 2008 fand am Standort Olkiluoto ein internationales Camp von AtomkraftgegnerInnen statt. Im Oktober traf man sich nahe Loviisa zum Nuclear weekEND. Am 19. Oktober gab es eine kleine Demonstration zum Kraftwerk. Vor allem aber dienten die Veranstaltungen mit Beteiligung aus Deutschland, Israel, Russland, Schottland, England, Dänemark, Schweden und Frankreich dazu, internationale Kontakte zu knüpfen und den Widerstand zu stärken. Im Projekt Nuclear Heritage [8] wird versucht, den internationalen Widerstand besser zu vernetzen. Die AtomkraftgegnerInnen aus den verschiedenen Ländern arbeiten an einem Wiki zum Thema mit.

[1] www.biu-hannover.de/atom/unsicher/teil3.htm
[2] http://de.wikipedia.org/wiki/Kernkraftwerk_Olkiluoto
[3] www.tvo.fi/www/page/2959
[4] www.tvo.fi/www/page/2975/ und www.taz.de/1/zukunft/wirtschaft/artikel/1/akw-aufpreis-umstritten
[5] www.anti-atom-aktuell.de/archiv/186/186ostsee.html
[6] www.gfstrahlenschutz.de/docs/wismut.pdf
[7] www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,481431,00.html
[8] www.nuclear-heritage.net

Hanno Böck und Falk Beyer
Kontakt:hanno@hboeck.de

Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
- AKW Loviisa im Süden Finnlands
- Die Uranminen sollen vor allem auf dem Gebiet der Saami in Lappland entstehen
- Protest gegen die finnische Atompolitik im Oktober 2008
Fotos: Hanno Böck


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Quelle:
ROBIN WOOD-Magazin Nr. 100/1.09, S. 32-33
Zeitschrift für Umweltschutz und Ökologie
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. April 2009