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ATOM/865: Atomenergie ist nicht sicher! (ROBIN WOOD-Magazin)


ROBIN WOOD-Magazin Nr. 101/2.2009
Zeitschrift für Umweltschutz und Ökologie

energie

Atomenergie ist nicht sicher!


Pannen und Störfälle, die häufig auch zu Notabschaltungen des gesamten Reaktors führen, sind in den deutschen Atomkraftwerken an der Tagesordnung. Allein in den Monaten Juli bis September 2008 mussten die deutschen Atommeiler 21 Störfälle melden. Im Jahr 2007 waren es insgesamt 118 Störfälle. Weitere 20 ereigneten sich in Anlagen zur Ver- und Entsorgung von radioaktiven Materialien.

Automatische Notabschaltungen sind eine schwere Belastung und Herausforderung für Technik und Materialien in einem Atomreaktor. Innerhalb kürzester Zeit muss ein AKW bei einer solchen Notabschaltung von Volllastbetrieb auf Null runter gefahren und die nukleare Kettenreaktion zuverlässig unterbrochen werden. Zahlreiche Sicherheitseinrichtungen müssen automatisch angefahren, die Wärme im Reaktor abgeführt und die Kühlung aufrecht erhalten werden. Ein Vorgang, der mit einem voll beladenen Lkw verglichen werden kann, der mit einer Vollbremsung auf der Autobahnzum Stehen gebracht wird.

Immer wieder kommt es zu außerordentlich schweren Störfällen, die deutlich machen, dass das Risiko der Atomenergie nicht zu beherrschen ist und die gravierende Auswirkungen für Mensch und Umwelt haben.


Wasserstoffexplosionen in deutschen AKW

Brunsbüttel 2001: Am 14. Dezember 2001 zerfetzt im AKW Brunsbüttel eine Knallgasexplosion ein zehn Zentimeter dickes Stahlrohr in unmittelbarer Nähe des Reaktordruckbehälters. Bruchstücke des Rohres fliegen wie Geschosse umher und richten auch in der Umgebung Schäden an. Nur durch einen Zufall werden keine sicherheitsrelevanten Einrichtungen getroffen. Ein einfaches Rückschlagventil, das bei der Explosion zudem beschädigt wird, verhindert das Ausströmen des unter hohem Druck stehenden radioaktiven Dampfes. Das Ausströmen hätte den Verlust von Kühlmittel bedeutet, was zu einer Kernschmelze, also dem Super-GAU, führen kann.

Erschreckend ist das Verhalten der Bedienmannschaft: Obwohl Signale in der Leitwarte den Störfall anzeigen und sie auch die Erschütterung durch die Explosion registrieren, gehen sie von einer harmlosen Leckage aus - sperren ein Ventil - und der Reaktor bleibt weiter am Netz. Erst zwei Monate später, als die Aufsichtsbehörde auf eine Inspektion drängt, wird die Explosion und ihre Folgen entdeckt. Endlich wird der Reaktor abgeschaltet. Insgesamt 13 Monate dauert der Betriebsstillstand, einige Mitarbeiter werden aufgrund des schweren Fehlverhaltens versetzt. Im Februar 2002 darf der Schrottreaktor wieder ans Netz. Nach der schweren Wasserstoff-Explosion im AKW Brunsbüttel im Dezember 2001 wird bekannt, dass dies nicht der erste Störfall dieser Art in einem deutschen Reaktor war. Zwischen 1987 und 1999 hat es demnach in den drei deutschen Siedewasserreaktoren Brunsbüttel, Krümmel und Gundremmingen ähnliche Explosionen gegeben.


Biblis: Ahnungslos auf dem Weg zum Super-Gau

Am 16.-17. Dezember 1987 schrammt das AKW Biblis-A bei einem Kühlmittelverlust-Störfall nur knapp an einem SuperGAU vorbei. Betreiber und Aufsichtsbehörde verschweigen diesen schweren Störfall in einem deutschen AKW. Erst ein Jahr nach dem Unfall, im Dezember 1988, wird nach dem Bericht einer US-amerikanischen Zeitung die Öffentlichkeit informiert.

Ein Ventil, das das unter hohem Druck stehende radioaktive Kühlwasser des Primärkreislaufes vom Notkühlsystem trennt, versagt beim Anfahren des Reaktors und schließt nicht. Obwohl eine Warnlampe ständig leuchtet, bemerkt die Betriebsmannschaft diesen Fehler über 16 Stunden nicht, bzw. hält ihn für einen Defekt der Anzeige. Erst die dritte Schicht bemerkt den Fehler.

Statt den Reaktor jedoch sofort herunterzufahren, versucht die Betriebsmannschaft mit einem Trick, das Ventil zu schließen. Ein Kontrollventil, das den Primärkreislauf von einer Messleitung trennt, die für den hohen Druck nicht ausgelegt ist, wird absichtlich geöffnet. So soll das defekte Ventil "durchgespült" werden. Aber das misslingt. In der Folge strömen 107 Liter radioaktives Kühlwasser aus, gelangen in den Ringraum außerhalb des Sicherheitsbehälters und von dort in die Atmosphäre. Erst danach gelingt es, das Kontrollventil gegen den hohen Druck wieder zu schließen. Dabei gingen die Reaktorfahrer ein enorm hohes Risiko ein: Hätte sich das Ventil aufgrund des hohen Drucks nicht geschlossen, wäre die Messleitung möglicherweise geplatzt. Ein Verlust großer Mengen Kühlmittel wäre unvermeidlich gewesen und es hätte zu einer Kernschmelze und damit zum Super-GAU kommen können.


Atomexplosion in Japan

Am 30. September 1999 kommt es in der japanischen Urananlage in Tokaimura zu einem überaus schweren Unfall, den dieInternationale Atomenergiebehörde inzwischen in die Stufe fünf der bis zur Stufe sieben reichenden Skala eingeordnet hat. Um 10:35 Uhr füllen Mitarbeiter der Uranfabrik der Firma JCO in Tokai 16 Kilogramm des auf rund 19 Prozent angereicherten Uran in einen Tank. Dabei ignorieren sie sämtliche Sicherheitsvorschriften und schütten das Uran in Eimern in einen mit Salpetersäure gefüllten Tank. Aufgrund der viel zu hohen Menge an spaltbarem Material kommt es zu einer unkontrollierten Kettenreaktion. Unterstützt durch das Kühlwasser in den Tanks "zündet" das Uran und baut in Sekundenschnelle eine enorm hohe radioaktive Gamma- und Neutronenstrahlung auf. Mehrere Arbeiter werden hochgradig verstrahlt. Um die nun selbstständig ablaufende Kettenreaktion zu stoppen, muss die Wasserzufuhr unterbrochen und Bor eingefüllt werden. Wegen der hohen Strahlung können die Arbeiter lediglich für drei Minuten in die Anlage. Dennoch bekommen auch sie hohe Strahlendosen ab. 18 Arbeiter sind an diesen Maßnahmen beteiligt.

Insgesamt werden mindestens 55 Arbeiter, Feuerwehrleute und Sanitäter einer erhöhten Strahlenbelastung ausgesetzt. Auch in der Umgebung außerhalb der Anlage steigt die Radioaktivität an. Die Arbeiter brauchen 20 Stunden, bis es gelingt, die Kettenreaktion zu stoppen. Mindestens zwei Mitarbeiter der Firma sind an den Strahlenschäden gestorben.


Der Super-Gau von Tschernobyl

Am 26. April 1986 zerreisst nahe der ukrainischen Stadt Pripjat eine mächtige Explosion den Block 4 des Atomkraftwerks Tschernobyl. Radioaktive Teile werden 1.000 Meter hoch in die Luft geschleudert, das Feuer im Reaktor breitet sich schnell aus. Eine radioaktive Wolke zieht Richtung Schweden und hat am 27. April das Nordkap erreicht. Aus Schweden kommen die ersten Meldungen über erhöhte Radioaktivitätswerte in der Luft. Endlich, am 28. April 1986 bestätigt die Regierung in Moskau den Super-GAU in einem ukrainischen Atomkraftwerk. In der direkten Umgebung des Reaktors kommt die Evakuierung der Menschen nur schleppend in Gang: Erst nach zehn Tagen haben alle Menschen im Umkreis von 30 Kilometern ihre Häuser verlassen. Zu diesem Zeitpunkt hat sich bereits eine radioaktive Wolke über Europa ausgebreitet. In der Bundesrepublik wird radioaktives Gemüse und Milch beschlagnahmt. Eltern werden aufgefordert, ihre Kinder nicht draußen spielen zu lassen.

Die Bilanz über 20 Jahre nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl ist erschreckend: Durch den Super-GAU wurde in der ehemaligen Sowjetunion ein Gebiet von rund 150.000 Quadratkilometern radioaktiv verseucht, eine Fläche doppelt so groß wie das Bundesland Bayern. In diesem Gebiet, das sich über die heutige Ukraine, Weißrussland und Russland erstreckt, wurden über eine Millionen Menschen evakuiert. Die Anzahl derjenigen, die an den Folgen der Katastrophe starben, ist unbekannt. Schätzungen reichen von einigen Tausend bis 300.000 Toten. Doch nicht nur in den ehemaligen Sowjetrepubliken sind die Folgen der Reaktorkatastrophe verheerend, auch in anderen Teilen Europas ist die radioaktive Verstrahlung noch heute allgegenwärtig.


Harrisburg: Anfang vom Ende

Am 27. März 1979 kommt es im US-amerikanischen Reaktor Three Mile Island bei Harrisburg zu einer atomaren Katastrophe. Nach einem Störfall sinkt der Kühlmittelstand im Reaktor. Doch die Reaktormannschaft deutet die Lage falsch und geht vom Gegenteil aus. Aus ihrer Sicht ist der Wasserstand im Reaktor zu hoch, so dass sie die Kühlmittelnachfuhr unterbrechen. Der Wasserstand sinkt dadurch immer weiter ab und Teile der hochradioaktiven Brennelemente liegen inzwischen frei, werden nicht mehr gekühlt. Es kommt zu einer teilweisen Kernschmelze: Der Uranbrennstoff erhitzt sich und beginnt zu schmelzen. Gleichzeitig baut sich im Sicherheitsbehälter eine Wasserstoffwolke auf. Kommt diese mit Sauerstoff in Verbindung, könnte sie explodieren und das gesamte Reaktorgebäude in die Luft sprengen. Mehrfach muss der steigende Druck im Reaktor dadurch reduziert werden, dass radioaktiver Dampf über Ventile an die Umwelt abgegeben wird.

Zahlreiche Meßinstrumente versagen in Folge des Störfalls und die Reaktormannschaft hat keine eindeutigen Informationen über den Zustand der Anlage. Mehre Tage kämpfen Krisenstäbe und Experten verzweifelt, um die Verhältnisse unter Kontrolle zu bringen und für ausreichend Kühlung des Reaktors zu sorgen. Die Reaktorkatastrophe von Harrisburg war der Anfang vom Ausstieg aus der Atomenergie. In den USA brach das Atomprogramm zusammen und bis heute ist kein neuer Atommeiler mehr gebaut worden.


Forsmark, Schweden: Atomarer Blindflug

Am 26. Juli 2006 kommt es im schwedischen Atomkraftwerk Forsmark beinahe zur Kernschmelze. Nur sieben Minuten hätten gefehlt, bis die Bedienmannschaft in Forsmark die Kontrolle über den Reaktor vollständig verloren hätte und es unweigerlich zu einer Kernschmelze gekommen wäre, stellte Lars-Olov Högelund, lange Zeit als Chef der Konstruktionsabteilung beim staatseigenen Energiekonzern Vattenfall, nach dem Störfall fest.

Bei Wartungsarbeiten in einem Umspannwerk außerhalb des AKW kommt es zu einem Kurzschluss. Zwei der drei Reaktoren am Standort Forsmark gehen dadurch per Schnellabschaltung vom Netz. Jetzt müssen die Atommeiler per Eigenstrom versorgt werden. Dazu stehen eigene Generatoren zur Verfügung. Sie müssen den Strom liefern, um die Kühlung des Reaktors aufrecht zu erhalten und die Sicherheitseinrichtungen zu versorgen, die die Kernspaltung unterbrechen. Betroffen ist auch das Überwachungssystem, das die Bedienmannschaft mit den Informationen über den Zustand der Anlage informiert.

Doch die werkseigene Stromversorgung versagt. Der NetzKurzschluss hat offenbar auch auf innere Systeme des AKW durchgeschlagen. Zwei der vier Notstromaggregate versagen den Dienst und laufen nicht an. Weil auch das Überwachungssystem versagt, hat die Betreibermannschaft für rund 20 Minuten keine Informationen über die tatsächlichen Verhältnisse im Reaktor. Sie befinden sich im Blindflug. 20 Minuten dauert es, bis die Notstromversorgung doch noch in Gang kommt und die Kühlsysteme mit Strom versorgt. Sieben Minuten später wäre der Super- GAU nicht mehr aufzuhalten gewesen.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

(Fotos: argus/Raupach) Brunsbüttel
Dieses explodierte Stahlrohr im AKW Brunsbüttel wird erst zwei Monate später entdeckt


Der Supergau von Tschernobyl hat in der ehemaligen Sowjetunion ein Gebiet von rund 150.000 Quadratkilometern verseucht
(Foto: dpa)


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Quelle:
ROBIN WOOD-Magazin Nr. 101/2.2009
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Juli 2009