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CHEMIE/239: Schöne bunte Plastikwelt - Müllsuppe (ROBIN WOOD-Magazin)


ROBIN WOOD-Magazin Nr. 104/1.2010
Zeitschrift für Umweltschutz und Ökologie

titel
Müllsuppe

Von Sabine Genz, Berlin


Eine traumhafte japanische Insel namens Tsushima, die Insel der Natur, bietet alljährlich ein beeindruckendes Schauspiel. Einmal im Jahr finden sich hunderte Freiwillige dort ein, um gemeinsam die zauberhaften Strände wieder freizulegen. Tonnenweise wird dort nämlich Plastikmüll angeschwemmt. 120 Lastwagenladungen kommen innerhalb weniger Tage zusammen. Dann sieht es für einige Stunden wirklich sagenhaft schön aus auf Tsushima - bevor der nächste Müll angetrieben wird.

Weltweit werden jedes Jahr 200 bis 240 Millionen Tonnen Plastik produziert: Robust, langlebig und billig - einfach zu billig, um sorgsam damit umzugehen. Unvorstellbare Mengen werden einfach ins Meer entsorgt. 675 Tonnen Müll werden weltweit täglich (!!!) direkt in die Ozeane gekippt, die Hälfte davon ist aus Plastik. Zusätzlich gelangen jährlich rund sechs Millionen Tonnen Kunststoffmüll über die Flüsse dorthin. Plastikmüll stellt für den marinen Lebensraum aber nicht nur ein ästhetisches Problem dar. Eine aktuelle Studie des United Nations Environmental Programm (UNEP) stellt fest, dass Plastikmüll der größte Zerstörer des natürlichen Gleichgewichts der Ozeane ist. Die Studie spricht von bis zu 18.000 Plastikteilen, die in jedem Quadratkilometer der Ozeane treiben. 267 verschiedene Tierarten fallen nachweislich diesem Müll im Meer zum Opfer. Er ist unter dem Einfluss von Sonne, Wind und Wellen teilweise so fein zerrieben, dass er für Plankton gehalten, gefressen und auch an den Nachwuchs verfüttert wird. Mit tödlichen Folgen für über eine Million Seevögel jährlich. Auch Schildkröten, Robben, Fische und Krebse fressen Plastikteile und verenden qualvoll. Jährlich sterben allein etwa 100.000 Meeressäuger am Plastikmüll.

North Pacific Gyre

An jedem Strand der Welt ist Plastik zu finden - diverser Kunststoffmüll und Pellets, aber auch bereits so fein zerrieben, dass er von Sand nicht mehr zu unterscheiden ist.

Wenn wir also noch Sand in den Schuhen von Hawaii haben, besteht dieser aus einem gewissen Teil aus Plastik. Im Falle von Hawaii wahrscheinlich sogar aus einem nicht unbeträchtlichen Teil, denn im Nordostpazifik, zwischen Kalifornien und Hawaii, hat sich in der im Uhrzeigersinn drehenden Meeresströmung ein gigantischer, nahezu geschlossener Müllwirbel gebildet, drei Millionen Tonnen schwer und so groß wie Mitteleuropa. Seit 60 Jahren wächst und wächst er, denn Nachschub bleibt nie aus. Nach Angaben von Greenpeace fährt Müll, der neu hinzukommt, bis zu 16 Jahre in diesem Gebiet Karussell. Auf Satellitenbildern ist der Müllstrudel nicht zu erkennen, weil die meisten Abfälle lichtdurchlässig sind und bis zu zehn Metern unter der Wasseroberfläche schwimmen. Das Gebiet wird North Pacific Gyre genannt. 1994 wurde der gigantische Müllstrudel von Charles Moore, Erbe eines US-Ölunternehmens entdeckt, dokumentiert und bekannt gemacht. Moore gründete daraufhin die Algalita Marine Research Foundation, die sich für den Schutz der Ozeane und Gewässer engagiert. Die Stiftung erforscht bis heute den North Pacific Gyre und die Auswirkungen dieser Müllsuppe auf den marinen Lebensraum, säubert verschmutzte Gebiete und leistet wichtige Arbeit in der Umweltbildung. Im Sommer 2008 erreichte Algalita für das Thema eine große Öffentlichkeit, als AktivistInnen ein Floß namens "Junk" auf die 2.300 Seemeilen lange Reise von Kalifornien nach Hawaii schickten. Das Floß bestand aus insgesamt 15.000 Plastikflaschen, als Kajüte diente der ausrangierte Rumpf einer Cessna. AlgalitaAktivist und Flößer Marcus Erikson vertritt die Ansicht, dass Recycling keine Lösung des Plastikmüllproblems darstellt, denn die Recycling-Programme zeigen im Vergleich zur Menge des hergestellten Plastiks nur marginalen Erfolg. "Das Zeitalter der Plastik-Einwegverpackungen muss einfach aufhören!", sagt er. Doch Widerstand gegen eine Industrie, die jährlich ca. 800 Milliarden Euro umsetzt - in Europa, wo ca. ein Viertel des weltweit produzierten Plastiks verbraucht wird, erwirtschafteten Hersteller und Verwerter im Jahr 2008 ungefähr 13 Milliarden Euro - ist nicht einfach, (siehe auch Kasten rechte Seite). Auch im Südpazifik, im Atlantik und im Indischen Ozean dreht sich Plastikmüll im Kreis, aber längst nicht in solch gigantischem Ausmaß. Verheerende gesundheitliche Folgen kann die Müllsuppe letztendlich auch für Menschen haben, denn der Plastikmüll fungiert als Schwamm für Umweltgifte wie DDT oder PCB. Dr. Hideshige Takada von der Agrarwissenschaftlichen Technischen Universität Tokio hat an der Oberfläche von Plastikmüll-Pellets Giftkonzentrationen gefunden, die bis zu einer Million Mal höher sind als das sie umgebende Wasser (Bioakkumulation). Über die Nahrungskette reichern sich diese Gifte auch in Fischen an, die wiederum auf unseren Tellern landen. Selbst wenn die Menschheit morgen damit aufhören würde, Plastik zu produzieren - die vielen Millionen Tonnen, die bislang in die Ozeane gelangt sind, werden noch Jahrhunderte mit den Strömungen um die Welt treiben.

Weiterführende Links:
www.unep.org/regionalseas/marinelitter/publications/docs/Marine_ Litter_A_Global_Challenge.pdf www.algalita.com

Sabine Genz, Berlin
Kontakt: genz@united-one.com

Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
- In den Ozeanen findet man zur Zeit ungefähr sechsmal mehr Plastik als Plankton
- Plastikmüll ist der größte Zerstörer des natürlichen Gleichgewichts der Ozeane


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Plastik ist Big Business

Laut einer Studie von Plastics Europe, einer der führenden europäischen Wirtschaftsverbände, wurden in Europa im Jahr 2008 rund 48,5 Millionen Tonnen Plastik verbraucht. Dabei werden 6% im Bereich Elektrik/Elektronik verwendet, 7% im Automobilsektor, 21% im Bauwesen und 28% im Bereich Freizeit und Medizin. Spitzenreiter ist mit 38% der Bereich Verpackungen. Gefolgt von Italien und Frankreich ist Deutschland mit 11,5 Millionen Tonnen der größte europäische Markt für Kunststoffe. Die meisten Verpackungsmaterialien werden nur einmal verwendet und entsprechend schnell entsorgt. Zwar ist die Verwertungsquote von Kunststoff seit den 90er Jahren deutlich gestiegen, alarmierend ist jedoch, dass sich der Anteil von mehrmals verwendbaren Verpackungen, z.B. für Getränke oder Joghurt, extrem verringert hat. Bei Mineralwasser hat sich der Mehrweganteil von 91% im Jahr 1993 auf 47% im Jahr 2007 verringert. Insgesamt ging der Anteil der Mehrwegverpackungen von Getränken in diesem Zeitraum von 74% auf 47% zurück.


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Quelle:
ROBIN WOOD-Magazin Nr. 104/1.2010, S. 10-11
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Februar 2010