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CHEMIE/425: Hormonelle Schadstoffe - Wal, Ameise, Mensch (BUND MAGAZIN)


BUND MAGAZIN - 4/2018
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland - BUND
Friends of the Earth Germany

Hormonelle Schadstoffe
Wal, Ameise, Mensch

von Manuel Fernandez


Obwohl hormonelle Schadstoffe weltweit als besonders riskant gelten, kann sich die EU bislang nicht dazu durchringen, sie wirksam einzuschränken.


In Industrieländern nehmen hormonell bedingte Erkrankungen seit 30 Jahren zu: seien es Hoden-, Brust- oder Schilddrüsenkrebs, fehlgebildete Geschlechtsorgane, Unfruchtbarkeit, verfrühte Pubertät, Lern- und Verhaltensstörungen bei Kindern oder chronisches Übergewicht, Immunschwäche und Diabetes. Hormonelle Schadstoffe treffen auch diverse Tiere: von Meeresschnecken über Greifvögel bis zu Eisbären und Walen.

Als Ursache gilt die Belastung der Umwelt mit Chemikalien, die das Hormonsystem beeinträchtigen. Diese »endokrinen Disruptoren« dienen als Zusatzstoffe in unzähligen Kunststoffprodukten: als Weichmacher in Teppichen, Kunstleder, Duschvorhängen oder Spielzeug aus PVC, in der Innenbeschichtung von Konservendosen, in Kassenbons oder als Flammschutzmittel in Polstermöbeln und Computergehäusen. Wir nehmen sie über die Nahrung, die Haut und die Atemluft auf.

Endokrine Schadstoffe bedrohen Föten, Kleinkinder und Pubertierende sowie Tiere in ihrer Entwicklung. Indem sie körpereigene Hormone in ihrer Funktion als Botenstoffe nachahmen, überlisten sie das Hormonsystem. Bisphenol A etwa ahmt das weibliche Östrogen so gut nach, dass es an dessen Rezeptoren in Organen und Gewebe andockt - der Grundstein für spätere Erkrankungen.

Wenig vorsorglich

Dabei hat sich gezeigt: Hormonelle Schadstoffe wirken schon in Konzentrationen von Milliardsteln (entspricht einem Wassertropfen auf 50 Millionen Liter Wasser). Sichere Grenzwerte kann es für sie nicht geben. Dazu kommt: Verschiedene Hormongifte können sich in ihrer Wirkung verstärken.

Deshalb fordern die Umweltverbände, endokrine Schadstoffe streng nach dem Vorsorgeprinzip zu regulieren und statt Einzelstoffen Gruppen verwandter Chemikalien zu erfassen. Über das Wie wird in der EU seit Jahren gestritten. 2013 zog die EU-Kommission Kriterien für eine vorsorgende Regulierung zurück, nachdem die Pestizid- und Chemieindustrie massiv protestiert hatte. Sie fürchtete mögliche Verbote mit negativen Folgen für das damals beratene Handelsabkommen TTIP. 2017 legte die Kommission dann deutlich schwächere Kriterien vor, die wiederum die Umweltverbände ablehnten.

Allgegenwärtig

Über tausend Stoffe wurden bislang als endokrine Disruptoren erkannt - eine »globale Bedrohung« laut Weltgesundheitsorganisation. Neben neuen Substanzen sind darunter auch längst verbotene Industriegifte wie das PCB, das früher in Transformatoren und Dichtungen Verwendung fand und seiner Langlebigkeit wegen weiter eine ernste Gefahr darstellt.

So drohen die Bestände von Schwertwalen in den Gewässern vor Brasilien, Gibraltar und den Kanarischen Inseln in den kommenden Jahrzehnten zu erlöschen. Hier werden kaum noch Jungwale beobachtet. Der Grund: Bis zu 1300 Milligramm PCB pro Kilo wurde im Fettgewebe der Orcas gemessen - schon 50 Milligramm reichen aus, um der Fortpflanzung und dem Immunsystem der Tiere zu schaden. Selbst in Ameisen des Amazonas wurden unlängst Weichmacher nachgewiesen. Ein weiterer Beleg für die Allgegenwart hormoneller Schadstoffe. Und die Notwendigkeit, sie streng zu limitieren.


12 TIPPS - Wie Sie hormonelle Schadstoffe vermeiden

1. Trinken Sie Leitungswasser statt Wasser aus Plastikflaschen.

2. Meiden Sie möglichst in Plastik verpackte Frischware sowie Konserven, die nicht als Bisphenolfrei gekennzeichnet sind.

3. Bewahren Sie Lebensmittel in Behältnissen aus Glas oder rostfreiem Stahl auf.

4. Verzichten Sie auf mikrowellenfestes Plastikgeschirr.

5. Bevorzugen Sie Textilien aus natürlichen Rohstoffen wie Ökobaumwolle und meiden Sie Kleidung mit Kunststoff-Applikationen.

6. Kaufen Sie Möbel aus massivem Holz oder Metall statt Pressspan.

7. Achten Sie beim Möbel- und Textilienkauf auf den Blauen Engel und andere Qualitätssiegel für Schadstofffreiheit (wie IVN- oder GOTS-Siegel).

8. Bevorzugen Sie Naturkosmetika und Hygieneprodukte ohne Parfum.

9. Nutzen Sie natürliche Reinigungsmittel wie Essig, Zitrone und Natron oder zertifizierte Naturprodukte.

10. Bevorzugen Sie Farben auf Mineralbasis mit dem EU-Ecolabel.

11. Meiden Sie Spielzeug aus weichem Kunststoff und Billigspielzeug aus dunklem Plastik.

12. Lüften Sie Ihre Räume zweimal pro Tag und wischen Sie regelmäßig (feucht) Staub.


Manuel Fernandez
ist BUND-Experte für Chemikalienpolitik.

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Quelle:
BUND MAGAZIN 4/2018, Seite 14 - 15
Herausgeber:
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND)
Friends of the Earth Germany
Am Köllnischen Park 1, 10179 Berlin
Tel. 030/27586-457, Fax. 030/27586-440
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des BUND und erscheint viermal im Jahr


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Dezember 2018

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