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FORSCHUNG/503: Neue Wege der dezentralen Stromerzeugung (spektrum - Uni Bayreuth)


spektrum - Universität Bayreuth
10. Jahrgang · Ausgabe 2 · November 2014

Neue Wege der dezentralen Stromerzeugung
Von der Geothermie zur industriellen Abwärme

Von Dieter Brüggemann



Trotz des massiven Ausbaus an Photovoltaik- und Windkraftanlagen wird in Deutschland Strom noch immer zum größten Teil aus fossilen Energieträgern wie Kohle und Erdgas sowie aus Kernenergie erzeugt. Im Jahr 2012 betrug dieser Anteil 72 Prozent. Dabei werden in der Regel zentrale Großkraftwerke eingesetzt, die Anlagenleistungen von mehr als 100 Kilowatt erbringen - und zwar auf der Grundlage eines Dampfkraftprozesses, der schon im 19. Jahrhundert von William Rankine vorgeschlagen wurde. Bei diesem Kraftwerkstyp wird die thermische Energie, die bei der Verbrennung bzw. aus der Spaltung von Uran entsteht, an einen Wasserkreislauf übertragen. Das Wasser wird dadurch erwärmt und vollständig verdampft. Der Dampf wird noch weiter überhitzt und in eine Turbine geleitet. Die Druckenergie des Wasserdampfes wird über die Turbinenschaufeln in kinetische Energie gewandelt. Die Turbine dreht sich und treibt einen Generator an. Der so erzeugte Strom kann dann in die Verteilnetze eingespeist werden.

Mit der geplanten Umstellung der Energieversorgung auf erneuerbare Energien werden mehr und mehr zentrale Großkraftwerke, die auf fossilen oder nuklearen Energieträgern basieren, durch viele kleine und dezentrale Anlagen ersetzt. Die bekanntesten Varianten der dezentralen Stromerzeugung sind die Photovoltaik, Windkraftanlagen sowie Wasserkraftwerke. Weil das Angebot an Sonne und Wind naturgemäß stark schwankt, wird nach ergänzenden Lösungen gesucht, die eine dauerhafte und sichere Substitution der fossil befeuerten Großkraftwerke ermöglichen.

Eine hierfür besonders aussichtsreiche Technologie beruht auf dem Organic Rankine Cycle (ORC). Dies ist ein Dampfkraftprozess nach dem von William Rankine entwickelten Prinzip; doch wird statt Wasser ein organisches Fluid als Arbeitsmedium eingesetzt. Zu der Vielzahl an hierfür geeigneten Stoffen zählen Kältemittel, wie sie in Kühlschränken verwendet werden, und Kohlenwasserstoffe, die auch als Bestandteile in Otto- oder Dieselkraftstoffen vorkommen. Der Vorteil solcher organischen Fluide besteht darin, dass sie bereits bei verhältnismäßig niedrigen Temperaturen verdampfen und dabei höhere Drücke aufbauen als Wasser. Dieser Vorteil wurde bereits in den 1960er Jahren für die dezentrale Stromerzeugung aus Abwärme erkannt. Er erlangte aber erst in den 1980er Jahren infolge der beiden vorangegangenen Ölkrisen technologische Bedeutung, bevor weltweit fallende Energiepreise eine Stromerzeugung aus Niedertemperaturquellen wirtschaftlich wieder unattraktiv werden ließen. Aufgrund der im neuen Jahrtausend stetig steigenden Energiepreise erfuhr die ORC-Technologie eine Renaissance. Es hat sich dabei als besonders wichtig herausgestellt, dieses Verfahren der Energiegewinnung im Wechselspiel von Forschung und Anwendung technisch und wirtschaftlich zu verbessern.

"Ein Anwendungsfeld für ORC-Anlagen, das für die nächsten Jahre ein enormes Wachstum verspricht, ist die Nutzung der in Industrieanlagen entstehenden Abwärme."

Der Lehrstuhl für Technische Thermodynamik und Transportprozesse (LTTT) im Zentrum für Energietechnik (ZET) hat diese Herausforderung frühzeitig wahrgenommen. Im Laufe eines Jahrzehnts hat sich daher an der Universität Bayreuth eine international sichtbare Forschungsgruppe zum Organic Rankine Cycle etabliert. Zahlreiche Projekte spannen den Bogen von der Grundlagenforschung zur Anwendung gemeinsam mit Industriepartnern. Ein besonderer Schwerpunkt liegt dabei auf der Entwicklung von ORC-Systemen, die thermoökonomisch - also sowohl in energetischer wie in wirtschaftlicher Hinsicht - optimiert sind. Diese Systeme dienen der dezentralen Stromerzeugung in geothermischen Kraftwerken und bei der Nutzung industrieller Abwärme.


Geothermische Stromerzeugung

Bei der geothermischen Stromerzeugung dient Heißwasser aus dem Erdinneren als Wärmequelle für den ORC. Das Wasser wird teilweise aus einer Tiefe (der sogenannten Teufe) von über 5.000 m an die Oberfläche gepumpt. Aussichtsreiche Standorte in Deutschland sind insbesondere das Süddeutsche Molassebecken südlich von München sowie der Oberrheingraben von Köln bis Basel. Das Potenzial ist mit 8,5 Gigawatt, also 10 Prozent des deutschen Endenergieverbrauchs, beträchtlich. Aufgrund der enormen Kosten für die Tiefenbohrung ist es wichtig, ein möglichst effizientes Kraftwerkskonzept zu wählen. Am LTTT / ZET wird dabei besonders der Einsatz von Fluidgemischen untersucht.

"Weil sich die Temperatur während der Verdampfung ändert, können wir die geothermische Quelle besser ausnutzen und erreichen somit erhöhte Wirkungsgrade", erklärt Dr.-Ing. Florian Heberle, der sich in seiner Bayreuther Dissertation mit genau diesem Phänomen beschäftigt hat. Auch der Einsatz von mehrstufigen Anlagen zielt auf eine Erhöhung des Wirkungsgrades. Es ist dabei besonders wichtig, neuartige Kraftwerkskonzepte mit den Betriebsdaten bereits realisierter Anlagen ständig zu vergleichen. Daher hat die Bayreuther ORC-Forschungsgruppe bereits zwei geothermische Kraftwerke bei der Inbetriebnahme wissenschaftlich begleitet. "Dadurch haben wir sehr interessante Impulse für zukünftige Forschungsvorhaben gewonnen", so Dr.-Ing. Heberle.


Nutzung industrieller Abwärme

Ein weiteres Anwendungsfeld für ORC-Anlagen, das für die nächsten Jahre ein enormes Wachstum verspricht, ist die Nutzung der in Industrieanlagen entstehenden Abwärme. Diese wird bisher meist ungenutzt über Kamine oder über Kühlsysteme an die Umgebung abgegeben. Die Nutzung von Abwärmeströmen in Mini-ORC-Anlagen ist ein Forschungsschwerpunkt am LTTT / ZET. Allein in Deutschland gehen mehrere Studien davon aus, dass die technisch-wirtschaftlich erschließbare elektrische Leistung im Durchschnitt rund 5 Gigawatt beträgt. Zum Vergleich: Die drei größten noch am Netz befindlichen Kernreaktoren in Deutschland (Isar/Ohu 2, Brokdorf, Philippsburg 2) weisen eine elektrische Leistung von 4,4 Gigawatt auf.

Dieses Potenzial ist derzeit jedoch kaum erschlossen. Das Hauptproblem liegt darin, dass die Abwärmeströme hinsichtlich ihrer Temperatur und der abgegebenen Leistung starken Schwankungen unterliegen. Da viele Prozesse bei einer bestimmten Temperatur betrieben werden müssen, bedarf es auch für den nachgeschalteten Prozess einer maßgeschneiderten Lösung, die genau an das vorhandene Temperatur- und Leistungsniveau angepasst werden muss. "Jedes ORC-Mini-Kraftwerk ist sozusagen ein Unikat. Das führt zu erhöhten Entwicklungs- und damit Investitionskosten" erklärt Theresa Weith, wissenschaftliche Mitarbeiterin am LTTT. "Es dauert derzeit noch zu lang, bis sich diese Kosten amortisieren."

Als eine Lösung für dieses Problem kommen modular aufgebaute ORC-Anlagen infrage. Darin werden Standardkomponenten eingesetzt, die dann lediglich auf die jeweiligen Randbedingungen präzise abgestimmt werden müssen. In Bayreuth wurde hierfür ein thermoökonomisches Modell entwickelt, auf dessen Basis vielversprechende Konzepte bewertet werden können. Dadurch ist es möglich, ORC-Anlagen speziell für Nieder- oder Hochtemperaturanwendungen zu entwickeln. Die Ergebnisse sollen dabei einen Weg zur Serienfertigung aufzeigen. Denn diese ist für eine Senkung der Investitionskosten und damit für den flächendeckenden Einsatz der Technologie nötig. "Jetzt wollen wir an einer Demonstrationsanlage im ORC-Testfeld des Zentrums für Energietechnik zeigen, dass sich unsere Ergebnisse aus der Simulation auch in der Praxis bewahrheiten", so Dr.-Ing. Markus Preißinger, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl und zugleich Geschäftsführer des ZET.


Mit Weitblick in die Zukunft

Es sind jetzt zwölf Jahre vergangen, seit der LTTT mit einem Doktoranden das damals noch etwas "exotische" Thema ORC aufgegriffen hat. Heute ist daraus eine vor allem durch Drittmittel finanzierte Forschungsgruppe von sieben Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern entstanden. Hinzu kommen internationale Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die aus dem Ausland gezielt nach Bayreuth kommen wollen. Der Blick ist dabei weiter nach vorn gerichtet, und an Visionen fehlt es nicht. Ein Ziel künftiger Forschungsarbeiten ist es, die ORC-Technologie mit thermischen Speichersystemen zu koppeln, um damit ein noch größeres Maß an Effizienz und Flexibilität zu erreichen. Dies wäre ein weiterer wichtiger Schritt hin zu einer dezentralen Energieversorgung.


Autor
Prof. Dr.-Ing. Dieter Brüggemann ist Direktor des Zentrums für Energietechnik (ZET) und Inhaber des Lehrstuhls für Technische Thermodynamik und Transportprozesse (LTTT).


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. S. 66:
Geothermie-Kraftwerk bei Wairakei in der Region Taupo, Neuseeland.

Abb.1 S. 67:
Der Organic Rankine Cycle ist nach dem schottischen Physiker und Ingenieur William John Macquorn Rankine (1820-1872) benannt. Rankine zählt zu den Begründern der Thermodynamik und hat wesentliche Beiträge zur Wärmetheorie und zur Funktionsweise der Dampfmaschine geliefert.

Abb.2 S. 68 (oben):
Tiefenbohrung für das Geothermie-Kraftwerk in Insheim/Pfalz, das 2012 in Betrieb ging.

Abb.3 S. 68 (unten):
Modell eines Organic Rankine Cycles (ORC). Nach diesem Verfahren werden Dampfturbinen betrieben - aber nicht mit Wasser, sondern mit organischen Fluiden, die schon bei niedrigen Temperaturen verdampfen.

Abb. S. 69 oben:
Dr.-Ing. Florian Heberle und Dr.-Ing. Markus Preißinger (v.l.) an einem Teststand zur Messung von Wärmeübergangskoeffizienten für die Verdampfung und Kondensation in geothermischen Kraftwerken

Abb. S. 69 unten:
Verdampferrohr für die Ermittlung von Wärmeübergangskoeffizienten organischer Fluide.


Sie finden das Magazin als PDF-Datei mit Abbildungen unter:
http://www.uni-bayreuth.de/presse/spektrum/spektrum-pdf/ausgabe_02_14.pdf

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Quelle:
spektrum - Magazin der Universität Bayreuth
Ausgabe 2, November 2014, S. 66 - 69
Herausgeber: Universität Bayreuth
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Telefon: 0921/55-53 56, -53 24, Fax: 0921/55-53 25
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Februar 2015


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