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INNOVATION/291: Lernen vom Baumeister Natur (Unser Wald)


Unser Wald - 3. Ausgabe, Mai/Juni 2013
Zeitschrift der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald

Lernen vom Baumeister Natur

von Julia Hoffmann



Der Lotuseffekt für selbstreinigende Hausfassaden dürfte vielen ein Begriff sein. Doch auch in der Architektur von Gebäuden schauen sich die Verantwortlichen immer häufiger Beispiele aus der Natur ab. Einen wesentlichen Unterschied gibt es dabei zwischen der visuellen und der funktionalen Baubionik.


Die visuelle Bionik bleibt dabei nur an der Oberfläche und bei der Optik von Gebäuden. Die funktionelle Bionik hingegen steigt tiefer ein. Techniken und Strukturen aus der Natur werden genau beobachtet und analysiert und dann mit technischen Mitteln umgesetzt.

Die Optimierung von Strukturen nach natürlichen Beispielen ist hierbei das Ziel. Im Vordergrund steht dabei immer die Herausforderung, große Spannweiten mit minimalem Materialaufwand zu überbrücken oder durch gezielte Faltungen die Steifigkeit von Konstruktionen zu erhöhen, ohne wesentlich mehr Material aufwenden zu müssen.

Ein prominentes Beispiel ist das Dach des Olympiaparks in München. Das 78.000 m² große Dach aus Acrylglasplatten erinnert mit seiner Seilkonstruktion an ein Spinnennetz. Zugleich schützt es die Menschen darunter vor Niederschlag, lässt aber Licht durch. Zunächst war geplant, das Dach nach den Olympischen Spielen in München 1972 wieder abzubauen und durch eine andere Tribühnenbedachung zu ersetzen. Die neuartige Konstruktion nach einer Inspiration aus Montreal sorgte aber für so viel Aufsehen, dass sie dauerhaft geblieben ist. Heute können Besucher das Dach mit geführten Touren besichtigen und sich sogar davon rund 40 Meter in die Tiefe abseilen.

Ein echtes Wahrzeichen für Baubionik steht in Paris. Der 1889 erbaute, weltweit bekannte Eiffelturm. Ziel des Erbauers Gustav Eiffel war es, einen möglichst hohen Turm mit möglichst wenig Material, aber gleichzeitig hoher Stabilität zu bauen. Seine Inspiration für die Bauweise erhielt er vom menschlichen Oberschenkelknochen. Auf Grund seiner besonderen Struktur, kann der Oberschenkelknochen große Belastungen aushalten. Da viel Gewicht aber viel Energieverbrauch bedeutet, hat die Natur ein geniales System entwickelt, mit dem auf effektivste Weise mit nur geringem Materialaufwand große Belastungen getragen werden können. Das Innere des Knochens besteht aus feinsten Knochenbälkchen. Diese scheinen auf den ersten Blick wahllos angeordnet zu sein. In Wirklichkeit geben sie aber den Verlauf der Kräftelinien wider, die bei Druck oder Zug auf den Oberschenkel einwirken.

Auch die weltberühmte Sagrada Familia in Barcelona hat ein Vorbild in der Natur. Antonio Gaudi nutzte in seinem Bauwerk baumartig verzweigte Pfeiler. Mit den V-förmigen Astgabeln ist es Bäumen möglich, extremen Spannungen, die bei Wind auf sie wirken, standzuhalten. Bei Gebäuden führen diese Spannungen längerfristig zu Rissen und Brüchen. Durch V-förmig verzweigte Pfeiler in Gebäuden kann der Materialverschleiß deutlich reduziert werden. Ein wichtiges Prinzip auch für den Bau von Brücken, die somit schlanker und damit ästhetischer und mit weniger Materialverbrauch gebaut werden können.

Ein weiteres botanisches Phänomen, welches Bioniker und Architekten fasziniert, sind Grashalme. Sie wirken sehr zart, können aber zugleich enormem Wind standhalten und sind hochelastisch. Die Besonderheiten wie Wassereinlagerungen und Doppelringwände sind bereits erforscht worden. Nun gilt es, diese Erkenntnisse auch an Bauwerken umzusetzen. In einem Wohngebiet in Rom ist die Umsetzung eines anderen Prinzips aus dem Pflanzenreich bereits gelungen. Eine 13-stöckige Hochhauskonstruktion wurde nach dem Prinzip einer Rosettenpflanze gebaut. Das Gebäude ist so konstruiert und ineinander verschachtelt, dass sich die Wohneinheiten im Sommer, bei starker Sonne, gegenseitig teilweise beschatten. In der dunklen Jahreszeit im Winter nehmen sie sich gegenseitig möglichst wenig Licht und Sonne weg.

Neben Pflanzen suchen sich Bioniker immer wieder Vorbilder im Tierreich. Eines der bekanntesten ist mit Sicherheit die Wabenstruktur. Abgeschaut von den Bienen stehen bei den sechseckigen Waben Materialverbrauch, Raumausnutzung und Stabilität im optimalen Verhältnis zueinander. Somit ist es möglich, mit sehr wenig Material eine sehr hohe Stabilität zu erreichen. Angewandt wurde dieses Prinzip unter anderem bei den größten Gewächshäusern der Welt, dem Eden Projekt im englischen Cornwall.

Auch das Gürteltier hielt für Architekten schon als Beispiel her. Beim Clyde Auditorium im schottischen Glasgow wurde das Dach nach dem Vorbild des Panzers des Tiers gebaut. Durch die spezielle Konstruktion kommt es im Innern mit einer möglichst geringen Anzahl von Stützen aus.

Die Konstruktionen, die sich über Millionen von Jahren in der Natur entwickelt haben, sind faszinierend und zugleich genial. Die Baubionik ist ein vergleichsweise junges Feld der Architektur und verspricht in den kommenden Jahren eine Fülle von Erkenntnissen für die Entwicklung neuer Lebens- und Wohnformen und ästhetischen Überraschungen.


Autorin Julia Hoffmann ist Geschäftsführerin der Verlagsgesellschaft und in der Chefredaktion Unser Wald;
E-Mail: julia.hoffmann@sdw.de


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Prominentes Beispiel für Baubionik - der Eiffelturm in Paris
- Die Pfeiler der Sagrada Familia sind baumartig verzweigt
- Der Bienenstock - ein Beispiel für hohe Stabilität mit wenig Material.

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Quelle:
Unser Wald - Zeitschrift der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald
3. Ausgabe, Mai/Juni 2013, S. 7 - 8
Herausgeber:
Bundesverband der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald e.V., Bonn
Redaktion: Meckenheimer Allee 79, 53115 Bonn
Telefon: 0228 / 945 98 30, Fax: 0228 / 945 98 33
E-Mail: unser-wald@sdw.de
Internet: http://www.sdw.de
 
Erscheinungsweise: zweimonatlich
Bezugspreis: Jahresabonnement 17,50 Euro
einschl. Versandkosten und 7% MwSt.
Einzelheft: Preis 3,- Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. August 2013