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RECHT/133: Vattenfall-Klage - Deutschlands Investitionspolitik rächt sich (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2010
2010 Entscheidungsjahr für die Biologische Vielfalt

Vattenfall-Klage
Deutschlands Investitionspolitik rächt sich

Von Andreas Lehrner


Weil die Umweltauflagen für den Bau des Kraftwerks Moorburg strenger ausfielen als von Vattenfall erwartet, klagt der schwedische Staatskonzern 1,4 Milliarden Euro Schadenersatz von der Bundesrepublik Deutschland ein. Vattenfall beruft sich dabei auf Investitionsschutzgesetze, die ausländischen Investoren eine Fülle von Rechten gegenüber Gaststaaten einräumen. Deutsche Unternehmen haben auf dieser Basis schon oft ähnliche Prozesse gegen Entwicklungs- und Transformationsländer geführt, Deutschlands Politik der letzten Jahrzehnte hat diese Entwicklung aktiv vorangetrieben. Nun fällt diese problematische Investitionspolitik auf Deutschland zurück.

Für über zwei Milliarden Euro baut Vattenfall derzeit direkt an der Elbe in Hamburg-Moorburg ein Kohlekraftwerk. Neben anderen ökologischen Problemen hätte die enorme Kühlwassermenge, die Vattenfall dafür ursprünglich der Elbe entnehmen wollte, das Ökosystem des Flusses erheblich belasten. Die Stadt Hamburg schien die Pläne Vattenfalls dennoch zu tolerieren. Nachdem jedoch 2008 die Grünen mit der bis dahin allein regierenden CDU koalierten, reduzierte die grüne Umweltsenatorin Anja Hajduk die Menge an Kühlwasser, die der Energiekonzern der Elbe entnehmen darf. Vattenfall fuhr daraufhin mit schweren Geschützen auf und brachte im April 2009 eine Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland vor dem Internationalen Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten (ICSID) ein. Der Konzern sieht die Europäische Energiecharta verletzt, die Investitionen im Energiesektor schützt, und fordert Schadenersatzzahlungen aufgrund von "Enteignung" sowie "Verletzung des Fairness- und Gerechtigkeitsstandards".


Investitionsschutzgesetze

Ohne Investitionsschutzgesetze, wie sie die Energiecharta enthält, wäre eine solche Klage vor einem internationalen Gericht nicht möglich. Hauptfunktion solcher Investitionsschutzgesetze und -abkommen ist es, heimischen Investoren in den Vertragsstaaten Rechtsschutz zu gewährleisten und dadurch Auslandsinvestitionen zu fördern. Das Rechtsschutzverständnis der Abkommen geht allerdings über den bloßen Schutz von ausländischem Eigentum vor staatlichen Zugriffen weit hinaus. Investoren können dadurch nicht nur bei direkten Enteignungen Kompensationszahlungen fordern - die Abkommen kennen auch den Begriff der indirekten Enteignung. In einer weiten Auslegung können darunter auch erhöhte Steuern, strengere Sozialgesetze oder verschärfte Umweltgesetze verstanden werden. Weiter können Investoren dank dieser Abkommen Staaten direkt vor internationalen Schiedsgerichten verklagen. Die Wahl des Schiedsgerichtes hat der klagende Investor. Besonders das von Vattenfall gewählte ICSID ist aus Investorsicht vorteilhaft. Die Prozesse finden dort hinter verschlossenen Türen statt, nicht einmal das Prozessergebnis muss veröffentlicht werden. Außerdem entscheiden dort nicht unabhängige Richter, sondern eine Jury, die zu zwei Dritteln von den Prozessparteien selbst gewählt wird. Die Investoren können sich so den Umweg über nationale Gerichte sparen, was ausländische Investoren gegenüber jenen aus dem Inland bevorzugt. Denn die Abkommen gelten nur für ausländische Investoren gegenüber Gaststaaten.


Investorfreundliche Regeln

Als Auslandsinvestor in Deutschland kann Vattenfall diese investorfreundlichen Regeln voll ausnutzen. In Deutschland ist der Fall einzigartig, noch nie hat ein Konzern eine derartige Klage vor einem internationalen Gericht gegen das wirtschaftlich mächtige Deutschland eingebracht. Für andere Länder sind Investitionsprozesse hingegen nichts Neues. Deutsche Investoren haben seit 1994 mindestens 18 Mal [1] auf Basis der Investitionsschutzabkommen geklagt. Unter den Klägern sind Investoren diverser Branchen: bekannte Firmen wie Siemens oder Daimler Chrysler wie auch verhältnismäßig kleine Privatinvestoren. Die Klagen richten sich fast ausschließlich gegen Entwicklungs- und Transformationsländer. Deutschland hat diese Entwicklung gezielt vorangetrieben: 1959 hat es nicht nur mit Pakistan das weltweit erste bilaterale Investitionsabkommen (BIT) unterzeichnet, mit 127 abgeschlossenen BITs ist Deutschland heute auch internationaler Spitzenreiter von solchen Abkommen.


Politischer Handlungsspielraum sinkt

Anhand der Klage von Vattenfall werden diverse problematische Aspekte solcher Investitionsabkommen gut sichtbar. Sie richtet sich erstens direkt gegen Umweltauflagen, die wiederum Umsetzung von EU-weitem Recht sind. Wird nun die Durchführung international vereinbarter Maßnahmen angreifbar, sinkt der diesbezügliche politische Handlungsspielraum. Hinzu kommt zweitens, dass schon die Androhung solcher Prozesse wie ein Damoklesschwert über den Staaten hängt: Standards könnten entweder niedriger angesetzt oder gar nicht erst eingeführt werden. Und drittens belasten Schadenersatzzahlungen in Milliardenhöhe das öffentliche Budget erheblich. Andere Staaten können ein Lied von diesen Entwicklungen singen. In einigen lateinamerikanischen Staaten, die schon oft Opfer ähnlicher Klagen waren, hat ein Nachdenkprozess über BITs insgesamt eingesetzt.2 Der Fall Vattenfall sollte dazu führen, die öffentliche Debatte über die problematischen Investitionsschutzabkommen auch in Deutschland anzustoßen. Die Bundesregierung ist jedoch - trotz einer entsprechenden Kleinen Anfrage der Grünen - nicht bereit, über den Prozessverlauf Auskunft zu geben. Diese skandalöse Geheimhaltungspolitik bezüglich des Falles muss beendet werden. Dann würde deutlich, dass Deutschland eine neue Investitionspolitik braucht. Wo das Allgemeinwohl beeinträchtigt wird, muss das Recht der Investoren aufhören.

Der Autor hat einen Hochschulabschluss in Soziologie und ist Mitarbeiter beim freien Radioprojekt radio%attac. Er verfasste diesen Artikel im Rahmen eines Praktikums bei der entwicklungspolitischen NGO World Economy, Ecology and Development (WEED).


[1] Zahl laut UNCTAD-Datenbank. Aufgrund der Geheimhaltung von Prozessen ist die Zahl möglicherweise noch höher.

[2] IISD: Recent Developments in Regional and Bilateral Investment Treaties. Hintergrundpapier zum 2nd Annual Forum for Developing Country Investment Negotiators, Marrakesch 2008. online unter http://www.iisd.org/pdf/2008/dci_recent_dev_bits.pdf S 9ff


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V. Diese Publikation wurde vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) offiziell gefördert. Der Inhalt gibt nicht unbedingt die Meinung des BMZ wieder.

Der Rundbrief des Forums Umwelt & Entwicklung, erscheint vierteljährlich, zu beziehen gegen eine Spende für das Forum.


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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2010, S. 37
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Juni 2010