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AGRARINDUSTRIE/018: Jubelruf der Saatgutindustrie Warnsignal für Vielfalts-Saatgut (Saatgut-Souveränität)


Kampagne für Saatgut-Souveränität - 4.6.2013

Jubelruf der Saatgutindustrie-Lobby ESA offenbart die Gefährlichkeit des EU-Kommissionsvorschlages

Ein Warnsignal für Vielfalts-Saatgut!



Am Donnerstag, den 13. Juni 2013, wird die EU-Kommission dem EU-Parlament und dem Ministerrat das von ihr vorgeschlagene Maßnahmenpaket "Smarter rules for safer food" vorstellen und damit den Beratungsprozess in diesen Organen einleiten. Doch es gibt ein schlechtes Omen für die Vielfalts-Sorten und für alle ProduzentInnen von bäuerlichem Saatgut: Die Saatgutindustrie hat sich in einem Schreiben an die Abgeordneten mit den Gesetzesvorschlägen der Kommission sehr zufrieden gezeigt und ebenfalls mit der parlamentarischen Zuständigkeit des Landwirtschaftsausschusses.

Dieser Ausschuss soll nun einen Bericht für das Parlament erstellen, dem Vernehmen nach unter der Leitung des italienische EVP-Abgeordnete Sergio Silvestris. Silvestris gehört zur Partei "PDL" des ehemaligen Ministerpräsidenten Berlusconi.

Der Lobbyverband "European Seed Association" (ESA) formuliert seine Zufriedenheit mit den Worten: "die Vorschläge ... ebnen den Weg für ein modernes, dynamisches, harmonisiertes und vereinfachtes gesetzliches Rahmenwerk für Saatgut." (The proposals "pave the way for establishing a modern, dynamic, harmonised and simplified legal framework for seed")

Was verbirgt sich hinter den ESA-Attributen "modern", "dynamisch" und "harmonisiert"?

"Modern" bedeutet in diesem Zusammenhang: das Gesetz kommt den Wünschen der Saatgutindustrie für die Erzeugung ihrer Hochleistungssorten entgegen, die auf den Einsatz von Düngemitteln, Pestiziden, Saatgutbeize und Wachstumsregulatoren abgestimmt sind. Dabei werden auch mehr und mehr "moderne" biotechnologische Züchtungsmethoden eingesetzt, die nicht als klassische gentechnische Manipulation eingeordnet werden.
Wir fordern demgegenüber: Verpflichtende Transparenz für den Einsatz von Methoden der Sortenzüchtung und der Saatguterzeugung ins Gesetz!

"Dynamisch" weist darauf hin: im Gesetzesvorschlag der Kommission befinden sich mehr als 30 sogenannte "delegated acts": durch diese behält sich die Kommission die spätere Ausgestaltung des Gesetzes vor. Die ESA benennt den Vorschlag für eine Saatgutverordnung ganz richtig ein bloßes "legal framework for seed".
Wir fordern demgegenüber die konkrete Ausformulierung dieser vielen Gesetzeslücken.
Das EU-Parlament muss wissen, welches Gesetz es verabschieden soll - und nicht nur (demokratiepolitisch bedenklich) einem gesetzesartigen Rahmenwerk seine Genehmigung erteilen, das die Kommission später "dynamisch" den jeweiligen Wünschen der Saatgutindustrie anpassen kann.

"Harmonisiert" bedeutet: in allen Staaten der EU soll das gleiche Recht gelten. Das ist zum Vorteil der transnational agierenden Konzerne der Saatgutindustrie, die in einem einheitlichen Rechtsraum agieren wollen, ohne auf nationale oder regionale Besonderheiten Rücksicht nehmen zu müssen.
Wir fordern demgegenüber: die EU-Staaten müssen Möglichkeiten haben, das Saatgutrecht den jeweiligen landwirtschaftlichen und sonstigen Gegebenheiten anzupassen.

Die Saatgutindustrie sieht Saatgut nur als "Input" für die Landwirtschaft. Ihr Interesse besteht darin, dieses Saatgut und die dafür benötigte Agrarchemie mit kräftigen Profitmargen zu erzeugen.

Die ESA begrüßt ferner den angeblichen "Zugang der Bauern zu den besten Pflanzensorten um ihre Produktivität zu verbessern" (farmers' access to the best plant varieties to improve their productivity), aber sie schweigt über die Kosten dieses Zuganges. Diese sind nicht nur pekuniär, sondern bestehen im Verlust der Fähigkeit zu eigenständiger bäuerlicher, lokal angepasster Saatgutproduktion. Und in den Folgewirkungen des Einsatzes von Agrarchemie auf Boden und Grundwasser, Pflanzen- und Tierwelt sowie den Menschen. Wir bezweifeln, dass die Saatgutindustrie die "besten Pflanzensorten" bereitstellt.

Wir fordern demgegenüber: bäuerliche Betriebe und Gemüsegärtnereien sollten Saatgut für sich selber, für andere Betriebe und für Endverbraucher auch selber erzeugen können und dürfen - wie es seit Jahrtausenden die Grundlage von Landwirtschaft und Gartenbau ist.

Man braucht keine derart restriktive und bürokratische Gesetzgebung um qualitätsvolles und gesundes Saatgut zu erzeugen, auch die Saatgutindustrie nicht! Dass die ESA dieses Gesetzeswerk begrüßt, zeigt aber, wie wenig sicher sie sich des von ihr angebotenen Saatgutes ist. Sie hat Angst vor dem freien Wettbewerb mit bäuerlichem, ökologischem und Vielfalts-Saatgut. Die ESA fordert die restriktive und bürokratische Gesetzgebung, weil die Bürokratielasten nur von Saatgut-Konzernen mit einer erheblichen Größe und einem großen Absatzvolumen an Saatgut pro Sorte zu bewältigen sind! So fördert der Gesetzesvorschlag die ohnehin besorgniserregende Konzentration im Saatgutmarkt.

Der Jubelruf der ESA ist ein Alarmsignal für die bäuerliche Saatgutproduktion, für die ökologische Sortenzüchtung und für die Bewahrung und Weiterentwicklung der Vielfalts-Sorten.

Wir meinen:
- Die DUS-Kriterien Unterscheidbarkeit, Einheitlichkeit und Unveränderlichkeit (distinctness, uniformity and stability) der Pflanzensorten sind kein Qualitätsmerkmal für VerbraucherInnen - sie dienen nur den Erfordernissen industrieller Pflanzenproduktion und Lebensmittelverarbeitung.
- Im Gegensatz etwa zu neuen Medikamenten stellt Saatgut kein grundsätzliches Gefahrenpotenzial dar. Es bedarf daher auch grundsätzlich keiner Registrierung und Zertifizierung. Gentechnik allerdings gehört verboten; gentechnikfreie und biotechnologiefreie Saatgut- und Sortenvielfalt muss ermöglicht und gefördert werden!
- Eine Vielzahl zugelassener "unterscheidbarer" Pflanzensorten bedeutet nicht zwangsläufig große Biodiversität. Die Industriesorten beruhen auf einer schmalen und weiter abnehmenden Basis genetischer Vielfalt. Wirkliche Vielfalt sieht anders aus!
- Die Welternährung wird nicht durch industrielles Saatgut aus Europa verbessert, sondern dadurch, dass in aller Welt die ländliche Bevölkerung Zugang zu Land, Wasser und lokal angepasstem Saatgut erhält.

Hinweis:
Ein offener Brief "Saatgutvielfalt in Gefahr - gegen eine EU-Saatgutverordnung zum Nutzen der Saatgut-Industrie"
(http://kurz-link.de/saatgutvielfalt), wurde von der Kampagne für Saatgut-Souveränität und dem Dachverband Kulturpflanzen- und Nutztiervielfalt an die Organe der EU gerichtet, in 15 Sprachen übersetzt
(vgl. http://www.seed-sovereignty.org/EN/) und mittlerweile von ca. 44.000 UnterzeichnerInnen unterstützt.

Allein für die deutsche Fassung wurden bislang über 20.000 Unterstützungserklärungen abgegeben.

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Quelle:
Presseerklärung, 4.6.2013
Kampagne für Saatgut-Souveränität
http://www.saatgutkampagne.org


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Juni 2013