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ASIEN/070: Indien - Defizitärer Katastrophenschutz, Notunterkünfte sind nicht erdbebensicher (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 18. Juni 2012

Indien: Defizitärer Katastrophenschutz - Notunterkünfte sind nicht erdbebensicher

von Malini Shankar

Eine wiederaufgebaute Schule in Car Nicobar Island dient als Notunterkunft - Bild: © Malini Shankar/IPS

Eine wiederaufgebaute Schule in Car Nicobar Island dient als Notunterkunft
Bild: © Malini Shankar/IPS

Port Blair, Indien, 18. Juni (IPS) - Bewohner der zu Indien gehörenden Insel Groß Nicobar im Golf von Bengalen ergriffen panikartig die Flucht, als sie am 11. April die ersten Anzeichen des Erdbebens der Stärke 8,6 spürten. Die Erinnerungen an den Tsunami, bei dem Ende 2004 in Asien Tausende Menschen starben, sind ihnen noch sehr präsent.

Die Vertriebenen fanden Unterschlupf in Gebäuden, die nicht als 'erdbebensicher' eingestuft sind. Sie drohten im wahrsten Sinne des Wortes vom Regen in die Traufe zu kommen. Denn eine große Flutwelle, die vor Sumatra entsteht, kann binnen 15 bis 20 Minuten auf Groß Nicobar ankommen.

Der Tsunami blieb zwar aus, doch das Erdbeben im April zeigte deutlich, dass einige indische Bundesstaaten, die an den Küsten gelegen sind, nicht gegen die zunehmenden Naturkatastrophen gewappnet sind.

Chef des Verwaltungsbezirks 'Andaman Nicobar Island' (ANI) ist Shakti Sinha. Wie er erklärte, habe man keine Tsunami-Warnung für Groß Nicobar ausgegeben, da aller Wahrscheinlichkeit nach nur die unbewohnte Westküste getroffen worden wäre.

"Standardmäßig hat das indische Tsunami-Frühwarnzentrum ITEWC die gefährdeten Regionen ausgemacht und nur für zwei Nicobareninseln Warnungen ausgegeben. Den Menschen dort wurde geraten, sich in höher gelegene Gebiete zu begeben", sagte T. Srinivas Kumar vom Indischen Nationalen Zentrum für Meeresinformationsdienste (INCOIS).

Die Behörde erfasst Tsunami-Risiken für alle am Pazifischen Ozean gelegenen Länder - Australien, Bangladesch, Komoren, Réunion, Indonesien, Indien, Iran, Kenia, Madagaskar, Malaysia, Malediven, Mauritius, Mosambik, Myanmar, Oman, Pakistan, Seychellen, Singapur, Südafrika, Sri Lanka, Thailand, Osttimor, Tansania und Jemen.

Damit ist INCOIS verantwortlich für die Sicherheit von fast 75 Millionen Küstenbewohnern. Wie Sinha erklärte, wurden Menschen der Inseln Kamorta und Katchal rasch in Sicherheit gebracht.


Offizielle Tsunami-Warnung kam nicht beim Rundfunk an

Zubair Ahmed, ein Journalist aus Port Blair, beklagte den Mangel an geeigneten Transportmitteln für die Evakuierung. Zudem erhielten weder der staatliche indische Fernsehkanal Doordarshan noch der Radiosender 'All India Radio' (AIR) die offizielle Tsunami-Warnung. Dem persönlichen Einsatz der Mitarbeiter sei es aber zu verdanken gewesen, dass Doordarshan binnen 15 Minuten nach der Warnung die Nachricht habe verbreiten können, sagte der Direktor des Senders, Sajan Gopalan.

'All India Radio' in Port Blair sandte dagegen keine Meldung. Kumar wies darauf hin, dass ITEWC ein Tsunami-Bulletin an alle Abonnenten verschicke. Die Tatsache, dass sich die beiden Sender dafür nicht registriert hätten, zeige große Versäumnisse bei den Katastrophenschutzvorkehrungen.

Ashok Sharma von der ANI-Behörde für Katastrophenmanagement kündigte an, dass die Technologien für die elektronische Übermittlung von Frühwarnungen und Lautsprecherdurchsagen an die Bevölkerung verbessert würden.

Beobachter bemängeln zudem, dass das Telefonnetz nicht für Notfälle gerüstet ist. Die INCOIS-Website ist überdies am 11. April nicht erreichbar gewesen. Rettungsfahrzeuge seien nicht mit den neuesten Geräten ausgestattet, und auf keiner der Insel gebe es einen Rettungshubschrauber, hieß es. Helikopter sind demnach fast ausschließlich für Beamte reserviert, während alle anderen Menschen auf Schiffe angewiesen sind, deren Auslaufen vom Wetter abhängt.

Die Tatsache, dass diese Schritte erst acht Jahre nach dem verheerenden Tsunami in der Region eingeleitet werden, verdeutlicht die Nachlässigkeit der Behörden. Nach der Flutwelle 2004 schlug das Zentrale Forschungsinstitut für Lebensmitteltechnologie vor, landesweit 22 Drehkreuze einzurichten, von denen aus Nahrungspakete per Flugzeug in die betroffenen Gebiete transportiert und aus der Luft abgeworfen werden könnten. Dieser Plan ist aber niemals umgesetzt worden. Laut Sharma reichen die Vorräte auf allen Inseln für zwei Monate.


Bau von Notunterkünften zu teuer

Provisorische Notunterkünfte gibt es in den Risikogebieten nicht. "Die Kosten für den Bau von Zweitunterkünften für den seltenen Fall von Naturkatastrophen sind horrend", sagte Sinha. Staatliche Schulen seien besser zu nutzen, da sie über fließendes Wasser, sanitäre Anlagen, Lagerraum und große Räume verfügen.

Indien ist nicht das einzige Land, das ungenügend auf Naturkatastrophen vorbereitet ist. Als durch ein Beben am 11. März in Sri Lanka ein Verkehrschaos ausgelöst wurde, wies Staatspräsident Mahinda Rajapakse die Katastrophenschutzbehörde an, ihre Pläne für die Verkehrsführung bei Evakuierungen zu überarbeiten. Auf den Malediven gelang es staatlichen Stellen nur mit Mühe, die weit voneinander entfernt wohnenden Inselbewohner in Sicherheit zu bringen.

Im vergangenen Jahrtausend haben sich die meisten Tsunamis seismischer Natur an der Küste von Sumatra ereignet. Indonesien liegt über dem mehr als 7.400 Meter tiefen Sundagraben, der sich auf dem Grund des Indischen Ozeans zwischen zwei tektonischen Platten befindet. Er gilt als einer der tiefsten Orte der Erde. Laut einer Studie der kalifornischen 'Caltech University' stößt die Sundaplatte ständig gegen die Indische Platte. Deswegen ist an der Nordwestküste von Sumatra die Gefahr größerer Erdbeben besonders groß.

Forscher in den USA haben ermittelt, dass es in der Region fast jeden Monat stärkere Beben gibt. In der Vergangenheit wurden unter anderem in der Straße von Malakka, in Taiwan, in Gujarat sowie in anderen Teilen der Welt wie Alaska und Assisi in Italien größere Erdstöße am 11. und 26. Tag eines Monats registriert. (Ende/IPS/ck/2012)


Links:
http://www.incois.gov.in/Incois/incois1024/index/index.jsp?res=1024
http://www.cftri.com/
http://www.ipsnews.net/2012/06/turning-disaster-management-strategy-into-action-part-1/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Juni 2012