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ENERGIE/078: Elektrifizierung des Sudans (spektrum - Uni Bayreuth)


spektrum - Universität Bayreuth
10. Jahrgang · Ausgabe 2 · November 2014

Elektrifizierung des Sudans
Ein umstrittenes Mega-Energieprojekt

Von Valerie Hänsch


Elektrifizierung, Industrialisierung und Wirtschaftswachstum setzen in Afrika vor allem auf Wasserkraftwerke. Einige große Talsperren sind seit den 1950er Jahren, als der globale Dammbauboom einsetzte, gebaut worden. Von der Industrie und Politik als kostengünstige Erzeugung "grüner Energie" gepriesen und von Kritikern als "ökologische Desaster" beschrieben, sind Großstaudämme heute höchst umstritten. Seit einigen Jahren ist eine neue Welle an massiven Dammbauten in Afrika zu beobachten, allen voran der im Bau befindliche Millennium-Damm (5.200 Megawatt) in Äthiopien, der geplante Inga III-Damm (4.800 Megawatt) in der Demokratischen Republik Kongo und der 2009 in Betrieb genommene MeroweDamm (1.250 Megawatt) im Sudan.

Ein eigenes Forschungsvorhaben befasst sich mit der Implementierung des Merowe-Staudamms am 4. Nilkatarakt des Sudan und den damit einhergehenden Umsiedlungen. Aufbauend auf der in dieser Region geleisteten Grundlagenforschung von Prof. Dr. Kurt Beck an der Universität Bayreuth, nimmt das Projekt lokale Prozesse in den Blick. Denn Infrastrukturprojekte werden durch divergierende Interessen und Visionen einer Vielzahl unterschiedlicher Akteure beeinflusst und geformt. Die Untersuchung zeigt, dass die dabei entstehenden sozialen und politischen Dynamiken einem Planungsparadigma zuwiderlaufen, das sich mit der Moderne herausbildete: der technischen Kontrollierbarkeit von Natur und Gesellschaft.

Der Merowe-Damm ist Teil eines umfangreichen Plans zur Entwicklung des sudanesischen Niltals. Sechs weitere Staudämme sind entlang des Nils in Planung. Das Ziel ist, die existierende Leistung von 1.000 auf etwa 3.400 Megawatt zu steigern. Die Gesamtkosten des Merowe-Projektes von rund 2 Mrd. Euro werden zum überwiegenden Teil von Entwicklungsbanken der Golfstaaten und von der chinesischen Export-Import-Bank finanziert. Für die Bauarbeiten ist seit 2003 ein chinesisches Konsortium zuständig, die Bauleitung liegt dabei in den Händen der deutschen Ingenieursfirma Lahmeyer International.


Vertreibung der lokalen Bevölkerung mit katastrophalen Folgen

70.000 Menschen mussten dem Stausee weichen. Die überwiegend bäuerliche Bevölkerung betrieb hauptsächlich Bewässerungsfeldbau an den Flussufern. Regierung und beteiligte Firmen versprachen viele Vorteile durch die Umsiedlung. Auch eine Mehrheit der Gemeinschaft der Manasir (rund 67 Prozent der Umzusiedelnden) stimmte einer Umsiedlung in staatliche Großbewässerungsprojekte unter bestimmten Bedingungen zunächst zu. Im Laufe der Verhandlungen regten sich allerdings immer mehr Zweifel, da die Menschen ihre Rechte und Interessen an den Rand gedrängt sahen.

Zugleich entwickelte sich eine alternative Vision der Umsiedlung: Ein Großteil der Menschen wollte um den beim Bau des Merowe-Damms entstehenden Stausee siedeln. Sie hofften, auf diese Weise ihre kulturelle Autonomie und wirtschaftliche Eigenständigkeit zu bewahren. Nach zahlreichen Verhandlungsversuchen, Verhaftungen und militärischer Gewaltandrohung konnte 2006/07 ein Abkommen mit der Regierung erzielt werden, das den Bau von lokalen Siedlungsgebieten um den künftigen Stausee sowie einen Besitzstandszensus garantierte.

Im Sommer 2008 erfolgte die Aufstauung des Nils, noch bevor die lokalen Siedlungsgebiete fertiggestellt waren. Die Menschen interpretierten das Ansteigen des Nils zunächst als die jedes Jahr um diese Zeit einsetzende Hochflut. Sie mussten aber, als die Flut ihre Gehöfte überschwemmte, in die angrenzenden Wüsten flüchten. Die mehrere Monate andauernde Überflutung zwang viele Familien zu weiteren Umzügen. Ihre Lebensgrundlage, etwa zwei Drittel der landwirtschaftlichen Flächen und Dörfer, versank im Nil. In der darauf folgenden Zeit errichteten die Bewohner improvisierte Unterkünfte, versuchten neue Felder anzulegen und Fischereiprojekte für den Lebensunterhalt zu etablieren. Nur etwa ein Drittel der Manasir siedelte in die staatlichen Umsiedlungsprojekte über.


Plädoyer für flexiblere Planungen von Grossprojekten

Die Forschungsarbeiten zeigen, dass Umsiedlungen nicht auf lange Sicht, auf ein festgelegtes Ziel hin, gemäß einer technischen Logik geplant werden können. Was die Implementierung von Technologien und kulturellen Praktiken betrifft, so wird deutlich, dass es sich dabei um offene und nicht vorhersehbare Prozesse handelt. Mit diesen Forschungsergebnissen ist das Plädoyer für einen flexibleren Planungsansatz verbunden, der sich der Dynamik dieser Prozesse stellt. Großprojekten zugrunde liegende Modernisierungsvorstellungen neigen dazu, Umsiedlungen als Abläufe aufzufassen, die sich rational konzipieren und stringent umsetzen lassen - durch eine transnationale Gemeinschaft von Akteuren aus den Bereichen Planung, Technik und Politik, die alle ähnliche epistemische Voraussetzungen teilen.

Meinungen und Interessen unterscheiden sich jedoch und ändern sich in einem komplexen sozialpolitischen Prozess, der maßgeblich von Machtkämpfen gekennzeichnet ist; gerade dann, wenn grundlegende Lebenschancen auf dem Spiel stehen. Die von der World Commission on Dams im Jahr 2000 entwickelten Richtlinien wurden beim Bau des Merowe-Damms nicht eingehalten, die Rechte der Menschen wurden nicht gewahrt. Die Konsequenz ist eine Vertreibung, die zu einer sozialen Tragödie führte.(1)


Autorin

Valerie Hänsch, M.A., ist Doktorandin am Lehrstuhl für Ethnologie und der Bayreuth International Graduate School of African Studies (BIGSAS). Die Forschungsarbeiten zum Merowe-Damm und den damit verbundenen Umsiedlungen sind Teil ihres Dissertationsprojekts.


Anmerkung

1. Vgl. World Commission on Dams (2000), Dams and Development: A New Framework for Decision-Making, London: Earthscan


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. 1: Steigende Flut. Kinder beim Abbau eines provisorischen Lagers, das als Zuflucht gedient hatte.

Abb. 2 und 3: Oben: Insel Shirri, Manasirland, vor der Überflutung. Unten: Folgen der Überflutung für die Menschen.


Sie finden das Magazin als PDF-Datei mit Abbildungen unter:
http://www.uni-bayreuth.de/presse/spektrum/spektrum-pdf/ausgabe_02_14.pdf

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Quelle:
spektrum - Magazin der Universität Bayreuth
Ausgabe 2, November 2014, S. 48 - 49
Herausgeber: Universität Bayreuth
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Februar 2015

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