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GLOBAL/144: Welche Biodiversitätsziele gelten ab 2020? (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 3/2017

Die Wissenschaft hat festgestellt ...
Forschung zwischen Geld, Macht und Gemeinwohlinteressen

Welche Biodiversitätsziele gelten ab 2020?
Die Biodiversitätskonvention konsultiert zum strategischen Plan 2020-2030

von Friedrich Wulf


Der strategische Plan der Biodiversitätskonvention (CBD) für den Zeitraum 2010-2020 nähert sich seinem Erfüllungsdatum. Vor dem Hintergrund einer besorgniserregenden Zwischenbilanz und schwindender Priorität für das Thema organisiert die Biodiversitätskonvention nun den Prozess für den neuen strategischen Plan Post-2020. Nichtregierungsorganisationen (NGOs) sollten umfassend einbezogen werden und sich dafür engagieren, dass der neue strategische Plan die bisherigen Ziele beibehält.


Erinnern Sie sich noch? Vor 16 Jahren, 2001, beschloss der Ministerrat der Europäischen Union (EU) in Göteborg, den Verlust der Biodiversität bis 2010 zu stoppen. Die CBD schloss sich 2 Jahre später an und die Weltnaturschutzunion lancierte eine breit angelegte Kampagne 'Countdown 2010'. 2009 wurde dann klar, dass man das Ziel nicht würde erreichen können. Die EU kam in ihrer Analyse zu dem Schluss, dass man sich beim Biodiversitätsaktionsplan mit zu vielen Einzelmaßnahmen verzettelt und zu wenig kommuniziert habe. Die CBD stellte fest, dass ihr strategischer Plan zu sehr prozessorientiert und nicht messbar war. Im Oktober 2010 folgte als Reaktion dann ihre Sternstunde im japanischen Nagoya: Nach zähen Verhandlungen wurde ein neuer strategischer Plan vorgestellt, mit 20 klaren und messbaren, ergebnisorientierten Zielen, den sogenannten Aichi-Zielen, die bis heute die Richtschnur für die internationale Biodiversitätspolitik darstellen. Parallel dazu entwickelte die EU ihre Biodiversitätsstrategie mit 6 Zielen und 20 dazugehörigen Aktionen.

Zwischenbilanzen zeigen: Es muss viel mehr getan werden, um die Biodiversität zu retten

Nun sollte es an die Umsetzung gehen. Doch diese war trotz vorhandener Messbarkeit schleppend. Der 2014 publizierte 4. Globale Biodiversitätsbericht (GBO4)(1) zeigte, dass der Fortschritt zur Zielerreichung in den meisten Ländern zu langsam voranging, nicht stattfand oder dass man sich sogar weiter vom Ziel entfernte. Einzig die Annahme und nationale Ratifizierung des Nagoya-Protokolls (Aichi-Ziel 16) erfolgte fristgerecht, bis 2015. Wie die 13. Vertragsstaatenkonferenz der CBD (CBD COP 13) in Cancún im vergangenen Jahr feststellte,(2) sind die beiden anderen bis 2015 zu erreichenden Ziele bereits verfehlt worden (10 - Rettung der Korallenriffe, Eindämmung der Auswirkungen des CO2-Anstiegs, und 17 - Verabschiedung von nationalen strategischen Plänen zur Umsetzung der Aichi-Ziele in allen Vertragsstaaten). Nur 2 weitere Teilziele von Ziel 11 (17 Prozent an Land sind Schutzgebiet) und 18 (Wissen schaffen) sind "auf dem Weg". Aber auch zu Wasser müssen 10 Prozent an Schutzgebietsfläche erreicht werden, und diese müssen ihren Schutzzweck auch erfüllen und unter Einbeziehung aller Beteiligten gemanagt werden. Da hapert es dann schon ganz deutlich: Nur ein kleiner Teil der Schutzgebiete besitzt einen solchen Managementplan und vor allem in den Entwicklungsländern sind Schutzgebiete oft die klassischen "Käseglocken", zu deren Einrichtung die vorher ansässige Bevölkerung teilweise sogar vertrieben wird.

Besonders schlecht steht es um die folgenden Aichi-Ziele:

3 - Anreize. Kaum ein Staat hat bereits überhaupt seine biodiversitätsschädigenden Anreize klar identifiziert, geschweige denn abgeschafft.

5 - Lebensraumverlust halbieren oder wenn möglich stoppen. Zwar hat gemäß der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (UN) der Waldverlust global abgenommen, aber es bleibt die Frage nach dessen Qualität, andere Lebensräume gehen weiter ungebremst verloren und Degradierung und Zerstückelung schreiten weiter voran.

8 - Verschmutzung. Die Verschmutzung der Umwelt durch Stickstoff, Phosphat und Pestizide nimmt weiter zu, obwohl die Niveaus ein Mehrfaches über dem liegen, was die Natur verkraftet. Gerade im landwirtschaftlichen Bereich führt dies zu einem massiven Artenschwund.

10 - Druck auf Korallenriffe und andere klimasensible Lebensräume minimieren. Der Klimawandel schreitet weiter ungebremst voran, Meeresverschmutzung und Überfischung nehmen weiter zu.

12 - Aussterben von Arten verhindern. Nach wie vor sterben Arten aus, die Aussterberate hat sich für Wirbeltiere und Korallen nicht verringert.

14 - Essenzielle Ökosystemleistungen wiederherstellen oder bewahren. Die Debatte um den Wert von Ökosystemleistungen hat den Verlust der Ökosysteme bisher nicht gebremst.

Es fehlt am Willen

Neben dem Klimawandel ist der Biodiversitätsverlust das zweite große globale Umweltproblem, von dem das weitere Leben und Wohlbefinden des Menschen abhängt. Doch hat trotz dieser Abhängigkeit das Thema Umwelt z. B. bei den EU-BürgerInnen eine sehr geringe Priorität. Der politische Wille und auch die Lobby fehlen, um die Ziele tatsächlich umzusetzen. Mit Ernüchterung muss man 7 Jahre nach Verabschiedung des großen Rettungsplans feststellen, dass wir mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das Ziel, den Verlust der Biodiversität zu stoppen, 2020 erneut grandios verfehlen werden.

Der Prozess darf nicht von der Umsetzung ablenken, NGOs müssen sich umfassend beteiligen

Trotz der mangelnden Umsetzung der Ziele - oder auch vielleicht gerade deswegen - beginnt bereits jetzt der Blick nach vorne. Auf der CBD COP 15 im Jahr 2020 wird der neue strategische Plan der CBD beschlossen, der voraussichtlich bis 2030 gelten soll. Auf der CBD COP 13 wurde beschlossen, dass der Prozess dafür nun vorbereitet werden soll. Das CBD-Sekretariat hat in einer Online-Umfrage um Meinungen gebeten, wie der Prozess nun ablaufen soll; bis zum 15. September 2017 konnte man sich dazu äußern. Vieles davon wird eher technischer Natur sein, aber die folgenden Dinge erscheinen aus meiner Sicht unverzichtbar:

Der Prozess muss früh genug und in einer Weise stattfinden, dass die Öffentlichkeit sich umfassend beteiligen kann. Es muss eine Online-Konsultation zu den Inhalten von mindestens 2 Monaten Dauer stattfinden, deren Kernaussagen den CBD-Gremien vorgelegt wird.

Er muss andererseits spät genug stattfinden oder zumindest abgeschlossen werden, dass die Analyse zum vorhergehenden strategischen Plan und der GBO5 darin vollumfänglich einfließen und die neuesten Erkenntnisse berücksichtigt werden können.

Die letzten (!) CBD-bezogenen Treffen vor der COP 15 nach 2018 müssen sich des Themas umfassend annehmen. Nicht nur das wissenschaftliche Nebenorgan der CBD (SBSTTA); auch die vorbereitenden, exklusiven "Think tank"-Treffen (Friends of the CBD, Trondheim-Konferenz) und ihre regionalen Workshops sollten sich prioritär der Fortschreibung des strategischen Plans widmen.

Bis 2020 muss die Umsetzung der beschlossenen Aichi-Ziele durch alle AkteurInnen eine allerhöchste Priorität haben und mit Macht vorangetrieben werden, um nicht 2020 mit leeren Händen dazustehen. 2020 endet die UN-Dekade der Biodiversität; sie sollte erfolgreich enden.

Keine Experimente! - Warum auch nach 2020 die Aichi-Ziele gelten müssen

Die Aichi-Ziele, die 2010 beschlossen wurden, bilden ein gutes und umfassendes Gesamtkonzept, deren konsequente Umsetzung den angestrebten Stopp des Biodiversitätsverlusts tatsächlich bewirken könnte. Vieles hat lange Zeit gebraucht, um angestoßen zu werden: die Klärung der Nord-Süd-Finanzierung, die Umsetzung in nationale Aktionspläne (147 von 196 Ländern haben die Aichi-Ziele nun darin integriert), die Festlegung von Indikatoren(3) und die Verankerung des Themas Biodiversität in die Agenda 2030.(4) Wenn man nun den Strategischen Plan der CBD 2020 wieder ändert, riskiert man, dass auch diese Festlegungen erneut in Frage gestellt werden, und dass wieder Zeit und Energie darauf verwendet werden, neue Strategien zu entwickeln. Ein kompletter Wechsel des Zielekataloges ist daher wenig sinnvoll. Er würde eine Beurteilung des Fortschritts erheblich erschweren (mangelnde Vergleichbarkeit zu Vorjahren), möglicherweise eine zeitraubende Überarbeitung nationaler Strategien erfordern und massiv von der Priorität 1 ablenken - der Umsetzung. Das angestrebte Ziel ändert sich nicht. Zweifellos gab es mittlerweile einige Erkenntnisse und Weiterentwicklungen, die an wenigen Stellen eine Anpassung oder zumindest ein Update nahelegen. Grundsätzlich sollte der strategische Plan 2020-2030 sich aber aus den genannten Gründen so wenig wie irgend möglich von der jetzigen Fassung unterscheiden. Auch die vom CBD-Sekretariat bereits zusammengetragenen Rahmenbedingungen(5) legen es nahe, dass es nur wenige Anpassungen des strategischen Plans geben sollte. Dies sollten NGOs und Regierungen auch aufgreifen. Dass man die Ziele nicht erreicht haben wird, darf kein Grund sein, diese nun zu ändern. Ihre Erreichung ist zur Bewahrung des Lebens auf diesem Planeten notwendig und unverzichtbar, und wir dürfen sie nicht einfach ändern, nur weil wir zu wenig getan haben, um sie umzusetzen.


Autor Fiedrich Wulf ist bei Pro Natura für die Biodiversitäts-Konvention und ihre Umsetzung zuständig. Er koordiniert die AG Biodiversität des Forum Umwelt und Entwicklung.


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:
Nagoya, 30. Oktober 2010: Frenetischer Applaus des Publikums, als in den frühen Morgenstunden die Annahme des strategischen Plans der Biodiversitätskonvention (CBD) verkündet wird. Wird es auf der 15. CBD-Vertragsstaatenkonferenz Anlass zu ähnlichem Jubel geben?


Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NROs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.


Literatur
(1) https://www.cbd.int/gbo4/
(2) https://www.cbd.int/doc/decisions/cop-13/cop-13-dec-01-en.doc
(3) https://www.cbd.int/doc/decisions/cop-13/cop-13-dec-28-en.pdf
(4) Transformation unserer Welt: die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung, (2015).
http://www.un.org/depts/german/gv-70/a70-l1.pdf
(5) Approaches for the Preparation of the Post-2020 Global Biodiversity Framework - Information Note (15.06.2017): Chapters V and VI.
https://www.cbd.int/post2020/doc/Approaches-Post2020Biodiversity.pdf

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Quelle:
Rundbrief 3/2017, Seite 37 - 38
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 93, Fax: 030/678 1775 80
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Januar 2018

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