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KATASTROPHEN/064: Folgen von Fukushima - Selbsthilfe, Aufklärung und beobachtende Teilnahme (Strahlentelex)


Strahlentelex mit ElektrosmogReport
Unabhängiger Informationsdienst zu Radioaktivität, Strahlung und Gesundheit
Nr. 634-635 / 27. Jahrgang, 6. Juni 2013

Folgen von Fukushima
Selbsthilfe, Aufklärung und beobachtende Teilnahme
Tätigkeitsbericht der japanischen CRMS-Bürgermeßstellen

von Annette Hack



Zum zweiten Jahrestag der Katastrophe von Fukushima hat die japanische Organisation der CRMS-Bürgermeßstellen im April 2013 einen ersten ausführlichen Tätigkeitsbericht vorgelegt. [1] Dem Netzwerk gehören insgesamt 10 Meßstellen an, die CRMS-Meßstelle Fukushimashi hat die Koordinierungsfunktion und ist als gemeinnütziger Verein anerkannt. In der Präfektur Fukushima gibt es weitere 8 Meßstellen mit je eigenen Schwerpunkten. So beschäftigt sich die Meßstelle Koriyama regelmäßig mit den Mahlzeiten, die in Behinderteneinrichtungen angeboten werden. In Tamura wird der Aufbau eines eigenen Gemüseladens für das gemessene Gemüse vorbereitet. In Nihonmatsu sind die Vereinsmitglieder zumeist Bauern, die ihre eigenen Produkte regelmäßig messen lassen. Sukagawa mißt die Zutaten eines Restaurants, das gemessene Speisen und Veranstaltungen zu Themen der Strahlenbelastung anbietet. Die Meßstelle Minami-Soma arbeitet zur Umgebungsradioaktivität. [2] Die Meßstelle in Oguni, Stadtgemeinde Date, beschäftigt sich außer mit Messungen mit den Problemen, die durch partielle Evakuierung und Anbauverbote entstanden sind. Die zehnte Meßstelle liegt im Bezirk Setagaya von Tokyo etwa 90 Minuten mit dem Shinkansen von Fukushima entfernt. Neben den Messungen unterstützen die Aktiven hier internationale Verbindungen und verschiedene japanische Bewegungen zur Entschädigung und Hilfe für die vom Atomunfall direkt Betroffenen.

Jede Meßstelle hat einen oder mehrere Natriumjodid-Detektoren; Germanium-Detektoren haben nur die Meßstelle in der Stadt Fukushima und die Meßstelle Tokyo. Die Ergebnisse von Lebensmittelmessungen dieser 10 Meßstellen sind unter www.crmsjpn.com/mrdatafoodymd/ abrufbar (in japanischer Sprache, allerdings mit einem Sprachwahlfeld - powered by google - in der 4. Zeile).

Verschiedene Meßreihen zu einzelnen Lebensmitteln aus der gesamten Präfektur Fukushima sind in Berichten zusammengefaßt, die in japanischer Sprache unter http://crmsfukushima.blogspot.jp zu finden und auch als Ausdrucke erhältlich sind.

Insgesamt wurden bisher 6.886 Lebensmittelproben gemessen, von denen rund 90 Prozent aus der Präfektur Fukushima stammten oder dort im Handel waren. Die höchste Belastung wiesen bei den CRMS-Messungen getrocknete Shiitake (Pilze) mit 16.740 Becquerel pro Kilogramm (Bq/kg) Cäsium-Gesamtaktivität (Cäsium-137 plus Cäsium-134) auf. Sie gehörten zu den 1,25 Prozent der Messungen, die über dem alten amtlichen Grenzwert von 500 Bq/kg Cäsium-Gesamtaktivität liegen. Über dem neuen, seit April 2012 geltenden Grenzwert von 100 Bq/kg Gesamtcäsium lagen 6,56 Prozent der gemessenen Proben. Würde man den Grenzwert auf 50 Bq/kg Cäsium Gesamtaktivität senken, lägen 12,72 Prozent der gemessenen Proben darüber, einen Grenzwert von 10 Bq/kg würden 35,25 Prozent der Proben überschreiten. Der Durchschnittswert aller Proben, bei denen zwischen Cäsium-137 und Cäsium-134 unterschieden werden konnte, lag bei etwa 29 Bq/kg Cäsium-137 und etwa 21 Bq/kg Cäsium134. 42,5 Prozent der Proben lagen unter 5 Bq/kg.

Die Schlußfolgerung, daß der japanische Verbraucher recht gute Chancen hat, nicht oder gering belastete Lebensmittel zu sich zu nehmen, wäre allerdings verfehlt. Die "Ausreißer" fallen ins Gewicht: So lag zum Beispiel der Durchschnitt von 137 Meßproben Kürbis bei 14 Bq/kg Gesamtcäsium, der höchste gefundene Wert jedoch bei 216 Bq/kg Gesamtcäsium. Bei Süßkartoffeln betrug der Durchschnitt von 87 Proben 13 Bq/kg Gesamtcäsium, der Höchstwert jedoch 252 Bq/kg Gesamtcäsium. Bei den besonders von Kindern gerne verzehrten o-kashi, kleinen Kuchen und Keksen, lag der Durchschnitt von 24 Proben bei 23,2 Bq/kg Gesamtcäsium, der Höchstwert bei 317 Bq/kg Gesamtcäsium. 588 Proben von poliertem Reis ergaben einen Durchschnittswert von 6,6 Bq/kg Gesamtcäsium bei einem Höchstwert von 172,2 Bq/kg Gesamtcäsium. Bei unpoliertem Reis lag der Höchstwert bei 782 Bq/kg Gesamtcäsium, der Durchschnitt bei knapp 16 Bq/kg. Sojabohnen (oomame), in allen möglichen Zubereitungen fester Bestandteil der japanischen Küche, wurden 96 mal gemessen, wobei die höchste gefundene Belastung bei 715,6 Bq/kg Gesamtcäsium lag, der Durchschnitt bei "nur" 28,2 Bq/kg.

Außer Lebensmitteln haben die CRMS-Meßstellen auch Brunnen-, Teich- und Trinkwasser, Schlamm und Straßenstaub, gefallenes Laub und Tierfutter für Haustiere gemessen. Unter den außerhalb der Präfektur Fukushima gesammelten Proben ist Kaminasche aus der Stadt Hanno (Präfektur Saitama, etwa 200 Kilometer südwestlich der Fukushima-Reaktoren) auffällig, die mit 316 Bq/kg Cs134 und 655 Bq/kg Cs-137 belastet war (Messung vom 6. 3. 2013). In ähnlicher Entfernung, aber etwas weiter westlich, liegt der Ort Kawabamura (Tone-gun, Präfektur Gunma), wo gefallenes Laub Belastungen von 3.546 Bq/kg Cs-134 und 5.450 Bq/kg Cs-137 aufwies (Messung vom 8.9.2012).

Die CRMS-Meßstellen müssen für ihre Messungen eine Gebühr nehmen, um ihren Betrieb mitzufinanzieren und ihre Unabhängigkeit zu erhalten. Die Präfektur Fukushima hat inzwischen etwa 300 Meßgeräte aufstellen lassen, wo die Bürger Proben kostenlos messen lassen können. Das ist keine leichte Situation für die unabhängigen CRMS-Meßstellen.

Messungen am Ganzkörpermeßgerät, das CRMS Fukushima zusätzlich betreibt, sind für Kinder und schwangere Frauen kostenlos, für andere Personen wird eine Gebühr verlangt.

Seit Juni 2011 hat CRMS mit einem überregionalen Netzwerk von Kinderärzten mehrfach Gesundheitsberatungen durchgeführt, seit Anfang 2013 ist es möglich, solche Veranstaltungen einmal im Monat anzubieten. Dabei geht es nicht nur um die Interpretation und Bewertung der amtlichen Reihenuntersuchungen im Rahmen der Gesundheitsstudie der Präfektur Fukushima, oder um die Werte von Personendosimetern, die Kinder an manchen Schulen tragen müssen. Es können auch Alltagssorgen besprochen und "Ferien von der Strahlung" vermittelt werden, die Gruppen und Bürgerorganisationen in verschiedenen Regionen Japans für Kinder aus belasteten Gegenden und deren Eltern anbieten. Inzwischen kann CRMS derartige Veranstaltungen zur Kindergesundheit auch in anderen Teilen Japans, wo Evakuierte und Strahlenflüchtlinge leben, anbieten. In diesem Zusammenhang ist auch das "Lebensnotizbuch" zu erwähnen, das CRMS entwickelt hat. Es handelt sich dabei um ein Notiz- und Tagebuch für Mütter, die dort Gesundheitsdaten und Strahlenbelastungen für ihre Familienangehörigen, insbesondere für die Kinder, sowie die Ergebnisse ärztlicher Untersuchungen festhalten können. Das ist ein wichtiger Schritt zur Autonomie der Betroffenen, denn schon bei den Schilddrüsen-Reihenuntersuchungen der Präfektur Fukushima wurde deutlich, daß es für Eltern ein bürokratischer Marathon ist, an die Daten ihrer Kinder zu gelangen.

Im Juni 2012 veranstaltete CRMS einen ersten internationalen Kongress. Ein Teil der Beiträge ist inzwischen als Broschüre veröffentlicht, die Übersetzung und Publikation der restlichen Vorträge und Diskussionen ist in Arbeit und ein weiterer Kongress in Vorbereitung. Den internationalen Austausch hält CRMS für besonders notwendig. Die Präfektur Fukushima und die IAEA haben nämlich ein Memorandum unterzeichnet über ihre Zusammenarbeit und wollen auch ein gemeinsames "Internationales Medizinisches Zentrum Fukushima" errichten. Der verharmlosenden, radioaktivitätsfreundlichen herrschenden Lehre will man bei CRMS jedoch keinesfalls das Feld überlassen. Auch die Auseinandersetzung um die staatliche Studie zum Gesundheitsmanagement der Bevölkerung in der Präfektur Fukushima muß weiter geführt werden. Internationale Unterstützung und kritische Begleitung ist weiterhin sehr willkommen.

CRMS arbeitet außerdem mit anderen Bürgerorganisationen und -gruppen an der Frage der Umsetzung des im Juni 2012 vom japanischen Parlament beschlossenen Gesetzes zur Hilfe für Kinder und andere Betroffene des Atomunfalls (japanische Kurzbezeichnung: shi'en-hou). Das Gesetz geht über die Bekundung guten Willens nicht hinaus. Durchführungsbestimmungen, in denen geklärt würde, in welchen Gebieten und auf wen es angewendet wird, und welche Hilfen gewährt werden, lassen bisher auf sich warten. Stattdessen wurde zum Jahresende 2012 die finanzielle Unterstützung bei der Wohnungssuche für Menschen eingestellt, die die Präfektur Fukushima verlassen wollen. In der Folge wurden die Evakuierungszonen geändert und in manchen Gebieten die Bewohner zur Rückkehr gedrängt. Die Botschaften sind: "In Fukushima ist alles wieder in Ordnung", "Kehrt zurück und beteiligt Euch am Wiederaufbau" und dergleichen. Damit will sich das Bürgerbündnis nicht abfinden. [3]


Anmerkungen

1. www.crms-jpn.com und Ergebnisse von Lebensmittelmessungen unter www.crmsjpn.com/mrdatafoodymd/
Verschiedene Meßreihen zu einzelnen Lebensmitteln aus der gesamten Präfektur Fukushima sind zudem in Berichten zusammengefaßt, die in japanischer Sprache unter http://crms-fukushima.blogspot.jp zu finden und auch als Ausdrucke erhältlich sind.

2. Falsche Strahlenmessungen beim behördlichen Umweltmonitoring in Fukushima, Strahlentelex 624-625 vom 3.1.2013, S. 1-3,
www.strahlentelex.de/Stx_13_624-625_S01-03.pdf

3. Einzelheiten dazu unter http://shiminkaigi.jimdo.com


Der Artikel ist auf der Website des Strahlentelex zu finden unter
http://www.strahlentelex.de/Stx_13_634-635_S06-07.pdf

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Quelle:
Strahlentelex mit ElektrosmogReport, Juni 2013, Seite 6-7
Herausgeber und Verlag:
Thomas Dersee, Strahlentelex
Waldstr. 49, 15566 Schöneiche bei Berlin
Tel.: 030/435 28 40, Fax: 030/64 32 91 67
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Internet: www.strahlentelex.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. August 2012