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KLIMA/001: Cochabamba - Die alternativen Umwelt- und Klimaverhandlungen in Bolivien (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 157 - August/September 2010
Die Berliner Umweltzeitung

Bürgerbewegung für den Klimaschutz
Cochabamba: Die alternativen Umwelt- und Klimaverhandlungen in Bolivien

Von Nicolaus J. Yuan


Wenn Sie jetzt noch nicht das Volksbegehren "Unser Wasser" hier vor Ort, in Berlin, unterschrieben haben, dann gehören Sie wahrscheinlich nicht zu den Menschen, die auf Anhieb nachvollziehen werden, was sich gerade in Bolivien, Cochabamba ereignet. Eine Bürgerbewegung wächst weiter an, Aktivisten aus aller Welt vernetzen sich und wichtige Initiativen werden gegründet, die das Ungleichgewicht in dieser Welt korrigieren könnten.


Eine neue Staatsidentität entwickelt sich

Am 25. Januar 2009 gab sich Bolivien eine neue Verfassung. Darin werden natürliche Ressourcen des Landes als Eigentum der gesamten Bevölkerung definiert und der angestrebte Demokratisierungsprozess wird weitergeführt.

Dezentralisierung und Autonomie werden unterstützt. Die sozialen, politischen und zivilen Rechte der Bevölkerung wurden um die "Rechte der dritten Generation" ausgeweitet, wie das Recht auf kollektive Identität und Kultur und der Zugang zur Grundversorgung wie Trinkwasser, Elektrizität, Gas; Zugang zu Post und Telekommunikation.

Um diese Grunddienstleistungen für jeden Bürger zu gewährleisten, müssten sie in öffentlicher Hand liegen. Anfang Mai drängte Evo Morales, Präsident des plurinationalen Staates Bolivien, die Privatwirtschaft weiter zurück. Er ließ Energieversorgungsunternehmen von Polizei und Militär besetzen und ordnete einen Preisnachlass auf Strom von 20 Prozent für 80 Prozent der Verbraucher an. Seit seinem Amtsantritt 2005 ist der Mindestarbeitslohn stufenweise um insgesamt 45 Prozent erhöht worden.

Ganz reibungslos vollzog sich dieser Prozess aber nicht. In letzter Zeit wächst allerdings die Zustimmung zu dezentraler und föderaler Ausrichtung der Politik des Landes. Einiges hat sich in der letzten Dekade in Lateinamerika verändert.

Ziemlich genau 10 Jahre zuvor wurde in Cochabamba noch das Kriegsrecht ausgerufen, weil die Proteste eskalierten, die in Folge der Wasserprivatisierung über die Stadt rollten. Mitte April 2000 wurde die Privatisierung aufgrund der anhaltenden Straßenschlachten zurückgenommen. Seit dem gilt Cochabamba als ein Symbol des Widerstands gegen die Privatisierung der Grundversorgung. Szenen aus diesem Konflikt und dessen globaler Zusammenhang sind hervorragend dokumentiert in dem Film "Der große Ausverkauf" von Florian Opitz.


Über Klimawandel und Rechte der "Mutter Erde"

Von 19. bis 22. April fanden sich 35.000 Menschen aus über 140 Ländern in Cochabamba zusammen und erarbeiteten eine umfassende Deklaration. Vertreter aus 47 Ländern beteiligten sich an diesem Vorhaben. Allen voran Bolivien, Venezuela und Kuba, die sich im Dezember 2009 weigerten, die Resolution der Klimakonferenz von Kopenhagen zu unterzeichnen.

In 18 Arbeitsgruppen wurde daran gearbeitet, alle verschiedenartigen Meinungen mit einzubeziehen und die Weltsicht der indigenen Völker aus nah und fern in einem offi ziellen Text niederzuschreiben. Das Ergebnis ist das in allgemein verständlicher Sprache verfasste "Abkommen der Völker", in dem nichts Geringeres festgelegt ist, als die Rechte der Pachamama - der "Mutter Erde".

Als gleichgewichtig zu den bereits von der UN anerkannten Menschenrechten seien diese Rechte der "Mutter Erde" zu betrachten. Um das Verhältnis von Mensch und Natur wieder in ein Gleichgewicht zu bringen, bedürfe es einer angemessenen Gleichstellung der Rechte beider.

Das gelebte Ungleichgewicht, das von den entwickelten Industrienationen vorgegeben wird und sich den restlichen Staaten der Welt aufdrängt, scheint sich allerdings nicht so einfach durch dieses Ergebnis berichtigen zu lassen. Denn die Industrienationen und Weltkonzerne setzen weiterhin darauf, mit neuen instrumentellen Methoden und Technologien den multiplen sozialökologischen Problemen und Krisen entgegenzuwirken, die in dem Begriff des Klimawandels kumulieren.

Die indigenen Völker erkennen in diesem Vorgehen allerdings eine fortschreitende Privatisierung der Natur, die mit dem derzeit vorherrschenden Kapitalismus einhergeht. In dem "Abkommen der Völker" werden explizit Agrotreibstoffe, Emissionshandel, Gentechik, Nanotechnologie, Geo-Engineering, Monokulturen und dergleichen als falsche Lösungen angeprangert. Bei den Klimaverhandlungen von Kopenhagen 2009 und wohl auch als nächstes im Dezember in Cancún (Mexiko) werde nicht die wahre Wurzel des Problems angegangen.

Die alles andere als nachhaltig strukturierten Konsum- und Produktionszyklen der entwickelten Länder und das derzeitige, alles in Geldwert ausdrückende, monetäre System, das diese begünstigt, wurden als eine der Hauptursachen des Klimawandels ausgemacht. In dem Abkommen von Cochabamba heißt es: "Der Kapitalismus braucht eine leistungsfähige Militärindustrie für seinen Akkumulationsprozess und die Kontrolle von Territorien und Naturressourcen, um den Widerstand der Völker zu unterdrücken. Es handelt sich um ein imperialistisches System der Kolonisierung des Planeten. Die Menschheit befi ndet sich vor einer großen Entscheidungsfrage: die Wege des Kapitalismus, der Plünderung und des Todes fortzusetzen oder den Weg der Harmonie mit der Natur und der Achtung vor dem Leben einzuschlagen."

Vorschläge für richtige Lösungswege finden sich auch in diesem Abkommen: So werden die Einrichtung eines Weltklimafonds, in den die entwickelten Staaten einzuzahlen haben, sowie die Schaffung eines internationalen Klimaund Umweltgerichtshofes gefordert.

Nach wie vor stehen sich zwei Tendenzen gegenüber: die eine naturverbunden - die andere materialistisch. Für ein Zusammenfinden der beiden Fronten der Klimaverhandlungen muss die Vormachtstellung der industriell und militärisch entwickelten Länder aufgegeben und ein Dialog gefunden werden. Ob es zu diesem kommt, bleibt allerdings fraglich. Um Aufnahme des "Abkommens der Völker" in die Basistexte für die nächste UN-Klimakonferenz wird weiterhin verhandelt.

pwccc.wordpress.com/support
www.yesmagazine.org/blogs/a-peoples-climate-summit
www.cityprojectca.org
www.etcgroup.org


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Quelle:
DER RABE RALF - 21. Jahrgang, Nr. 157, August/September 2010
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. September 2010