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KLIMA/139: KlimaKompakt Spezial Nr. 51 - Germanwatch-Analyse des Klimagipfels 2011 in Südafrika (GW)


KlimaKompakt Spezial Nr. 51 / 15.12.11

Nach dem Durchbruch für rechtliche Verbindlichkeit in Durban: Jetzt die Ambitions- und Finanzierungslücke schließen

Germanwatch-Analyse des Klimagipfels 2011 in Südafrika


Das Ergebnis von Durban hat zwei Gesichter. Das eine ist die neue geopolitische Situation: In den vergangenen sechs Jahren wurden die klimapolitischen Verhandlungen in zwei getrennten Strängen verhandelt. Der erste Verhandlungsstrang beschäftigte sich mit den zukünftigen Klimaschutzzielen der Industrieländer unter dem Kyoto-Protokoll (mit Ausnahme der USA). Der zweite beinhaltete Verhandlungen über Klimaschutzverpflichtungen der Entwicklungs- und Schwellenländer sowie den USA - also denjenigen, die keine bindenden Emissionsverpflichtungen wollten - und darüber hinaus Aspekte der finanziellen und technologischen Zusammenarbeit für Klimaschutz und Anpassung zwischen allen Industrie-, Entwicklungs- und Schwellenländern. Diese Teilung ist Ende nächsten Jahres Geschichte. Damit erkennt auch die Klimadiplomatie an, dass sich die Welt in den vergangenen 20 Jahren stark geändert hat und dass die ehemals wirtschaftlich derart dominierenden Industrieländer auf Augenhöhe mit den Schwellenländern sind. Damit ist sowohl das "Ende der Freiwilligkeit" eingeläutet als auch das Ende der Zeit, in der Schwellenländer keine absoluten Begrenzungsverpflichtungen haben. Die Bewegung der großen Schwellenländer in diese Richtung - insbesondere von China und Indien - verändert die Klima-Geopolitik und hat das Potenzial die USA in die Defensive zu bringen. Das andere Gesicht ist das der Klimaschutzpolitik. Dort fehlt den Beschlüssen von Durban weitgehend die Substanz. Die notwendige weltweite Kehrtwende zur Beschränkung der Erwärmung auf unter 2 Grad wurde nicht angegangen, jetzt sind gerade mal 3,5 bis 4 Grad Erwärmung in Reichweite. Das bedeutet: Die Zeit drängt nun noch mehr. Denn nach dem Durban-Fahrplan sollen die nächsten völkerrechtlich verbindlichen Ergebnisse zur Emissionsminderung zwar schon im Jahr 2015 vereinbart sein, sie sollen jedoch erst 2020 in Kraft treten. Das ist zu spät, um zu erreichen, dass die weltweiten Emissionen ab 2015 (oder allerspätestens 2020) sinken - für das Einhalten des Zwei-Grad-Limits wäre dies aber notwendig.

Die nächsten drei Jahre werden jetzt von der Debatte geprägt sein, ob die notwendige Ambition - innerhalb und außerhalb des Prozesses - noch erreicht werden kann. Eine gewisse Unterstützung erhält dieses Unterfangen einerseits dadurch, dass in Durban, eher nebenbei, der sogenannte 'erste periodische Review' (2013-2015) beschlossen wurde. Dieser soll in den ersten zwei Jahren im Rahmen einer technischen Phase die neuen Erkenntnisse der Klimawissenschaft (insbesondere die des Fünften Sachstandsberichts des Weltklimarates IPCC) analysieren und im Jahr 2015 zu angemessenem Handeln der Staatengemeinschaft für mehr Klimaschutz führen, um noch unter zwei Grad Erwärmung zu bleiben. Andererseits wurde von allen Ländern die Initiierung eines Arbeitsprogramms vereinbart, das es noch zu konkretisieren gilt, um die Ambition im Klimaschutz so bald wie möglich zu erhöhen. Dies kann jedoch nur erfolgreich sein, wenn die Allianz zwischen den besonders verletzlichen kleinen Inselstaaten und den ärmsten Staaten mit der EU, die in Durban die anderen Staaten vor sich hertrieb, nun auch das Ambitionsthema gemeinsam angeht. Eine notwendige Bedingung, damit die EU eine solche Allianz glaubwürdig anführen kann, ist, dass sie in den nächsten sechs Monaten ihr Reduktionsziel von 20 auf 30 Prozent erhöht.


Der Blick zurück: Die Klimagipfel in Kopenhagen und Cancún

In Kopenhagen (2009) war der Versuch des "großen Wurfs" gescheitert, ein faires, rechtlich verbindliches und wissenschaftlich begründetes Abkommen für den internationalen Klimaschutz zu verabschieden. Danach stand die internationale Klimadiplomatie vor der Frage, wie auf dem Scherbenhaufen von Kopenhagen - trotz des immensen Vertrauensverlustes durch Verfahren und Ergebnis des Gipfels - wieder eine Aufwärtsspirale in Gang gebracht werden kann. In Cancún (2010) gelang es, vieles von dem, was in Kopenhagen schon möglich gewesen wäre, "einzusammeln" und in den Abkommen als Beschluss festzuhalten. Zum ersten Mal wurde zudem das Ziel, den globalen Klimawandel auf weniger als 2 Grad, wenn nicht sogar 1,5 Grad, zu begrenzen, von der Staatengemeinschaft verabschiedet. Zugleich wurden die freiwilligen Klimaschutz-Selbstverpflichtungen als Beschlüsse festgehalten. Doch es ist offensichtlich, dass diese freiwilligen Ziele die Welt eher auf den Weg zu 3 bis 4 Grad Temperaturerhöhung führen.

In Durban konnte nun verhindert werden, dass sich die Welt - wie von den USA angepeilt - mit einem rechtlich unverbindlichen Klimaschutz zufrieden gibt. Durchgesetzt wurde hingegen ein gemeinsamer Fahrplan für ein rechtlich verbindliches Regime. Die Lokomotive dazu ist die zweite Verpflichtungsperiode des Kyoto-Protokolls. Es sind wohl nur noch europäische Staaten, die diese bestreiten. Aber durch diese Vorreiterrolle war die EU in einer weitaus komfortableren Verhandlungslage als in Kopenhagen. Die großen Gruppen der gegenüber dem Klimawandel besonders verletzlichen Entwicklungsländer sahen die EU als Verbündeten im Kampf, die notwendige rechtliche Verbindlichkeit so weit wie möglich durchzusetzen. Ohne diese Allianz wäre der Gipfel gescheitert bzw. mit sehr schlechten Ergebnissen geendet. Die großen Schwellenländer sahen in der EU ihren wichtigsten Verhandlungspartner.

Die Entscheidungen von Durban können daher in drei Bereiche eingeordnet werden:

1. Konturen des neuen Klima-Regimes: Mit der Etablierung der neuen "Ad Hoc Working Group on the Durban Platform for Enhanced Action" (Ad-hoc-Arbeitsgruppe zur Durban-Plattform für verstärktes Handeln) wurde ein Prozess lanciert, der in einem für alle Länder rechtlich verbindlichen Abkommen münden soll ("develop a protocol, another legal instrument or an agreed outcome with legal force under the UNFCCC applicable to all Parties"). Dieses soll bis 2015 verhandelt und dann ab 2020 umgesetzt werden. Da allerdings absehbar ist, dass die USA erstens bis zum Abschluss des Vertrages im Jahr 2015 ihre Ambition (minus 17 Prozent gegenüber 2005) nicht steigern können und vor 2020 ein rechtlich verbindliches Abkommen nicht ratifizieren werden, müssen insbesondere die EU und die großen Schwellenländer bis 2015 die mutige Entscheidung treffen: Sind sie zu der notwendigen Ambition und rechtlichen Verbindlichkeit dennoch bereit? Dieses Signal böte zudem die einzige realistische Chance, dass die USA relativ zügig doch dazu käme. (Ambition und rechtliche Verbindlichkeit mit den USA kann es nur geben, wenn die anderen zunächst ohne USA vorangehen.)

2. Verpflichtungsperiode des Kyoto-Protokolls: Die zweite Verpflichtungsperiode wurde beschlossen. Allerdings ist noch unklar, ob sie bis 2017 oder 2020 dauern soll; diese Frage, sowie weitere Regeln sollen im Jahr 2012 weiter verhandelt werden. Dazu gehören auch die Emissionsminderungsziele der Industrieländer, die in der zweiten Verpflichtungsperiode mitmachen werden (vermutlich sind das vor allem die EU, Norwegen und die Schweiz);

3. Operationalisierung der Cancún Agreements: Dies geschah durch eine Reihe von Entscheidungen, darunter die Gründung von Institutionen wie dem neuen Green Climate Fund zur Unterstützung von Klimaschutz und Anpassung in Entwicklungsländern, den Komitees für Anpassung und Finanzierung, der Konkretisierung von Arbeitsprogrammen zu Anpassung etc.


Der Blick nach vorne: Die Strategie für die Zukunft

Nachdem die Verbindlichkeitslücke einigermaßen geschlossen worden ist, muss es in den nächsten drei Jahren darum gehen, die Ambitionslücke und - eng damit verknüpft - die Finanzierungslücke zu schließen. Dies ist die Grundlage, um 2015 einerseits das neue Post-2020-Abkommen (das rechtlich verbindliche Reduzierungs- und Begrenzungsziele für alle großen Emittenten enthält) zu verabschieden und andererseits die bis dahin erreichten Aktivitäten und Beschlüsse für gesteigerte Klimaschutzambition für die Zeit vor 2020 zu bündeln. Diese Ambitionssteigerung soll also nicht erst 2015 beginnen, sondern sofort. Die bereits angesprochene notwendige Steigerung des 20-Prozent-Ziels der EU könnte den Startschuss für den Wettlauf zu mehr Ambition bedeuten.

Es ist absehbar, dass das Schließen der Ambitions- und Finanzierungslücken nicht vom UN-Klimaverhandlungsprozess alleine geleistet werden kann. Es geht um eine Strategie, die Handeln, Verhandeln und den Aufbau von Allianzen miteinander verknüpft.


Handeln

Unabhängig von den internationalen Verhandlungen sind jetzt alle Staaten, Regionen, Kommunen, Unternehmen und zivilgesellschaftlichen Akteure gefragt, den Nachweis zu erbringen, dass weit mehr möglich ist, als die Staaten in Kopenhagen und Cancún auf den Tisch gelegt haben. Für die internationale Debatte ist dabei besonders wichtig, ob die Energiewende in Deutschland gelingt und damit ein Industrieland zeigt, dass eine klimafreundliche Entwicklung möglich ist. Zugleich schaut die Welt auf China: Werden die im neuen Fünfjahresplan (März 2011) etablierten "Low Carbon Development-Zonen", die immerhin 300 Mio. Menschen umfassen, eine Erfolgsgeschichte? Ein Pfad, der auch dem Rest Chinas und anderen Schwellenländern zeigt: Wohlstand und Energiesicherheit lassen sich heute nur noch auf einem kohlenstoffarmen Pfad erreichen. Der Erfolg dieser beiden "Großexperimente" wird maßgeblich über das Tempo der künftigen internationalen Klimapolitik entscheiden.

Die EU müsste die Erhöhung ihres 20-Prozent-Ziels auf 30 Prozent zu einer Investitionsstrategie (Energieeffizienz, Erneuerbare Energien, Stromnetze und -speicher ...) ausgestalten, die die Bekämpfung der Wirtschaftskrise mit der der Klimakrise verknüpft. Dies kann ein wesentlicher Bestandteil der Green Growth (OECD), Green Economy (Rio20+) und Low Carbon Development-Strategien (Cancún Agreement) sein, zu denen sich Deutschland und die EU verpflichten bzw. schon verpflichtet haben.


Verhandeln

Im UN-Klimaverhandlungsprozess geht es in Bezug auf die Ambitionslücke insbesondere darum:

1. eine Strategie zur Ambitionssteigerung vor 2015 zu befördern;

2. bis 2015 eine Strategie zu beschließen, wie die dann noch verbleibende Lücke für den Klimaschutz bis 2020 geschlossen werden kann;

3. 2015 ein rechtlich verbindliches Abkommen für die Zeit nach 2020 mit der notwendigen Ambition zu beschließen. Wenn dies - was absehbar ist - nicht mit den USA geschehen kann, sollte dies als plurilaterales Abkommen ausgestaltet werden;

4. In der G20 müssen die notwendigen Vorentscheidungen getroffen werden, wie die Industrieländer ihr Versprechen einhalten wollen, die Mobilisierung von Klimageldern für Klima- und Regenwaldschutz in Entwicklungsländern so zu steigern, dass dies 2020 einen Geldfluss von 100 Mrd. US-Dollar jährlich ausmacht. UNFCCC ist dann der "Landeplatz" für entsprechende Beschlüsse:

5. Im Viereck zwischen EU, G20, UNFCCC, ICAO/IMO [1] gilt es endlich verbindlichen Klimaschutz für den internationalen Flug- und Schiffsverkehr so festzulegen, dass nicht nur die Emissionen begrenzt, sondern auch erhebliche Gelder für den internationalen Klimaschutz und Anpassung freigesetzt werden. Außerdem gilt es, eine Finanztransaktionssteuer zum Erfolg zu führen. Ein Teil der Einnahmen sollte für Klimazwecke genutzt werden.


Allianzen

Aufbauend auf der Allianzbildung in Durban gilt es nun, die Zusammenarbeit mit progressiven Entwicklungsländern zu konsolidieren. Die South African Renewables Intiative (SARI) - eine Partnerschaft von vier südafrikanischen Ministerien mit Deutschland, dem Vereinigten Königreich, Norwegen, der Schweiz und der Europäischen Investitionsbank - könnte ein Modell für eine Allianz mit einem großen Schwellenland sein. Ob es gelingt eine intelligente Verzahnung verschiedener Allianzen auf den Weg zu bringen, die den Weg zu mehr Ambition bahnen, wird maßgeblich darüber entscheiden, beim Handeln und Verhandeln die notwendige Steigerung der Ambition hinzubekommen. Deutschland ist gut positioniert, in den kommenden beiden Jahren eine solche Vorreiterkoalition zur Schließung der Ambitionslücke aufzubauen. Klar ist, ohne die großen Schwellenländer und die EU kann eine solche Allianz nicht erfolgreich sein. Einen solchen Pfad gilt es auch bilateral intensiv zu prüfen.

Christoph Bals, Politischer Geschäftsführer von Germanwatch, Sven Harmeling, Teamleiter Internationale Klimapolitik und Dr. Manfred Treber, Klima- und Verkehrsreferent.


Stand: 15.12.11


Diese Veröffentlichung wurde mit Unterstützung der Europäischen Union und des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung erstellt. Für den Inhalt dieser Veröffentlichung ist allein Germanwatch verantwortlich. Der Inhalt kann in keiner Weise als Standpunkt der Zuschussgeber angesehen werden.

[1]
ICAO = International Civil Aviation Organization (Internationale Zivilluftfahrtorganisation)
IMO = International Maritime Organization (Internationale Seeschifffahrts-Organisation)


*


Quelle:
KlimaKompakt Spezial Nr. 51 / 15.12.11
Herausgeber:
Germanwatch e.V.
Dr. Werner-Schuster-Haus
Kaiserstr. 201, 53113 Bonn
Tel.: 0228/60492-0, Fax: 0228/60492-19
E-mail: klimakompakt@germanwatch.org
Internet: http://www.germanwatch.org


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Dezember 2011