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KLIMA/392: St. Vincent - Verheerende Klimaanomalien, doch Waldzerstörung geht unvermindert weiter (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 15. Mai 2015

St. Vincent: Verheerende Klimaanomalien - Doch Waldzerstörung geht unvermindert weiter

von Kenton X. Chance


Bild: © Kenton X. Chance/IPS

Der Anstieg des Meeresspiegels hatte die Evakuierung der Menschen aus dem Küstengebiet und den Bau einer Schutzanlage zur Folge
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KINGSTOWN (IPS) - Joel Poyer ist Forsttechniker von Beruf und nach 32 Jahren in seinem Job mit dem Zustand der Wälder von St. Vincent und den Grenadinen bestens vertraut. In 18 Monaten geht er in Rente. Bis dahin will er Behörden und Bevölkerung des ostkaribischen Inselstaates von der Notwendigkeit überzeugen, den weiteren rapiden Verlust der Wälder zu stoppen.

Wie der 54-jährige Sozial- und Gewerkschaftsaktivist berichtet, werden Waldstücke legal und illegal gerodet, um Agrarflächen Platz zu machen. Nach einigen Jahren der Ausbeutung gäben die Bauern die Gebiete wieder auf, um dann anderswo ihr Werk der Zerstörung fortzusetzen. "Das alles erinnert mich an ein Krebsgeschwür, das uns von innen heraus auffrisst", meint er.

In den vergangenen Jahren haben die vermehrten und intensiver werdenden Wetteranomalien der Bevölkerung von St. Vincent und den Grenadinen eindringlich vor Augen geführt, was den Küsten- und Wohngebieten zustoßen kann, wenn die Wälder erst verschwunden sind. In den letzten fünf Jahren haben drei extreme Wetterereignisse Schäden und Verluste in Höhe von 222 Millionen US-Dollar angerichtet. Das entspricht einem Anteil am nationalen Bruttoinlandsprodukt von 60 Prozent.


Häufung von Katastrophen

2010 hatte Hurrikan 'Tomas' Schäden im Wert von 24 Millionen Dollar angerichtet. Die Bewohner von 1.200 Hütten und Häusern mussten in Notunterkünfte umziehen. Der Hurrikan verwüstete auch viele Farmen. 98 Prozent der Bananenstauden auf den vulkanischen Inseln wurden zerstört - für viele Familien die wichtigsten Einnahmequellen.

Im April 2011 lösten schwere Niederschläge Erdrutsche aus. Flüsse traten über ihre Ufer und beschädigten rund 60 Häuser in Georgetown an der Nordostküste von St. Vincent. Nicht nur, dass sich die Wetteranomalien in einer traditionell trockenen Jahreszeit einstellten und Schäden in Höhe von 32 Millionen Dollar verursachten. Auch sah sich die Bevölkerung mit Massen an Hölzern konfrontiert, die mit den Flüssen in die Stadt geschwemmt wurden.

Am 24. Dezember 2013 lösten für die Jahreszeit unübliche Niederschläge Erdrutsche und Überschwemmungen aus, die sich in Schäden und Verlusten in Höhe von 122 Millionen Dollar niederschlugen. Erneut wunderten sich die Menschen über die vielen Stämme und Hölzer, die die angeschwollenen Flüsse in die Städte und Dörfer schwemmten und die wie Rammböcke wirkten, durch die die Schäden an Gebäuden und Infrastrukturen verschärft wurden. In der Mehrheit handelte es sich nicht um durch die Unwetter entwurzelten Bäume, sondern um bereits gefällte beziehungsweise abgestorbene Hölzer.


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Bei den Überschwemmungen am 24. Dezember 2013 führten die Flüsse Hölzer und Stämme mit sich, die die Schäden verschlimmerten
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"Wir müssen unsere Wälder im Auge behalten", meinte der Regierungschef Ralph Gonsalves im Anschluss an die Unwetter im Dezember 2013 gegenüber den Medien und gab den Anteil der beschädigten Wälder mit zehn Prozent an. Wie er betonte, ist es wichtig, die abgestorbenen Hölzer flussaufwärts zu entfernen und die Flüsse an ihren Oberläufen abzusichern.

Fast eineinhalb Jahre sind seit dieser Umweltkatastrophe vergangen, und viele Hölzer und Stämme konnten abtransportiert werden. "Die noch zu leistende Arbeit ist beträchtlich", sagte der Regierungschef gegenüber IPS. Ein weiteres Problem sei die Vermüllung der Flüsse - obwohl in jedem Dorf des Landes die Abfälle von den Behörden eingesammelt würden.

Das Ausmaß der Entwaldung in St. Vincent und den Grenadinen ist beträchtlich. So gäbe es einige Fälle, in denen in Höhen von mehr als 900 Metern jeweils bis zu vier Hektar Wald für den Anbau von Marihuana gefällt worden seien, wobei die Verantwortlichen mal mehr und mal weniger behutsam zu Werke gehen, wie Poyer berichtet. So gebe es die einen, die die Bäume an strategisch wichtigen Stellen stehen ließen, damit sie das Erdreich festhielten. Andere wiederum holzten nieder, was sich ihnen in die Quere stelle.

Doch auch die Bauern, die konventionelles Saatgut ausbringen, gefährden den Waldbestand. "Wenn sie feststellen, dass ihre Produktionskosten aufgrund zunehmender Bodenerosion steigen, verlassen sie die Gebiete und fangen woanders an", erläutert Poyer. Da viele erodierte Gebiete nur schwer zugänglich seien, gestalte sich die Wiederaufforstung schwierig.


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Der Forsttechniker Joel Poyer ist der Meinung, dass sich die Bevölkerung von St. Vincent und den Grenadinen der Folgen ihres eigenen Tuns bewusster werden muss
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"Manchmal sehen wir uns gezwungen, Rückhaltedämme zu bauen, um der Erosion entgegenzuwirken und der Natur zu erlauben, sich das verlorene Terrain zurückzuerobern", berichtet er. "Dann beten wir, dass sich nicht nach den zwei Jahren, die die Vegetation braucht, um sich halbwegs zu erholen, der Kreislauf der Zerstörung wiederholt."

Katastrophenschützer in St. Vincent und den Grenadinen befürchten, dass die nächste Regenzeit im Juli beginnt - mindestens vier Wochen später als in 'normalen' Jahren. Auch in anderen Teilen der Region spielt sich Ähnliches ab. Dadurch erhöht sich die Gefahr von Buschbränden, die den gesamten Küstenstreifen in eine mögliche Brandzone verwandelt.


Mehr Buschbrände

Der Chef der nationalen Feuerwehr, Isaiah Browne, erläutert gegenüber IPS, dass die Feuerwehr im laufenden Jahr bereits 32 Buschbrände gelöscht habe. Allein im Mai seien 20 Brände ausgebrochen. In einigen Fällen sei Brandrodung die Ursache gewesen. Im vergangenen Jahr war es zu insgesamt 91 Bränden gekommen.


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Nach einem Buschbrand im Süden von St. Vincent
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Poyer erläutert gegenüber IPS, dass in Küstennähe Wälder in Wohngebiete umgewandelt worden seien. "Das hat auch negative Folgen für das maritime Leben", sagt er. "Das ist der Grund, warum sich Fische aus unseren Küstengebieten entfernen. Es fehlen die Bäume, die deren Lebensräume, die Tangwälder, kühl halten."

Susan Singh-Renton, stellvertretende Geschäftsführerin des 'Caribbean Regional Fisheries Mechanism' (CRFM) mit Sitz in Belize Stadt, bekräftigt, dass die Wassertemperatur des Karibischen Meeres steigt und dazu führt, dass regionale Fischarten weiter nordwärts ziehen. Der CFRM ist ein zwischenstaatliches Gremium zur Förderung eines verantwortungsvollen Umgangs mit den regionalen Meeresressourcen.

Die Auswirkungen der Buschbrände in Verbindung mit den klimabedingten Veränderungen können für die Bevölkerung von St. Vincent und den Grenadinen tödlich sein, wie die Überschwemmungen an Heiligabend 2013 gezeigt haben. Damals kamen fünf Mitglieder eines Haushalts in Rose Bank im Nordwesten von St. Vincent ums Leben: sie wurden unter Geröllmassen begraben, die im Zuge eines Erdrutsches talabwärts stürzten.

In drei Gebieten in Rose Bank, in denen es zu Erdrutschen gekommen sei, hätten zuvor Brände die Vegetation ausgelöscht, weiß Kennard King, Vorsitzender der Rose Bank-Entwicklungsvereinigung, zu berichten.

St. Vincent und die Grenadinen müssen Millionen Dollar für den Schutz der Küstengebiete und die Umsiedlung der Menschen infolge des ansteigenden Meeresspiegels aufbringen. In Lyou beispielsweise sind Häuser inzwischen einer Strandpromenade gewichen.


Küstenerosion

Stina Herberg, Leiterin der Richmond-Vale-Akademie im Nordwesten von St. Vincent, beobachtet seit 2007 die Auswirkungen des Klimawandels auf die ostakribische Insel. "Ich konnte beobachten, wie sich die Küstenlinie immer weiter zurückgezogen hat", sagt sie. "Einst gab es in Küstennähe eine Straße. Sie wurde durch ein schlimmes Unwetter zerstört. Außerdem haben wir einen fünf Meter breiten Küstenstreifen verloren."

Die Richmond-Vale-Akademie betreibt ein Klimaanpassungsprogramm für Studenten, die jeweils sechs Monate lang an dem auf zehn Jahre anberaumten Projekt mitarbeiten können. Es soll der Bevölkerung helfen, die Herausforderungen der globalen Erwärmung zu bewältigen. Derzeit pflanzt sie mit Partnern 100 Bäume am Strand von Richmond, wo der Klimawandel ebenso seine Spuren hinterlassen hat.

Diese Bäume sollen die Küstenerosion aufhalten, wie Herberg erläutert. "Sie sollen Zeugnis ablegen, dass wir alle etwas gegen den Klimawandel unternehmen können." (Ende/IPS/kb/15.05.2015)


Link:

http://www.ipsnews.net/2015/05/poor-land-use-worsens-climate-change-in-st-vincent/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 15. Mai 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Mai 2015

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