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KLIMA/437: Bangladesch - Kampf gegen Klimawandel wird Hunderte Millionen Dollar verschlingen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 29. Oktober 2015

Bangladesch: Kampf gegen Klimawandel wird Hunderte Millionen Dollar verschlingen

von Amantha Perera


Bild: © Amantha Perera/IPS

Frauen in Bangladesch beim Wasserholen
Bild: © Amantha Perera/IPS

BOYARSHIN/BANGLADESCH (IPS) - Zwei Mal in der Woche ist die 20-jährige Kulsum Begam über drei Stunden damit beschäftigt, für die Familie Wasser zu holen. Die Mutter von zwei Kindern vertreibt sich die lange Wartezeit an der einzigen öffentlichen Zapfstelle, indem sie ausgiebig mit Nachbarinnen plaudert, die gemeinsam mit ihr Schlange stehen.

Das Dorf Boyarshin, in dem Begam lebt, liegt im Distrikt Datkhira, etwa 300 Kilometer südwestlich der bangladeschischen Hauptstadt Dhaka. Die Dorfbewohner haben einerseits Mühe, an Wasser für den täglichen Bedarf zu kommen. Zum anderen erleben sie in den Sommern oft heftige Monsunregenfälle, die weite Teile ihrer Äcker überfluten.

"Dieses Wasser können wir leider nicht trinken oder zum Kochen verwenden. Es ist zu salzig", erklärt Begam, während sie und etwa 50 andere Frauen darauf warten, ihre leeren Eimer füllen zu können.


Drohende Überflutungen und Versalzung von Land

Ein Großteil der insgesamt rund 156 Millionen Bangladescher sind mit den vielfältigen Auswirkungen des Klimawandels konfrontiert: wiederkehrende Dürren und Überschwemmungen, ein ansteigender Meerespiegel und die Versalzung von Ackerland. Die 1.500 Einwohner von Boyarshin haben zumindest zeitweise Zugang zu sauberem Trinkwasser. Zu verdanken haben sie dies einem Pilotprojekt der Asiatischen Entwicklungsbank (ADB), die Wasserleitungen von insgesamt 3,5 Kilometern Länge bauen ließ.

Auch wenn einige Menschen in Boyarshin sich darüber beschweren, dass das Wasser zu langsam durch die engen Röhren fließt, haben es ihre Nachbarn in der Siedlung Shyamnagar wesentlicher schlechter. Die Familien in dem Ort, der nahe bei dem größten Gezeiten-Mangrovenwald der Welt liegt, leben in extremer Armut. Der 30-jährige Mizunur muss von seinem Monatsverdienst von umgerechnet etwa zwölf Dollar 2,5 Dollar für Wasser ausgeben. Die Händler verkaufen das kostbare Nass in Zehn-Liter-Kanistern.

Der 65-jährige Riysshath Preety Bhandari erinnert sich noch gut daran, wie der Taifun 'Aila' im Jahr 2009 viele ober- und unterirdische Süßwasserquellen in ländlichen Regionen zerstörte. Bangladesch spüre deutlich die Konsequenzen der Erderwärmung, sagt der Experte, der bei der ADB für den Bereich Klimawandel und Katastrophenschutz zuständig ist.


Anpassung an den Klimawandel wird immer teurer

Wenn die globalen Temperaturen über die Marke von zwei Grad Celsius hinaus steigen, wird der südasiatische Staat bis zum Jahr 2050 zwei Prozent seines Bruttoinlandsprodukts (BIP) für klimabedingte Maßnahmen bereitstellen müssen. Laut den Schätzungen der ADB werden diese Verluste bis zum Jahr 2100 sogar auf etwa 8,8 Prozent des BIP anwachsen.

Während der nächsten 15 Jahre wird Bangladesch jährlich etwa 89 Millionen Dollar benötigen, um das Land gegen den Klimawandel zu wappnen. Bis 2050 könnte sich die Summe auf ungefähr 369 Millionen Dollar vervierfachen.

Der finanzielle Druck ist lediglich eine Facette des Problems. Die Folgen extremer Wetterlagen dürften noch schwieriger zu bewältigen sein. Wenn der Meeresspiegel um einen Meter ansteigt, könnte Dhaka regelmäßig unter Wasser stehen. Die Gebiete nahe den Sundarbarns, den größten Mangrovenwäldern der Erde, dürfte es noch härter treffen.

Die etwa 36 Millionen Menschen - etwa ein Viertel der Gesamtbevölkerung - in der 47.000 Quadratkilometer großen Küstenregion müssen sich auf häufige Wirbelstürme und einen steigenden Salzgehalt des Wassers gefasst machen. Die Reisernten werden voraussichtlich um 17 bis 28 Prozent sinken. Für den Agrarsektor, der etwa 20 Prozent zum BIP beiträgt und 48 Prozent der rund 60 Millionen Erwerbstätigen beschäftigt, würde dies katastrophale Folgen haben.

In Dhaka, wo etwa ein Zehntel der Bangladescher wohnen, sind Sturzfluten nichts Ungewöhnliches mehr. "Wenn es eine halbe Stunde lang regnet, wird die Stadt überschwemmt. Das Wasser braucht weitere drei Stunden, um abzufließen. Für mich bedeutet das jedes Mal den Verlust meines gesamten Tagesverdienstes", beschwert sich der Rikscha-Fahrer Hussain Mohamed.


Weniger Tote bei Stürmen

Einige Hilfsmaßnahmen haben aber bereits Erfolg gezeigt. So ist die Zahl der Todesopfer bei Wirbelstürmen in den vergangenen vier Jahren um mehr als das Hundertfache zurückgegangen. "Wenn ein Großteil der Bevölkerung einbezogen wird, führen die Resilienzprogramme zu besseren Ergebnissen", sagt Afrif Mohammad Faisal, der als Umweltexperte für die ADB in Bangladesch arbeitet.

In dem kleinen Dorf Chenchuri im Distrikt Narail im Südwesten ist die lokale Bevölkerung längst aktiv geworden. Nach dem Zyklon 'Alia' 2012 hatten die ADB, die Niederlande und die Regierung von Bangladesch die Instandsetzung eines Damms mit zehn Wehren finanziert. Ein Komitee mit 572 Mitgliedern regelt den Wasserzufluss aus dem Chitra-Fluss. "Wenn wir Wasser für unsere Felder brauchen, trifft das Komitee eine Entscheidung, oder wir Dorfbewohner rufen die Mitglieder mit unseren Mobiltelefonen an", erklärt der Reisbauer Raiza Sultana.

Die Kombination einer Investition in Millionenhöhe mit einer Standardtechnologie hat sich hier bewährt. Die Dorfbewohner benutzen regelmäßig ein nur 70 Dollar teures Gerät, um die Qualität des Wassers zu kontrollieren. Wenn der Salzgehalt zunimmt, wird der Wasserzufluss blockiert, um die Felder zu schonen.

"Die Reisernten haben sich vervierfacht. Die Leute verdienen mehr als früher und haben alles selbst unter Kontrolle", sagt Munsheer Sulaiman, der Vorsitzende des Wasserkomitees. Früher habe es immer zwei Tage gedauert, bis jemand die Schleusen geöffnet habe, erinnert er sich. Inzwischen ist ständig ein Schleusenwärter im Einsatz, dessen Gehalt diejenigen bezahlen, die aus dem Dammprojekt Nutzen ziehen.

Experten werben nun dafür, solche gemeinschaftsbasierten Programme zum Umgang mit dem Klimawandel im gesamten Land einzuführen. "Südasien befindet sich an der Frontlinie des Klimawandels", sagt Bandhari. Doch nicht überall geht es mit Hilfsmaßnahmen rasch voran. Frauen wie Begam verbringen ihre Tage weiterhin in langen Schlangen vor den Zapfstellen, um Wasser zu holen. (Ende/IPS/ck/29.10.2015)


Link:

http://www.ipsnews.net/2015/10/bangladesh-facing-tough-climate-choices/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 29. Oktober 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Oktober 2015

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