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KLIMA/474: Der Arktis droht ein Meereisverlust wie im Negativrekordjahr 2012 (idw)


Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung - 21.04.2016

Der Arktis droht ein Meereisverlust wie im Negativrekordjahr 2012

Daten des Satelliten CryoSat-2 zeigen viel dünnes Eis, das den Sommer kaum überstehen wird


Bremerhaven, 21. April 2016. Meereisphysiker des Alfred-Wegener-Institutes, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), erwarten für den Sommer 2016 ähnlich wenig Meereis im Arktischen Ozean wie im Negativrekordjahr 2012. Zu dieser Prognose kommen die Wissenschaftler, nachdem sie aktuelle Satellitendaten zur Dicke der Eisdecke ausgewertet haben. Diese zeigen zum einen, dass das arktische Meereis bereits im Sommer 2015 ausgesprochen dünn war. Zum anderen hat sich im zurückliegenden Winter besonders wenig neues Eis gebildet. Meereisexperte Dr. Marcel Nicolaus präsentierte diese aktuellen Forschungsergebnisse heute auf einer Pressekonferenz im Rahmen der Jahrestagung der European Geosciences Union in Wien.


Grafik: © Alfred-Wegener-Institut/Stefan Hendricks

Diese Karte zeigt, in welchen Regionen der Arktis die Meereisdicke im Februar 2016 dünner (blau) oder dicker (rot) war im Vergleich zum Februar 2012.
Grafik: © Alfred-Wegener-Institut/Stefan Hendricks

Die Sommerausdehnung des arktischen Meereises einige Monate im Voraus vorherzusagen, gehört zu den großen Herausforderungen der modernen Polarforschung. Der Grund: Letztendlich entscheiden die Windverhältnisse sowie die Luft- und Wassertemperatur der Sommermonate über das Schicksal des Eises bis zum Ende der Schmelzsaison. Im vorhergehenden Winter werden jedoch die Grundlagen dafür gelegt - und diese sehen im Frühjahr 2016 so schlecht aus wie im Negativrekordjahr 2012. Damals war die arktische Meereisfläche auf ein Rekordminimum von 3,4 Millionen Quadratkilometer geschrumpft.


Foto: © Alfred-Wegener-Institut/Stefan Hendricks

Aufnahme von arktischem Meereis aus dem Spätsommer 2015. Dieses Foto entstand im Zuge der Polarstern-Expedition PS94 in den zentralen Arktischen Ozean.
Foto: © Alfred-Wegener-Institut/Stefan Hendricks

"Der besonders warme Winter in der Arktis hat dazu geführt, dass sich in vielen Gebieten nur sehr langsam neues Meereis gebildet hat. Vergleichen wir die Meereisdickenkarte des zurückliegenden Winters mit jener aus dem Jahr 2012, dann zeigt sich, dass wir derzeit ähnliche Eisbedingungen vorfinden wie im Frühjahr 2012 - teilweise sogar deutlich dünneres Eis", sagte AWI-Meereisphysiker Dr. Marcel Nicolaus heute auf einer Pressekonferenz im Rahmen der Jahrestagung der European Geosciences Union (EGU) in Wien.


Foto: © Alfred-Wegener-Institut/IceCam/Stefan Hendricks

Der AWI-EM-Bird während eines Meereisdicken-Messfluges über arktischem Meereis Aufnahme der IceCam-Kamera an Bord des Forschungsflugzeuges Polar 5. Das Foto entstand im Rahmen der PAMARCMIP-Kampagne im Jahr 2009. 
Foto: © Alfred-Wegener-Institut/IceCam/Stefan Hendricks

Er und sein AWI-Kollege Dr. Stefan Hendricks hatten für ihren Meereisausblick die Eisdickenmessungen des Satelliten CryoSat-2 aus den zurückliegenden fünf Wintern ausgewertet. Wichtige Anhaltspunkte lieferten zudem sieben autonome Schneebojen, welche die AWI-Forscher im vergangenen Herbst auf Eisschollen im Arktischen Ozean platziert hatten. Die Bojen messen zusätzlich zur Höhe der Schneedecke auf dem Meereis auch die Lufttemperatur und den Luftdruck. Ein Vergleich ihrer Temperaturdaten mit den AWI-Langzeitmessungen auf Spitzbergen ergab, dass es zum Beispiel im Februar 2016 in der zentralen Arktis bis zu acht Grad Celsius wärmer war als im Durchschnitt.


Foto: © Alfred-Wegener-Institut/IceCam/Stefan Hendricks

Arktis: Wasser oder Eis? Schmelzwassertümpel haben auf einer Scholle eine Seenkette gebildet, sodass vom Meereis selbst kaum noch etwas zu sehen ist. Ein Phänomen, das nur in der Arktis im Sommer vorkommt.
Foto: © Alfred-Wegener-Institut/IceCam/Stefan Hendricks


Bojendaten zeigen: Meereis ist im Winter nicht geschmolzen, nur langsamer gewachsen

Entgegen eines anderslautenden Berichtes US-amerikanischer Forscher führte diese Wärme jedoch nicht dazu, dass die Meereisdecke im Laufe des Winters in einigen Regionen dünner geworden ist. "Unsere Bojendaten aus diesem Frühjahr belegen, dass diese warme Winterluft nicht ausgereicht hat, um den auf dem Meereis liegenden Schnee, geschweige das Eis selbst zu schmelzen", so Marcel Nicolaus. Das arktische Meereis sei im zurückliegenden Winter nur viel langsamer gewachsen als die Wissenschaftler dies erwartet hatten.


Foto: © Alfred-Wegener-Institut/IceCam/Stefan Hendricks

Arktis: Wenn arktisches Meereis entsteht, ist die erste Schicht so hauchdünn, dass man stellenweise noch hindurchschauen kann und das Eis von oben tief ozeanblau aussieht. Diese Aufnahme stammt aus der IceCam des EM-Birds, einem Meereisdickensensor, der unter einem Hubschrauber hängend über das Meereis geflogen wird. Die Kamera ist derart in das Geräte eingebaut, dass sie immer senkrecht in die Tiefe fotografiert.
Foto: © Alfred-Wegener-Institut/IceCam/Stefan Hendricks

In ehemals eisreichen Gebieten wie dem Beaufortwirbel vor der Küste Alaskas sowie in der Region nördlich Spitzbergens ist das Meereis in diesem Frühjahr deutlich dünner als sonst zu dieser Jahreszeit. "Wo das Festeis nördlich Alaskas normalerweise 1,5 Meter dick ist, messen unsere US-amerikanischen Kollegen derzeit weniger als ein Meter. Derart dünnes Eis wird der Sommersonne nicht lange standhalten können", sagte AWI-Meereisphysiker Stefan Hendricks.


Foto: © Alfred-Wegener-Institut/Stefan Hendricks

Aufnahme von arktischem Meereis aus dem Spätsommer 2015. Dieses Foto entstand im Zuge der Polarstern-Expedition PS94 in den zentralen Arktischen Ozean.
Foto: © Alfred-Wegener-Institut/Stefan Hendricks


Arktische Meeresströmung wird bis zum Herbst viel dickes Packeis davontragen

Mit Blick auf die CryoSat-2-Meereisdickenkarte dieses Frühjahres erklärte Stefan Hendricks außerdem: "Die als Transpolardrift bekannte Meeresströmung im Arktischen Ozean wird in den kommenden Monaten einen Großteil des dicken und mehrjährigen Eises, welches wir heute noch vor der Nordküste Grönlands und Kanadas finden, über die Framstraße in den Nordatlantik führen. Auf diese dicken Schollen folgt dann dünnes Eis, welches im Sommer schneller schmilzt. Es deutet demzufolge alles darauf hin, dass das Gesamtvolumen des arktischen Meereises im kommenden Sommer deutlich abnehmen wird und wir bei ungünstigen Witterungsbedingungen gegebenenfalls mit einem neuen Rekord-Minimum rechnen müssen", sagte Stefan Hendricks.

Der Eisverlust wird nach Auskunft der AWI-Wissenschaftler voraussichtlich so groß ausfallen, dass alle Zuwächse, welche die Forscher in den relativ kalten Wintern der Jahre 2013 und 2014 verzeichnet hatten, wieder zunichte gemacht werden. Schon im Spätsommer 2015 hatten die AWI-Forscher eine deutliche Abnahme der Meereisdicke beobachtet, auch wenn die Gesamtfläche des Septemberminimums am Ende rund eine Million Quadratkilometer über dem Rekordminimum 2012 lag. Der außergewöhnlich warme Winter habe nun seinen Teil dazu beigetragen, dass sich der dramatische Rückgang des arktischen Meereises voraussichtlich auch im Jahr 2016 fortsetzen wird.

Die AWI-Meereisphysiker berichten regelmäßig im Onlineportal www.meereisportal.de über die aktuellen Entwicklungen des arktischen und antarktischen Meereises. Dort stellen sie auch alle CryoSat-2-Eisdickenkarten sowie die Messreihen der Schneebojen zur Verfügung.

Weiterführende Informationen zur Meereis-Forschung
am Alfred-Wegener-Institut finden Sie auf unserer
Online-Schwerpunktseite:
www.awi.de/im-fokus/meereis.html


Das Alfred-Wegener-Institut forscht in der Arktis, Antarktis und den Ozeanen der mittleren und hohen Breiten. Es koordiniert die Polarforschung in Deutschland und stellt wichtige Infrastruktur wie den Forschungseisbrecher Polarstern und Stationen in der Arktis und Antarktis für die internationale Wissenschaft zur Verfügung. Das Alfred-Wegener-Institut ist eines der 18 Forschungszentren der Helmholtz-Gemeinschaft, der größten Wissenschaftsorganisation Deutschlands.

Die gesamte Pressemitteilung erhalten Sie unter:
http://idw-online.de/de/news649650
Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution188

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und
Meeresforschung, Ralf Röchert, 21.04.2016
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. April 2016

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